GipfeltreffenDie NATO wird zum Welt-Gendarm – und macht Front gegen Russland und China

Gipfeltreffen / Die NATO wird zum Welt-Gendarm – und macht Front gegen Russland und China
US-Präsident Joe Biden und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor dem Gipfeltreffen: Beide wünschen sich, dass die Militärallianz künftig global agiert Foto: Patrick Semansky/Pool/AFP

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Für den früheren US-Präsidenten Donald Trump war die NATO „obsolet“. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erklärte das im Kalten Krieg geborene Militärbündnis sogar für „hirntot“. Doch beim ersten Gipfeltreffen mit Trumps demokratischen Amtsnachfolger Joe Biden am Montag in Brüssel präsentierte sich die 30-Staaten-Allianz wieder quicklebendig – und kämpferischer denn je.

Nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China, im Weltraum und im Cyberspace sollen künftig die Werte des Westens verteidigt werden, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte. Die Nordatlantische Allianz werde im Indopazifik Flagge zeigen und sich in den „geopolitischen Wettbewerb“ einschalten. Sogar eine neue Strategie soll die „Global NATO“ erhalten, kündigte Stoltenberg an.

Auch Biden rüstete rhetorisch auf. „Ich will, dass ganz Europa weiß, dass die Vereinigten Staaten da sind“, rief der US-Präsident aus. Es sei die „heilige Pflicht“ der Amerikaner, ihren Alliierten beizustehen, fügte er hinzu. Biden setzte sich damit unmissverständlich von seinem Amtsvorgänger Trump ab, der die Beistands-Verpflichtung aus Artikel 5 des NATO-Vertrags infrage gestellt hatte.

Gleichzeitig leitete Biden jedoch eine gewagte Neuinterpretation des Nordatlantik-Pakts ein. Das Bündnis soll künftig nicht mehr nur dazu da sein, Europa zu verteidigen und Russland abzuschrecken. Die Alliierten sollen sich vielmehr auch Asien und dem Pazifik zuwenden, um China im Zaum zu halten. „Wir haben Russland, das nicht so handelt wie erhofft, sowie China“, sagte Biden.

Rivale und Partner

Schon beim G7-Gipfel im britischen Cornwall hatte der US-Präsident für eine härtere Gangart gegen das Reich der Mitte geworben. Die USA sehen China nicht nur als geopolitischen Rivalen, sondern zunehmend auch als militärischen Gegner, der die amerikanische Dominanz in den Weltmeeren infrage stellt. Biden setzt deshalb auf eine Strategie der Eindämmung, die NATO soll dabei helfen.

Das passt jedoch schlecht zur Politik der Europäer. Sie betrachten China zwar ebenfalls als strategischen Rivalen, aber auch als wichtigen Partner – etwa beim Kampf gegen die Klimakrise. „Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg“, betonte der britische Premier Boris Johnson in Brüssel. Ähnlich äußerten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron.

Fast zwei Stunden lang diskutierten die Staats- und Regierungschefs über den neuen „Player“ in Fernost. Doch grundsätzliche Einwände gegen die brisante Neuausrichtung der NATO zum Welt-Gendarm hatte niemand mehr. Schon vor Ende der Debatte wurde ein Entwurf bekannt, in dem China als „systemische Herausforderung“ für „relevante Bereiche der Sicherheit der Allianz“ bezeichnet wird.

Im Gipfelbeschluss wird kritisiert, dass China sein nukleares Waffenarsenal schnell erweitere, seine Truppen auf undurchsichtige Weise modernisiere und mit Russland militärisch zusammenarbeite. Auch Moskau werde in „harter Sprache“ zur Ordnung gerufen, sagte ein NATO-Diplomat. Darauf hatten vor allem die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen gedrungen.

Problemfall Türkei

„Wir haben eine neue Sicherheitslage“, sagte Kanzlerin Angela Merkel nach dem rund dreistündigen Gipfeltreffen. Russland sehe in der NATO einen Gegner und arbeite eng mit China zusammen. Damit müsse man sich beschäftigen, genauso wie mit den „hybriden“ Angriffen im Internet. Zugleich wolle man aber auch weiter den Dialog mit Moskau und Peking suchen. Dies sei auch ein wichtiger Bestandteil der neuen Strategie.

Ein weiteres Gipfelthema war die Türkei. Die USA werfen dem NATO-Land vor, zu eng mit Russland zusammenzuarbeiten und Alliierte wie Griechenland und Zypern zu drangsalieren. US-Präsident Biden knöpfte sich deshalb in Brüssel den türkischen Präsidenten Recep Erdogan vor. Auch Merkel und Macron trafen sich gesondert mit Erdogan.

Macron sei es um eine „strategische Klarstellung zwischen Verbündeten über die Werte, Prinzipien und die Regeln innerhalb der NATO“ gegangen, erklärte der Elysée-Palast in Paris. Die Türkei hatte Frankreich im vergangenen Jahr offen gedroht; die NATO hat sich um Schlichtung bemüht.

Ein offener Konflikt würde schlecht zu den neuen, globalen Ambitionen der Allianz passen.