ObstanbauJean-Claude Muller: „Es fehlt an den notwendigen Ländereien“

Obstanbau / Jean-Claude Muller: „Es fehlt an den notwendigen Ländereien“
 Foto: Editpress/Claude Lenert

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In den Jahren 1879/80 und 1890/91 dezimierten heftige Wintereinbrücke und Temperaturen von -20 °C den Obstanbau in unseren Breitengraden. Aus der Not heraus gründeten die betroffenen Obstbauern im Jahr 1894 den Luxemburger Landesobstbauverein. Die Ziele der neu gegründeten Vereinigung waren der gemeinsame Einkauf von neuen Obstbäumen sowie die Propagierung des Obstanbaus im Ländchen. Heute, 125 Jahre später, kämpfen die Verantwortlichen des Landesobstbauvereins noch immer um Anerkennung ihres Gewerbes. Das Großherzogtum ist mit knapp 3 bis 4 Prozent Obstproduktion nicht in der Lage, die Eigenversorgung zu gewährleisten. Das Tageblatt unterhielt sich mit dem Vorsitzenden des Landesobstbauvereins, Jean-Claude Muller, über die aktuellen Probleme in der Branche.

Die Folgen der verheerenden Wintermonate konnten damals überwunden werden. Bis in die 70er Jahre war der Obstanbau ein wichtiges Standbein für viele Landwirte. Milch- und Fleischproduktion standen wohl im Mittelpunkt. Der Anbau von Luxemburger Obst genoss jedoch viel Anerkennung und die Landwirte konnten einen gewissen Umsatz mit Obst einfahren.

Billigimporte von Obst und Gemüse aus der Ferne bereiteten Ende der 70er Jahre dem hiesigen Obstanbau schnell ein jähes Ende. Die ökologisch wertvollen Obstwiesen gehörten der Vergangenheit an und mussten im Zuge der Urbanisierung und der Ausdehnung von Wohnraum und Gewerbegebieten weichen.

Seit Ende der 1990er Jahre gibt es einen Sinneswandel, war der Selbstversorgungsgrad auf quasi null gesunken. Der Landesobstbauverein promoviert erneut den Anbau von Obst. Mit rund 50 bis 60 Hektar Apfelplantagen, 10 Hektar Birnen und etwa 20 Hektar an Steinobst erzielen knapp 20 berufliche Obstzüchter einen Selbstversorgungsgrad von 3 bis 4 Prozent. Demnach bleibt noch viel Spielraum nach oben, aber viele Hürden stellen sich dem Ausbau in den Weg.

Tageblatt: Was hindert eigentlich die Landwirte daran, den Ausbau von Obstplantagen in Luxemburg voranzutreiben? Große Abnehmer wie Supermarktketten, Großhandel oder Biogeschäfte dürften doch Anreiz genug sein zum Ausbau.

Jean-Claude Muller: An erster Stelle fehlt es an den notwendigen Ländereien. Die Bodenbeschaffenheit, etwa im Ösling, ist unvorteilhaft im Anbau von Obst. Somit bestehen schon geografische Einschränkungen. Die massive Urbanisierung führt dazu, dass Landwirte kaum noch fruchtbares Land zu vernünftigen Preisen erwerben können. Die Wetterlage in unseren Breitengraden entwickelt sich in den letzten Jahren gegen die Landwirtschaft, sprich Trockenheit. Eine Bewässerung der Obstwiesen oder Feldern erweist sich als sehr schwierig. Vor allem ist Wasser ein sehr teures Gut. Eine Bewässerung der Plantagen ließe die Produktionskosten massiv nach oben schießen. Und damit wären wir wieder beim Thema Absatz und Billigimporte.

Welche Rolle spielt der Kunde im Obstgeschäft. Ist es nicht so, dass die Kundschaft das ganze Jahr über jede Obstsorte konsumieren möchte?

