Strittige IntegrationspolitikDänemark durchmischt Schüler nach Elterngehalt: Maximal 30 Prozent Muslime pro Gymnasium

Strittige Integrationspolitik / Dänemark durchmischt Schüler nach Elterngehalt: Maximal 30 Prozent Muslime pro Gymnasium
Überholt die Linken links und die Rechten rechts: Sozialdemokratin Mette Frederiksen Foto: AFP/Mads Claus Rasmussen

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Dänemarks Sozialdemokraten verordnen Gymnasien eine ordentliche Durchmischung. Es geht darum, fast reine Einwandererschulen abzuschaffen. Ziel ist höchstens 30 Prozent Muslime pro Gymnasium. Das Elterngehalt entscheidet über die Zuteilung.

Mette Frederiksen greift wahrhaftig durch. In Dänemark hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin die politischen Dimensionen so sonderlich verschoben, dass es manchmal schwerfällt, Fluch und Segen zu unterscheiden. Zumindest beim Verzicht auf gängige politische Denkschablonen. „Mettes Sozialdemokraten“ haben die Rechtspopulisten in der Ausländerpolitik rechts und in ihrer sehr ausgeprägten Sozialpolitik für (richtige) Dänen noch weiter links überholt. Das Volk ist entzückt. Zumindest ein Großteil.

Nun will Frederiksen das Land von Grund auf verändern. Die Gymnasien, die in Dänemark nach der 9. Klasse beginnen und in die Schüler mit 15 oder 16 Jahren wechseln, sollen bezüglich Ethnizität und sozialer Klassen kräftig durchmischt werden. Ein Ziel ist es, die sich in Ghettos überwiegend aus Kindern mit muslimischem Hintergrund zusammensetzenden Gymnasien zu öffnen, um für mehr Integration zu sorgen und gegen Parallelgesellschaften vorzugehen. Pro Gymnasium sollen maximal 30 Prozent der Kinder einen muslimischen Hintergrund haben.

Da es verfassungsrechtlich nicht geht, Menschen unterschiedlicher Ethnizität unterschiedlich zu behandeln, hat sich Kopenhagen etwas anderes einfallen lassen. Früher entschied zumeist der kürzeste Schulweg darüber, an welches Gymnasium Kinder kamen. So blieben ethnische Abiturienten großteils unter sich. Die Dänen noch einmal selbst aufgeteilt in mittlere, bessere oder sehr exklusive Wohn- und Einkommensgegenden. Die sozial schwachen Migranten mit zumeist muslimischem Hintergrund in sogenannten Ghettos. Kein Kultur- und Sozialschicht-Austausch, bis auf den Input der Lehrer.

Einige werden aufs Land pendeln müssen

In Zukunft soll das Gehalt der Eltern, eingeteilt in niedrig, mittel und hoch, über die Zuteilung des Gymnasiums entscheiden. So mischt man christlich geprägte Dänen unterschiedlichster sozialer Klassen mit zumeist ärmeren, muslimisch geprägten Migrantenkindern. Kopenhagen hofft damit die auseinandergedriftete, einst so auf Gleichheit setzende dänische Gesellschaft wieder zusammenzuschmieden.

Ob das klappt, bleibt offen. „Ich war an einer Schule, an der fast nur Kinder der Reichsten waren, und dann halt ein paar Arbeiterkinder – so wie ich. Wir hatten während der ganzen Schulzeit einen riesigen Graben zwischen uns“, erinnert sich die heute 34-jährige Nanna, die zudem noch blond ist und keine Einwanderereltern mit anderen Bräuchen hat. Früher versuchten die das Land lange prägenden Sozialdemokraten durch den Bau preiswerter Arbeiter-Mietwohnungen in exklusiven bürgerlichen Stadtteilen eine größere Heterogenität (und vermutlich auch mehr Wählerstimmen) herbeizuführen. Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine kleine dänische Studie der Universität Roskilde von 2018 hielt es für ein „Integrations-Hindernis“, muslimisch geprägte Einwandererfamilien auszustreuen. Sie würden sich allein und isoliert fühlen. Ob es den Kindern auch so gehen wird? Das wird wohl von der Ausgestaltung im Kleinen und den Pädagogen abhängen.

