Gipfeltreffen in GenfTauwetter in der Eiszeit: Biden und Putin ziehen beide eine positive Bilanz ihrer Gespräche

Gipfeltreffen in Genf / Tauwetter in der Eiszeit: Biden und Putin ziehen beide eine positive Bilanz ihrer Gespräche
Kalter Krieg sieht anders aus: Wladimir Putin und Joe Biden am Mittwoch in Genf Foto: AFP/Brendan Smialowski

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Das Gipfeltreffen zwischen Joe Biden und Wladimir Putin am Mittwoch in Genf dauerte nicht so lange wie geplant. Und die Präsidenten der USA und Russlands klangen danach auch optimistischer als von vielen angenommen. Beide Staaten scheinen sich aus dem Tiefpunkt, auf dem ihre Beziehungen angelangt sind, herausarbeiten zu wollen. Doch dazu braucht es nach den Worten nun Taten. „Mal sehen, was passiert“, sagte Biden.

Wladimir Putin war pünktlich. Das war die erste überraschende Nachricht vom Gipfeltreffen des russischen Präsidenten mit seinem Amtskollegen Joe Biden in einer Villa am Genfer See. Es sollten noch weitere folgen. In der Tat war es dieses Mal der notorische Zuspätkommer Putin, der sich eine Viertelstunde auf die Ankunft Bidens gedulden musste. In den vergangenen Jahren strapazierte Russlands Präsident die Nerven fast aller seiner Besucher. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde einmal vier Stunden warten gelassen, der Papst eine Stunde und auch Bidens Vorgänger Donald Trump und Barack Obama mussten bei ihren Treffen mit Putin erst Daumen drehen, ehe sie empfangen wurden.

Kurz vor Gipfelbeginn, bei den Begrüßungsstatements zusammen mit den Außenministern Antony Blinken und Dimitri Lawrow, brachten dann die anwesenden Journalisten das Uhrwerk des Zeremonienmeisters Schweiz aus dem Takt. Obwohl nur wenige Medienvertreter innerhalb der Villa zugelassen waren, versuchten viele einen Platz zu ergattern. Es wurde geschrien und geschubst, ein Fotograf verdeckte minutenlang das Kamerabild mit seinem Hinterkopf. Die vier Gipfel-Protagonisten schauten einigermaßen verblüfft, von ihren Statements war kaum etwas zu verstehen. Nach wenigen Minuten machten sie sich auf zur ersten Gesprächsrunde.

Die Stadt und ihre Villa

Die Genfer Villa La Grange, in der das Gipfeltreffen des russischen und des amerikanischen Präsidenten am Mittwoch stattfand, hat einen entscheidenden Vorteil: Sie steht nicht nur auf neutralem Boden und bietet dem Treffen optisch einen würdigen Rahmen – aufgrund ihrer Architektur ist sie auch in zwei exakt gleiche Bereiche teilbar. „Glücklicherweise ist die Villa perfekt symmetrisch. So hat jeder genau die gleiche Zahl an Zimmern und Quadratmetern“, sagte die stellvertretende Genfer Protokollchefin Marion Bordier Buschi dem Radiosender RTS. „Das ist tatsächlich der Vorteil der Villa.“
So verhinderten die Schweizer Gastgeber, dass sich einer der beiden Staatschefs überlegen fühlen könnte – oder unterlegen. Das klassizistische Anwesen am Genfer See, in dem US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin erstmals seit Bidens Amtsantritt zusammentrafen, stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist seit 1917 im Besitz der Stadt Genf.
Die Wahl von Genf als Ort des Gipfels wiederum erinnert an das Treffen zwischen dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow in der schweizerischen Stadt 1985 während des Kalten Krieges. Damals sorgten der Streit um strategische Atomwaffen und gegensätzliche Ideologien für Spannungen zwischen beiden Staaten.

Der Schweizer Präsident Guy Parmelin hatte Biden und Putin davor unter einem Vordach der Villa La Grange in der „Stadt des Friedens“ begrüßt, die wegen der patrouillierenden Soldaten, der Kampfjets in Alarmbereitschaft und der weiträumigen Absperrungen eher einer Festung glich. Draußen herrschten mehr als 30 Grad. Das mit Spannung erwartete Gipfeltreffen begann dann um 13.25 Uhr in Genf mit einem kurzen Handschlag.

Schneller rum als gedacht

Zuvor war verlautet worden, dass die Gespräche mehrere Stunden dauern sollten und der Tag mit getrennten Pressekonferenzen enden würde. Die meisten Beobachter rechneten mit einem Ende am frühen Abend. Etwas überraschend liefen dann um 17.30 Uhr in den Nachrichtentickern die Meldungen ein, das Gipfeltreffen sei bereits beendet worden – um 17.05 Uhr, nach drei Stunden und 21 Minuten, wie amerikanische Delegationskreise mitgezählt hatten. Dem Weißen Haus zufolge war die zweite Gesprächsrunde im erweiterten Kreis mit Botschaftern und politischen Beratern viel früher als vorhergesehen beendet worden.