Das Verhalten der Kunden spielt eine wesentliche Rolle. Obst ist ein Naturprodukt und hat eine entsprechend geringe Lagerzeit. Mit entsprechender Lagerung in Kohlendioxid-Atmosphäre lässt sich die Haltbarkeit verlängern, hinterlässt aber einen negativen CO2-Fußabdruck. Um dem Kundenwunsch gerecht zu werden, greift der Großhandel zum Import, oftmals Billigimporten. Nicht sonderlich förderlich für den hiesigen Obstanbau. Ethisch sollte man als Kunde den Kauf von Importobst überdenken. Beispielsweise bei Erdbeeren aus Spanien. Der Erdbeeranbau geht mit einem hohen Wasserverbrauch einher. In vielen Regionen Spaniens fehlt das kostbare Nass. Also wird Wasser anderswo (wo es ebenfalls benötigt wird) abgepumpt und über weite Distanzen zu den Erdbeerplantagen transportiert. Wir würden uns wünschen, dass die Konsumenten sich vermehrt für saisonale und lokale Lebensmittel interessieren.

Aus meiner Sicht entwickelt sich die Ausbildung in eine extrem ideologische Richtung

Jean-Claude Muller, Vorsitzender des Landesobstbauvereins

Hat eigentlich ein junger Mensch nach einem entsprechenden Schulabschluss, etwa in der Ackerbauschule in Ettelbrück, die Möglichkeit, von null auf in den Obstanbau einzusteigen?

Dieses Vorhaben ist quasi unmöglich. An erster Stelle müsste dieser junge Mensch das notwendige Grünland erwerben. Anschließend Bäume kaufen, anpflanzen und während mehrerer Jahre hegen und pflegen. Obstbäume liefern erst ab einem Alter von fünf bis sechs Jahren wirtschaftliche Erträge. Erst im Alter von zehn bis zwölf Jahren fällt die Ernte optimal aus. De facto würde ein Start-up-Unternehmen in den ersten fünf Jahren keinen Cent im Obstanbau verdienen. Etwas leichter gelingt der Anbau vor Erdbeeren, es sind zwei- bis dreijährige Kulturen, der Anbau ist im Vergleich zu Obstbäumen recht einfach. Aus diesen Gründen betreiben nur eine Handvoll Landwirte den Obstanbau im Nebenerwerb.

Sie sprachen die kaum noch bezahlbaren Preise für Ackerland und Wiesen an. Welche Faktoren beeinflussen die Preissteigerungen von Ackerland, liegen diese doch meist außerhalb des Bauperimeters?

Es gibt mehrere Gründe. Die Nachkommen eines Bauernanwesens interessieren sich nur noch selten für diesen Beruf. Nach einer Erbschaft wird das Land an meistbietende Interessenten verkauft. Bauträger, Gemeinden und Staat versuchen mit allen Mitteln zwecks der sogenannten Kompensierungsmaßnahmen möglichst viele Grundstücke aufzukaufen. Dies ist aus Sicht der Landwirtschaft eine Verschwendung von Land und Boden. Ein dritter Faktor sind Naturschutzprojekte. Jährlich stellt die Regierung der Naturschutzorganisation „natur&ëmwelt“ rund 5 Millionen Euro zum Erwerb von Landflächen zwecks Schaffung von Naturschutzprojekten zur Verfügung. Verstehen Sie es aber nicht falsch, als Obstbauverein befürworten wir Naturschutzprojekte. Sie spielen eine wichtige ökologische Rolle. Aber auch Obstwiesen schaffen ökologisch wertvollen Raum für Bienen, Insekten und Vögel. Eine Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren wäre auf diesem Gebiet sinnvoll.

Für den Obstanbau gibt es geografische Einschränkungen. Der Boden im Ösling eignet sich zum Beispiel nicht.
Für den Obstanbau gibt es geografische Einschränkungen. Der Boden im Ösling eignet sich zum Beispiel nicht. Foto: Editpress/Claude Lenert

Welche Politik herrscht an der Ackerbauschule? Immerhin werden dort junge Menschen ausgebildet, die zukünftig die Bevölkerung ernähren sollen.