Gleichzeitig will Kopenhagen mit dieser Reform auch die auf dem Lande befindlichen Gymnasien wegen der älter werdenden Gesellschaft ohne ausreichenden Kindernachschub vor dem Aussterben bewahren. Die Schüler aus Ballungsgebieten müssen dann früher aufstehen und haben längere Schulwege. Klassen könnten so auch kleiner werden.

Die privaten Gymnasien des Landes hat Frederiksen für die kommenden drei Jahre mit Vorlagen ausgebremst, um zu verhindern, dass zahlreiche ethnisch-dänische Kinder, die keine Lust auf Integration oder weite Schulwege haben, dorthin ausweichen. Vermutlich müssen vor allem Migrantenkinder längere Schulwege raus aufs Land auf sich nehmen, befürchten diese. Denn sie konzentrieren sich auf Metropolen wie Kopenhagen, wo ein Viertel der Bürger Migranten und deren Kinder sind.

Schulministerin Pernille Rosenkrantz-Theil hält das Projekt für sehr bedeutsam. Sie spricht von „enormen strukturellen Veränderungen“, vor allem für die Großstädte. Diese seien  „gleichzeitig sozial, aber in dem Grad auch ethnisch“, sagt sie etwas verworren im Radio Dänemark. Die Rechtspopulisten sagen hingegen nicht mehr viel. Ihnen wird derzeit ständig die Show gestohlen. Das sei der reinste Ost-Beton-Sozialismus, meckern dahingegen die Konservativen und die rechtsliberale Venstre-Partei, die Dänemark lange regierten. Zusammen mit den sie stützenden Rechtspopulisten galten sie ein Jahrzehnt als schier unbesiegbar. 

Doch die gegenüber der muslimischen oder oft auch „nicht-westlichen“ Armutseinwanderung offen feindlich gewordenen Sozialdemokraten haben noch viel weiter gesteckte Ziele.

Das einst für sein humanitäres Weltgewissen und seine Toleranz bekannte Königreich fuhr schon in den vergangenen zehn Jahren einen sehr harten Kurs gegen Migranten. Viele Strafen wurden verschärft, ein „Ghetto-Paket“ erlassen. Stadtviertel mit einem sehr hohen Anteil an Muslimen soll es nicht mehr geben.

Härtere Strafen je nach Adresse

Dafür wurden 22 Maßnahmen mit dem Titel „Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften: Keine Ghettos bis 2030“ vorgestellt. Weil Ghettos besonders mit Kriminalität zu kämpfen haben, soll es der örtlichen Polizei erlaubt werden, zeitlich festgelegte Strafzonen einzuführen. Bestimmte Straftaten werden dann im Problemviertel doppelt so hart bestraft wie in besseren Wohngegenden. Zudem sollen gewalttätige Übergriffe innerhalb von Familien, etwa gegen Töchter, doppelt so hart bestraft werden. Sprachtests für Kinder sind zwingend geworden. Vermietern in Ghettos wird es erleichtert, Bewohnern mit kriminellem Hintergrund zu kündigen.

Auch werden Personen mit Vorstrafenregister daran gehindert, überhaupt in Ghettos sesshaft zu werden. Das Wohnungsministerium soll besonders problematische Wohnsiedlungen bis 2026 abreißen dürfen. Bewohnern sollen neue Wohnungen mit besserer Integrationsumgebung angeboten werden. Dafür sind 12 Milliarden Kronen (1,6 Milliarden Euro) vorgesehen. Gemeinden bekommen aber auch mehr Geld, um für nichtwestliche Einwanderer Ausbildungs- und Arbeitsplatzmöglichkeiten zu schaffen. Eltern in Ghettos werden unter Androhung von Kindergeldkürzungen gezwungen, ihre Kinder nach dem ersten Geburtstag in kostenfreie dänische Tagesbetreuungseinrichtungen zu schicken, damit sie dänischer werden.

Nun erhöht Frederiksen erneut den Druck. In Zukunft sollen exakt „null“ Asylbewerber nach Dänemark kommen. Stattdessen sollen Lager in südlichen Ländern über Asylanträge entscheiden. Null sei das Ziel. „Freilich können wir das nicht versprechen“, sagte sie. Aber Kopenhagen habe das nun als Vision am Horizont. Dabei kommen schon seit langem relativ gesehen sehr wenig Migranten nach Dänemark. 2020 wurden 1.547 Asylbewerber gezählt. Das ist der niedrigste Stand seit 1998.