Was war passiert? Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren in den vergangenen 30 Jahren nie so schlecht wie heute. Genügend Gesprächsstoff sollte es demnach gegeben haben. Hackerangriffe, Menschenrechte, strategische Stabilität in der Welt, atomare Abrüstung, Kontrolle der Waffenarsenale sowie die Konflikte in Afghanistan, Libyen, Syrien und der Streit um die Atomprogramme im Iran und in Nordkorea und dann noch ein möglicher Gefangenenaustausch.

Es gab keinerlei Feindseligkeit

Wladimir Putin

Putin war es dann überlassen, als Erster vor die Presse zu treten. Und die Aussagen des russischen Langzeitherrschers – Biden ist „sein“ fünfter US-Präsident – stimmten, abgesehen von jenen zum inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny (siehe Kasten), erst einmal positiv. Demnach haben sich beide Staaten auf die Rückkehr ihrer abgezogenen Botschafter an deren jeweiligen Einsatzort geeinigt. „Sie werden an ihren Arbeitsplatz zurückkehren“, sagte Putin, der das Gespräch mit Biden als „absolut konstruktiv“ bezeichnete. Zwar gebe es „in vielen Fragen“ gegensätzliche Meinungen, doch hätten beide Seiten „den Wunsch gezeigt, einander zu verstehen und Möglichkeiten zur Annäherung ihrer Positionen zu suchen“. „Es gab keinerlei Feindseligkeit“, sagte Putin.

Der Handschlag, der das Gipfeltreffen eröffnete
Der Handschlag, der das Gipfeltreffen eröffnete Foto: AFP/Brendan Smialowski

Noch im Mai hatte Russland die USA formell als „unfreundlichen Staat“ eingestuft und der US-Botschaft in Moskau untersagt, russische Staatsbürger zu beschäftigen. Die Botschaft musste ihren Dienst seither stark einschränken.

Putin zufolge einigten sich beide Staatschefs bei ihrem Gipfeltreffen zudem darauf, Konsultationen zum Thema Cybersicherheit aufzunehmen. Die USA haben russische Hacker bereits wiederholt für Angriffe auf US-Unternehmen und Behörden verantwortlich gemacht. Dabei geht es unter anderem um Ransomware-Angriffe, also den Einsatz von Erpressungstrojanern. Zudem werfen die US-Geheimdienste Russland Einmischung in US-Wahlen vor.

Niemand will Kalten Krieg

Putin versicherte bei seiner Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen zudem, die USA bräuchten keine Angst vor einer russischen Militarisierung der Arktisregion zu haben. Diese Sorgen der US-Regierung hätten „keinerlei Grundlage“, betonte er: „Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass wir zusammenarbeiten sollten.“ Zu einem möglichen Austausch von Gefangenen zwischen beiden Staaten sagte Putin, es könne „vielleicht Kompromisse“ in dieser Frage geben.

Putin weiß, dass ich handeln werde

Joe Biden

Biden hat sein Gipfeltreffen mit Putin anschließend als „geradeheraus“ bezeichnet. Während der gesamten Zusammenkunft habe ein „guter, positiver“ Ton geherrscht. Es habe Meinungsverschiedenheiten gegeben, diese seien aber nicht in übertriebener oder aggressiver Weise vorgetragen worden, sagte der US-Präsident bei seiner Pressekonferenz. Er habe Putin klargemacht, dass die USA auf Handlungen reagieren würden, die amerikanische Interessen beeinträchtigten. „Putin weiß, dass ich handeln werde.“ Drohungen seien aber nicht ausgesprochen worden. Niemand habe Interesse an einem neuen Kalten Krieg.

Es sei eine Basis dafür geschaffen worden, wie mit Russland umgegangen werden solle, sagte Biden. Es bestehe jetzt die Aussicht auf eine Verbesserung des Verhältnisses. Es gehe dabei nicht um Vertrauen, sondern um eigene Interessen und die Bestätigung eigener Interessen. „Mal sehen, was passiert.“

Wie weit die russische und die amerikanische Weltsicht aber weiterhin auseinanderklaffen, verdeutlichte sich bei der Frage der Menschenrechte. Biden kritisierte Äußerungen des Kreml-Chefs, der das Vorgehen der russischen Behörden gegen die Opposition offenbar damit rechtfertigen wollte, dass eine ähnliche Situation wie die Erstürmung des US-Kapitols in Russland verhindert werden müsse. Was eine groteske Sicht auf die Dinge ist: In Russland werden Menschen daran gehindert, für freie und faire Wahlen auf die Straße zu gehen – in den USA stürmte ein Mob aus Trump-Anhängern das Capitol, um den Ausgang von freien und fairen Wahlen zu torpedieren. (*mit Material aus den Agenturen)

Causa Nawalny

Putin hat die Inhaftierung des Kreml-Kritikers Nawalny nach dessen lebensgefährlicher Vergiftung mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok gerechtfertigt. „Dieser Mann wusste, dass er gegen geltendes Recht in Russland verstößt“, sagte Russlands Präsident am Mittwoch in Genf nach seinem Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden. Putin bezog sich dabei auf die Ausreise des schwer kranken Oppositionellen zur medizinischen Behandlung nach Deutschland, obwohl Bewährungsauflagen gegen Nawalny in Russland verhängt worden waren. Die Behandlung hat Nawalny vermutlich das Leben gerettet.