Alain spannt den Bogen„Künstlerische Vielfalt muss über die ganze Spielzeit gewährleistet sein“

Alain spannt den Bogen / „Künstlerische Vielfalt muss über die ganze Spielzeit gewährleistet sein“
Cécile Bullot plant das Programm in der Philharmonie Foto: Philharmonie

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In unserer Backstage-Reihe werfen wir einen Blick hinter die Kulissen der Philharmonie. Den Auftakt macht unser Interview mit Cécile Bullot, Artistic Planning & Project Manager.

Tageblatt: Durch welche Aspekte definiert sich ein gutes Programm?

Cécile Bullot: Ich glaube, es ist wichtig, dass für jeden etwas dabei ist. Natürlich ist die Philharmonie hauptsächlich auf klassische Musik fokussiert, es ist aber dennoch wichtig, diesen Saal mit anderen Sparten zu füllen. Die Philharmonie ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Man kommt hierher, um etwas Besonderes zu erleben. Sehr wichtig ist für uns, dass wir nicht zu einem Museum werden, wo immer die gleichen beliebten Stücke wiederholt werden. Unsere Aufgabe besteht auch darin, das Publikum mit neuen und selten gehörten Werken bekannt zu machen. Natürlich, die Symphonien von Beethoven, Mahler, Brahms und Bruckner sind die Säulen des symphonischen Repertoires und sollen auch in keiner Spielzeit fehlen. Dennoch ist es wichtig, auch andere Stücke mit ins Programm zu nehmen.

Entscheidend ist auch eine gesunde Mischung der Künstler. Es gibt viele, die kommen schon seit Jahren regelmäßig nach Luxemburg. Wie Grigori Sokolov, Hélène Grimaud, Riccardo Muti, das London Symphony Orchestra oder die großen amerikanischen Orchester. Ein Haus wie das unsere braucht große Namen und die Menschen wünschen sich, auch diese Ausnahmemusiker live zu erleben. Aber wir finden es auch unbedingt notwendig, den jungen Musikern eine Chance zu bieten, wie beispielsweise in der Konzertserie Rising Stars, die es jungen Talenten ermöglicht, in den besten Konzerthäusern Europas aufzutreten. Und auch sollen immer wieder neue Künstler und Ensembles nach Luxemburg eingeladen werden, wie beispielsweise das Israel Philharmonic Orchestra.

Und wie kann man sich eine Programmplanung jetzt konkret vorstellen?

Der Künstlerische Leiter Matthew Studdert-Kennedy ist verantwortlich für das gesamte Programm der Philharmonie. Dann gibt es für jede Sparte einen Verantwortlichen, also für die zeitgenössische Musik, für die „Education programs“, Jazz, Weltmusik, Kammermusik, usw. Ich bin verantwortlich für den Bereich der Symphoniekonzerte. Anders wäre das auch gar nicht möglich, denn wir haben rund 450 Konzerte pro Spielzeit zu planen. In anderen Worten, nachdem unser Programmdirektor das Programm einer Spielzeit festgelegt hat, übernehme ich dann die Kontaktaufnahme zu den jeweiligen Orchestern, arbeite die Verträge aus und plane ihren Aufenthalt vom Eintreffen bis zur Abreise, also die ganze Logistik über die Hotelbuchungen bis hin zu der Begleitung hier vor Ort. Ich gebe dann auch alle Informationen an unser Bühnenteam weiter, das dann die praktische Umsetzung plant. Meine Kollegen in den anderen Sparten tun dann das Gleiche.

Allerdings muss ich auch sagen, dass verschiedene Verantwortliche einen größeren Spielraum beim Mitreden und der Organisation der Konzerte haben, weil sie sich eben besser in den verschiedenen, spezifischeren Bereichen auskennen als der Programmdirektor. Zeitgenössische Musik, Pop und Rock, Kinderprogramme sind solche Sparten. Die Planung machen wir dann auch im Team. Da gibt es einen großen weißen Kalender und der muss gefüllt werden. Wir müssen aufpassen, die Termine so zu legen, dass die großen Orchester nicht alle in einer Woche auftreten und dieselben Werke nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums mehrmals gespielt werden. Künstlerische Vielfalt muss über die ganze Spielzeit gewährleistet sein.

Wie gehen Sie bei der Auswahl der eingeladenen Künstler vor?

Wir arbeiten seit Jahren hauptsächlich mit denselben Partnern, also Agenturen, Solisten, Orchestern, Dirigenten. Alleine das gibt schon eine Sicherheit und ein gewisses Rückgrat. Wir fragen dann beispielsweise bei den Agenturen an, wer, wann und mit welchem Programm auf Tournee ist und ob dies dann in unsere Planung passt. Wir können jetzt nicht die eine Woche die Berliner Philharmoniker mit Beethovens Fünfter auftreten lassen und eine Woche später die Wiener Philharmoniker mit demselben Werk. Da aber die meisten Ensembles mit zwei oder drei Programmen auf Tour gehen, gelingt es uns, das meistens anzupassen. Oft sind es dann auch die Agenturen, die uns kontaktieren. Wenn z.B. ein Orchester in Paris spielt und fünf Tage später in Köln, dann kann man noch ein Konzert dazwischen einfügen. Bei anderen Häusern läuft es ähnlich ab. Es geht ja auch darum, bei Konzertreisen ein großes Hin und Her zu vermeiden, was ja auch hohe Kosten mit sich bringt.

