Gipfel-TreffenNATO-Neustart nach Trump und „Hirntod“-Diagnose

Gipfel-Treffen / NATO-Neustart nach Trump und „Hirntod“-Diagnose
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg will zwar mehr Geld für das Budget der Allianz, dürfte aber nicht nur wegen der pandemiebedingten finanziellen Lasten leer ausgehen Foto: Stéphanie Lecocq/AFP

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Ein Aufatmen ging durch die NATO, als Joe Biden in den USA neuer Präsident wurde. Nach den schwierigen Jahren mit seinem Vorgänger Donald Trump steht Bidens erster NATO-Gipfel am heutigen Montag in Brüssel im Zeichen einer Erneuerung der transatlantischen Beziehungen. Doch im Hintergrund gibt es Konfliktthemen. Und viele Pläne der Allianz bestehen noch aus mehr Fragen als Antworten. Ein Überblick:

2019 hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der NATO den „Hirntod“ attestiert. Er war verärgert darüber, dass die Türkei ohne Vorwarnung ihre „Aggression“ in Nordsyrien startete und Trump seine Truppen ohne „jegliche Koordinierung“ aus der Region abzog. Die schonungslose Diagnose war ein Grund für die eingeleitete Reform „NATO 2030“. Ein Ziel ist eine bessere politische Abstimmung. Vorstellbar sind Diplomaten zufolge neue Gesprächsforen und ein drittes Treffen der NATO-Außenminister pro Jahr.

Wie von Trump geplant, verlässt die NATO nach zwei Jahrzehnten Afghanistan. Trotz ungeduldiger Fragen der Verbündeten brauchte Biden Monate, um einen Zeitplan festzulegen und zu entscheiden, ob der Abzug noch mit Bedingungen an die radikalislamischen Taliban verknüpft wird. Diese gibt es nun nicht, die Zukunft des Landes ist ungewiss. Symbolträchtig soll der Abzug am 11. September abgeschlossen werden – dem Jahrestag der Terroranschläge in den USA von 2001, die zu dem Afghanistan-Einsatz führten.

China und ein überarbeitetes strategisches Konzept

Das strategische Konzept gegenüber China stammt aus dem Jahr 2010. Es soll aktualisiert werden, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Dabei geht es auch um die wachsende militärische Macht Chinas, die aber nicht alle Alliierten so stark wie Washington beunruhigt. Es scheint klar, dass die NATO militärisch in der Region auch künftig nur begrenzt präsent sein wird. Überarbeitet werden soll das strategische Konzept auch erst bis zum nächsten Gipfel 2022.

Reagiert hat die NATO auch ohne neues Konzept schon auf Russlands Annexion der Krim 2014 und den Ukraine-Konflikt. Weil sich östliche Verbündete seitdem selbst bedroht sehen, baute die Militärallianz ihre Fähigkeit aus, schnell große Mengen an Truppen zu verlegen. In der Gipfelerklärung soll es nun klare Worte zu Russlands Kurs geben, bevor Biden am Mittwoch in Genf erstmals mit Präsident Wladimir Putin zusammentrifft.

Angriffe im Weltraum können den Bündnisfall auslösen

Die NATO-Mitglieder hatten schon 2019 beschlossen, den Weltraum zum fünften Einsatzgebiet der Militärallianz neben den Bereichen Boden, Luft, See und Cyberspace zu machen. Ob der Bündnisfall damit auch für das Weltall galt, blieb aber in einer Grauzone. Der Gipfel will hier nun jeden Zweifel ausräumen, wenn es um massive Angriffe etwa auf für Kommunikation wichtige Satelliten geht.

Autonome Waffen, künstliche Intelligenz oder immer raffiniertere Cyberangriffe: Die NATO will technologisch auf der Höhe bleiben. Der Gipfel will deshalb einen „Innovationsbeschleuniger“ beschließen – ein Technologiezentrum, um im Rüstungsbereich die Zusammenarbeit von Start-ups, Industriekonzernen und Universitäten zu fördern. Mitgliedstaaten sollen dabei über einen NATO-Innovationsfonds Geld für Projekte bereitstellen.

Was zum Hauptstreitthema unter Trump führt, das noch lange nicht vom Tisch ist: höhere Verteidigungsausgaben. Nach NATO-Zahlen erreichen 2021 nur zehn der 30 Mitglieder das Bündnisziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung bei den Militärbudgets. Mehrere Staaten, die deutlich darunter liegen, dürften in den kommenden Jahren unter Druck bleiben – auch wenn das Drängen aus Washington weniger offensiv als unter Trump ausfallen wird.

Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte im Zuge der Bündnisreform eine stärkere gemeinsame Finanzierung von NATO-Aufgaben. Bisher macht das Gemeinschaftsbudget mit 2,5 Milliarden Euro nur 0,3 Prozent der jährlichen Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder aus. Eine von Stoltenberg angestrebte Verdopplung ist vom Tisch, nachdem Frankreich auf die Bremse trat. Es dürfte bei einer allgemeinen Unterstützung des Plans ohne konkrete Zahlen bleiben. (AFP)