Gegenpressing – die EM-Kolumne„La grande guêule“

Gegenpressing – die EM-Kolumne / „La grande guêule“
 Foto: AFP/Franck Fife

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Es gibt wohl selten Nationen auf diesem Erdball, die so chauvinistisch agieren können wie die Franzosen. Nun, am Samstag wurde ein Teil dieser Großmäuligkeit mit einem schweren ungarischen Gulasch gestopft. Besonders gefreut hat dies wahrscheinlich die Belgier. Es ist gerade einmal eine Woche her, da hatte ein sogenannter Journalist aus dem Hexagon behauptet: „Les Belges vont vite rentrer chez eux manger des frites.“ Laut aktuellem Stand der Dinge dürfen sich die Roten Teufel in der Tat eine Portion Fritten mit Käsesauce gönnen – denn de Bruyne, Lukaku und ihre Kompagnons haben sich bereits für die K.o.-Phase der Europameisterschaft qualifiziert. Ganz im Gegensatz zu den Franzosen und ihren Kommentatoren, die auch am Samstag während des 1:1-Remis gegen Ungarn nur sehr selten von ihrem hohen Ross runterkamen.

Gilles Favard, seines Zeichens Urheber der Fritten-Diskussion, hat seinen Fanatismus sogar zum Rassismus getrieben – und dabei komplett vergessen, dass er eigentlich Journalist bei der angesehenen französischen Sporttageszeitung L’Equipe ist. Über die Fritten wurde sich herzlich amüsiert. Aber stellen Sie sich mal vor, eine luxemburgische Zeitung würde vor dem nächsten WM-Qualifikationsduell gegen Aserbaidschan titeln, dass diese Mannschaft eigentlich keine Chance gegen die „Roten Löwen“ habe und besser daran täte, in Baku zu bleiben, um dort ihren Kebab zu lutschen. Der Aufschrei wäre groß. In der „Grande Gueule“ – pardon, der „Grande Nation“ sind solche Aussagen anscheinend salonfähig.

Dieses Verhalten ist aber kein rein französisches Phänomen. Große Fußballnationen wie Frankreich, Deutschland, Spanien, England, Italien oder auch die Niederlande neigen zur Überheblichkeit. Man kann es ihnen jedoch nicht verübeln. Sie zählen seit Jahrzehnten zum Besten, was die Fußballwelt zu bieten hat. Die Erwartungshaltung ist groß und das Überlegenheitsgefühl genau so.

Dieses Phänomen ist wie eine Pyramide. Jede Nation findet immer einen vermeintlich unterlegenen Gegner und eine damit verbundene Überlegenheit. Als Luxemburg im vergangenen März Irland mit 1:0 besiegte, klangen die Journalisten von der „Grünen Insel“, als hätten sie gerade gegen Mikronesien verloren. Und auch hierzulande gibt es diese Einstellung – wenn es gegen vermeintlich schwächere Gegner geht. Dass vor allem Sportjournalisten aufgrund der emotionalen Nähe zu ihren Nationalmannschaften nicht immer objektiv berichten, ist keine neue Erscheinung.

Rassismus – ob in Fritten- oder Kebab-Form – sollte jedoch Teil keiner einzigen Gesellschaftsschicht sein.