Aus meiner Sicht entwickelt sich die Ausbildung in eine extrem ideologische Richtung. Alles muss grün sein, Bio und Solawi (Solidarlandwirtschaft). Die Landwirtschaft und somit auch der Obst- und Gemüseanbau können aber nicht in Schwarz oder Weiß funktionieren. Vielmehr müsste auf gesunden Menschenverstand geachtet werden, eine ausgewogene Mischung zwischen bio und konventionell. Die Solidarlandwirschaft ist eigentlich nicht verwerflich. Der Landwirt kann sich zu Jahresanfang auf die Mitgliedsbeiträge (z.B. 800 Euro) je Kunde freuen. Sein Jahresgehalt ist gesichert, unabhängig davon, wie die Ernte Monate später ausfallen wird. Auf der Kehrseite der Medaille steht der Kunde, Mitglied der Solawi. Nicht jeder Mensch hat die finanziellen Mittel, zu Jahresanfang 800 Euro an einen Landwirt für einen wöchentlichen Obst- oder Gemüsekorb zu überweisen. Bei einem teilweisen oder im schlimmsten Falle einem totalen Ernteausfall, beispielsweise durch ungünstige Wetterlagen oder Krankheiten, ist aus Kundensicht das Geld weg. Ware sprich Obst oder Gemüse erhält der Kunde nicht oder nur in geringem Maße.

Eine gesunde Alternative, die trotzdem Kundenbindung garantiert, ist der Direktverkauf ab Hof. Auch auf diese Weise entsteht gegenseitiges Vertrauen zwischen Kunde und Landwirt. Und eben auch ein vielfältiges Angebot. Vom Obstanbau alleine kann kein Landwirt überleben, also müssen wir dem Kunden ein breit gefächertes Produktangebot anbieten. Und das lässt sich sehr gut in Zusammenarbeit von mehreren Produzenten umsetzen.


125 Jahre Landesobstbauverein – Geschichte

Mit einem Schlag zerstörte der Frost im Winter 1879/80 mehr als die Hälfte aller Obstbäume in Luxemburg. Die Landwirte und Obstbauern standen vor einem Desaster. Mit dem Baumsatz neuer junger Bäume war es nicht getan, benötigen diese fast ein Jahrzehnt, bevor erste Erträge geerntet werden können. Nach dem Winter entstand die Idee zur Gründung eines Obstbauvereins, es dauerte jedoch noch bis Ostermontag 1894, als rund 30 Obstproduzenten in Diekirch dem Landesobstbauverein den Pfad zu einem Obstbauverein ebneten. Der Lehrer Nik Nickels arbeitete damals einen ersten Statutenentwurf aus. In einer ersten Generalversammlung am 9. September 1894 fand die definitive Gründung statt. J.P. Joseph Koltz, Forstinspektor in Luxemburg, wurde zum Vorsitzenden des neu gegründeten Vereins ernannt.

Innerhalb kürzester Zeit zählte der Landesobstbauverein um die 250 Mitglieder. Der Vorstand arbeitete ein erstes Maßnahmenpaket aus, um die Lücken der Frostschäden schnellstens zu überwinden. Zu den Maßnahmen zählten das Ermitteln geeigneter Bodenflächen, der Formobstbau, der damals nur spurenweise anzutreffen war, sowie die Förderung des Beerenobstes. Des Weiteren genossen die Mitglieder Fortbildungen und Fachvorträge in Sachen Baumpflege, Abwehr von Krankheiten an Bäumen und Sträuchern. Mit neuen Ideen lenkten die Mitglieder den Obsthandel und die Obstverwertung in neue Bahnen.

In den Folgejahren, insbesondere über die jährlichen Generalversammlungen und über das seit 1895 monatlich erscheinende Fachmagazin Der Obstbaufreund, vermittelten fachlich versierte Spezialisten ihr Wissen, um den Obstanbau erheblich zu verbessern. Immerhin waren Wörter wie Baumpflege um die Jahrhundertwende noch oftmals unbekannt unter den Produzenten. Es herrschte demnach viel Nachholbedarf in Sachen Ausbildung.

Briefmarke zum 125-jährigen Jubiläum des Landesobstbauvereins
Briefmarke zum 125-jährigen Jubiläum des Landesobstbauvereins

1904 wird die Schaffung einer Zentralstelle für Obstverwertung in der Ackerbau-Verwaltung publik gemacht. Fortan konnten sich Käufer und Verkäufer an einem Ort treffen. 1908, nach einer Fusion des Luxemburger Allgemeinen Obst- und Gartenbauvereins und des Luxemburger Landesobstbauvereins, zählte die Vereinigung 809 Mitglieder. 1909 wurde erstmals die Herstellung von Obstweinen thematisiert, zudem wurden Obstverkaufstage in Luxemburg, Differdingen, Rümelingen, Esch/Alzette und Düdelingen eingeführt.