Oft bestehen ja auch regelrechte Partnerschaften mit den Künstlern …

Genau, vieles wird dann mit ihnen direkt ausgehandelt. Das kann dann auch über Herrn Gehmacher laufen, der einen guten Kontakt zu diesem oder jenem Künstler oder Orchester hat. Oft sind es auch Künstler, die fragen, um hier wieder auftreten zu können. Und wenn sich solche Partnerschaften entwickeln, profitiert eigentlich auch jeder davon. Viele Künstler haben ja auch eigene, persönliche Projekte, die sie durchsetzen wollen und wobei sie auf unsere Hilfe angewiesen sind. Unser Ziel ist es einerseits, dem Publikum hochwertige Konzerte anzubieten und andererseits auch den Künstlern das Gefühl zu vermitteln, dass sie willkommen sind. Und ein Künstler oder ein Orchester, die gerne kommen, spielen dann auch meistens ein gutes Konzert. Natürlich kommen auch oft spontane Anfragen, die eigentlich nicht geplant waren. Und wenn dann Termine frei sind, kann ein solches Konzert, vorausgesetzt, es entspricht auch unseren Erwartungen, gerne noch nachträglich in das Programm aufgenommen werden.

Sie kümmern sich auch um die Programmplanung des „Orchestre philharmonique du Luxembourg“.

Ja, das ist aber eine etwas andere Arbeit. Wir haben das OPL ganzjährig und den Chefdirigenten Gustavo Gimeno während zehn Wochen zur Verfügung. Wir beginnen zuerst damit, die Wochen, wo Gustavo Gimeno, der ja viele internationale Verpflichtungen als Gastdirigent hat und jetzt auch Chefdirigent in Toronto ist, für das OPL zur Verfügung steht, mit ihm zu planen. Welche Werke sollen gespielt, welche Solisten sollen dafür eingeladen werden? Dann hat das OPL auch eigene Wünsche, was Programm, Solisten und Gastdirigenten anbetrifft. Bei der Planung versuchen wir dann natürlich, allen Wünschen so gut wie möglich gerecht zu werden.

Wie weit im Voraus muss denn geplant werden?

Wir planen eigentlich zwei Spielzeiten im Voraus. Besonders was die ausländischen Orchester angeht, denn diese Touren, die ja meistens durch verschiedene Länder gehen, müssen sehr langfristig geplant und organisiert werden. Man kann nicht auf die Schnelle so mal 70 Hotelzimmer buchen.

Sind die Künstler eigentlich sehr anspruchsvoll?

Nein, gar nicht. Die sind schon sehr professionell. Natürlich gibt es hier und da einmal Sonderwünsche, aber die sind meistens sehr bescheiden. Wir versuchen auch immer, unsere Musiker sehr persönlich und individuell zu behandeln und zu begleiten. Und die Qualität der Hotelzimmer ist sowieso garantiert. Da arbeiten wir auch schon seit Jahren mit den gleichen Partnern. Nur die amerikanischen Orchester sind etwas speziell. Bei denen ist die ganze Tournee voll durchorganisiert und ihre Verantwortlichen kümmern sich wirklich quasi um alles. Sie buchen die Hotels, die Bustransfers, kümmern sich um die Instrumente, etc. Die kommen, packen aus und spielen.

Die Kartenpreise sind in Luxemburg sehr sozial. Für das gleiche Konzert kann man in Baden-Baden, beim Lucerne Festival oder bei den Salzburger Festspielen gerne mal das Dreifache zahlen.

Symphoniekonzerte sind immer Verlustgeschäfte. Es sind ja nicht nur die zwei Stunden Konzert, die bezahlt werden müssen, sondern auch die Flüge, die Transfers, die Hotelzimmer sowie das Personal und die Unkosten der Philharmonie selber. Und die Musiker reisen ja nicht alleine. Da kommt noch eine ganze Personaldelegation dazu. Nein, mit Eintrittspreisen sind solche Konzerte nicht zu bezahlen. Wir können sehr froh über die großen Hilfsmittel sein, die wir als Philharmonie bekommen. Sonst könnte auch ein Haus wie dieses, was das ganze Jahr über bespielt wird, nicht existieren.

Welchen Einfluss hat denn die momentane Corona-Situation auf die Planung der kommenden Spielzeiten?

Einerseits planen wir so, als gäbe es keine Krise. Das tun andere Häuser auch, ansonsten würde der Konzertbetrieb komplett in sich zusammenbrechen. Natürlich wissen wir auch, dass die nächste Spielzeit keine amerikanischen Orchester nach Europa kommen, und haben daher umdisponiert. Der Rest ist dann kurzfristige Improvisation, wie beispielsweise das Konzert von gestern mit dem OPL und Jérémie Rhorer. Wir wissen ja nicht, wie lange die Krise noch dauert und welche langfristigen Auswirkungen sie auf das Konzertleben hat.