Keine Universallösung

Der rationale Anbau, ein optimierter Handel und die Verwertung von Obst wurden weiter vorangetrieben. Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre folgten die Landwirte einem Trend aus dem Ausland: Obststreuwiesen wurden durch Niederstammobst ersetzt. In der Moselregion fand die Niederstammkultur Einzug in jene Flure, wo damals vom Weinbau noch keine Rede war. Die anfallenden Ernten stiegen volumenmäßig rasch an und somit die Schaffung von Genossenschaften zwecks Vertrieb und Verarbeitung der Äpfel.

Die Kriegsjahre gingen im Obstbau nicht spurlos vorbei. Angesichts der Lebensmittelknappheit rief die Vereinigung die Mitglieder im Jahr 1942 zum Anbau von Bohnen auf. In den Nachkriegsjahren standen die Obstbauern erneut vor einem Desaster, viele Bäume wurden im Krieg zerstört.

Ein guter Ansatz ist laut Jean-Claude Muller der Direktverkauf ab Hof
Ein guter Ansatz ist laut Jean-Claude Muller der Direktverkauf ab Hof Foto: Editpress/Julien Garroy

Anfangs der 1950er Jahre beschäftigten das Thema Europa und die Sanierung der Obstbaumbestände die Mitglieder der Vereinigung. Viele Sorgen bereiteten den Landwirten einerseits die Fehlernten, andere Landwirte klagten über Vollernten mit geringen Absatzmöglichkeiten. 1953 riet Nic Kieffer, damaliger Direktor der staatlichen Weinbaustation, den Landwirten und Winzern, einen intensiven Qualitätsobstbau nur dann zu betreiben, wenn genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stünden. In allen anderen Fällen sollte man sich nur auf den eigenen Bedarf beschränken. Luxemburg gelang der erfolgreiche Schritt in einen Qualitätsobstbau etwa in Steinsel, Schwebsingen und Bettendorf. Doch schon bald, zu Beginn der 1960er Jahre, war das Gespenst der Überproduktion und Absatzsorgen wieder akut.

Zum 125. Jubiläum des Landesobstbauvereins kann man genau wie zum 100. Gründungsjubiläum die gleiche Schlussfolgerung ziehen. Eine Universallösung zu den Sorgen um Rückschläge, Krankheiten und Pflanzenschutz, Produktionsausfälle, Überproduktion und Absatzsorgen gibt es bis heute nicht. Die weltweite Globalisierung trägt sicher nicht zum Positiven bei, wie man dem Buch zum 100. Jubiläum und der aktuellen Marktentwicklung entnehmen kann. Mit dem weltweiten Handel wurden neue Krankheiten nach Europa eingeschleppt. Billigobst aus der Ferne und veränderte Gewohnheiten der Konsumenten unterstützen die Luxemburger Obstproduzenten nicht.

Quelle: „100 Joer Lëtzebuerger Landes-, Uebst- a Gaardebauveräin“

de Schéifermisch
16. Juni 2021 - 16.40

A wéivill honnerte Bongerten, an deene nach just e puer Bamleiche stinn, sinn onbenotzt? A wéivill dausenden Äppel, Kiischten, Plaumen, Quetschen a Bieren, faulen un de Beem ? Dës Uebstwise leien ausserhalb vum Baupérimeter an déi meescht dovun werden och ni Bauland ginn Duerfir importéiere mir dann Uebst aus friemen, exotesche Länner. Mir brauche jo weder Äppel, Bieren oder Erdbier unzebauen oder ze plécken, well déi kréie mir am Supermarché.

Sepp
15. Juni 2021 - 16.50

Dann wohnen sie doch mal auf 50 Quadratmeter, dann sehen wir ob ihnen Obstbäume wichtiger sind als Bauland.

Bir
15. Juni 2021 - 8.49

Ländereien als Bauland ist interressanter als Obstbäume.