ItalienSchwierige Aufarbeitung des Seilbahnunglücks von Stresa

Italien / Schwierige Aufarbeitung des Seilbahnunglücks von Stresa
Ein Absperrband ist um die Trümmer einer Seilbahngondel gespannt, nachdem diese am norditalienischen Monte Mottarone abgestürzt ist Foto: Luca Bruno/AP/dpa

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Der fünfjährige Eitan, einzig Überlebender des Seilbahnunglücks vom 23. Mai am Monte Mottarone, konnte am Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen und in die Obhut seiner Tante gegeben werden. Die juristische Aufarbeitung ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, eine Untersuchungsrichterin musste abberufen werden.

Zweieinhalb Wochen nach dem Seilbahnunglück am Monte Mottarone konnte der fünfjährige Eitan Biran aus dem Krankenhaus entlassen werden. Der Junge war der einzige Überlebende des Unglücks vom 23. Mai, als bei einem Absturz einer Seilbahngondel 14 Menschen ums Leben kamen, darunter fünf Israelis aus der Familie des Jungen. Zunächst hatten die beiden mitreisenden Kinder – auch Eitans zweijähriger Bruder – das Unglück überlebt, doch der kleine Tom verstarb noch an der Absturzstelle. Eitan war per Helikopter in ein Krankenhaus nach Turin gebracht worden, am Donnerstag konnte er nun in die Obhut seiner in Pavia lebenden Tante gegeben werden. Der Fünfjährige kann sich selbst an das Ereignis nicht mehr erinnern, italienischen Medienberichten zufolge habe man ihn aber über den Tod von Eltern, Großeltern und Geschwisterkind unterrichtet.

Taya Biran, die Schwester des Vaters Amit, arbeitet seit längerem in Pavia als Ärztin. Hier wollten der Bruder sowie Eitans Mutter ihre Medizinstudien beenden – niemand aus der Familie ahnte das plötzliche Ende, als sie am vorletzten Maiwochenende zum ersehnten Ausflug aufbrachen. „Wir dachten, die Großeltern wären in Italien sicher vor den neuerlichen Bombardements in Israel“, erklärte Taya Biran.

Aufklärung weitgehend erschwert

Die sachliche und juristische Aufklärung des Unglücks scheint offensichtlich mit größeren Schwierigkeiten verbunden zu sein, als man zunächst annehmen durfte. Der leitende Sicherheitstechniker, Gabriele Tadini, hatte als einziger Mitarbeiter des Seilbahnbetreibers eingeräumt, mit einer so genannten Klammer die Notbremse blockiert zu haben. Als das Zugseil riss, war die Kabine daraufhin mit etwa 100 km/h bis zum letzten Pfeiler zurückgerollt und dort vom Halteseil gestürzt.

Tadini erklärte jedoch nicht, dass diese Klammernutzung bereits im Vorfeld mehrfach praktiziert wurde. Ein Schweizer Tourist gab den örtlichen Ermittlungsbehörden Videoinformationen, nach denen bereits 2014 – also zwei Jahre vor der letzten Generalwartung – die Klammer zum Blockieren der Notbremse eingesetzt wurde.

Die Untersuchungsrichterin verfolgte offenbar solche sachdienlichen Hinweise nicht weiter, sie ließ sich unter anderem auf die Aussagen des Eigentümers der Bahn, Luigi Nerini, sowie des Geschäftsführers, Enrico Perocchio, ein, über die geübte Praxis nicht informiert zu sein. Beide Mitarbeiter der Seilbahngesellschaft wurden daraufhin von Untersuchungsrichterin Donatella Banci Buonamici auf freien Fuß gesetzt. Lediglich Tadini musste einen Hausarrest antreten.

Die Maßnahmen riefen heftige Proteste in der Öffentlichkeit und unter den Hinterbliebenen hervor. Die übergeordnete Staatsanwaltschaft verfügte, dass die Haftentlassung wieder aufgehoben und die Ermittlungen erweitert wurden.

Oberster Gerichtsrat überprüft Vorgehen

Der Oberste Rat für das Gerichtswesen (CSM), die Instanz, die in Italien Richter und Staatsanwälte beruft oder abberuft, hat nun eine Untersuchungskommission zu den juristischen Vorfällen in Stresa einberufen. Unter der Leitung der bislang vor allem als Mafia-Jäger bekannten CSM-Mitglieder Nino Di Matteo und Sebastiano Ardita wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die die juristischen Vorfälle in Stresa untersuchen sollte. Die bislang ermittelnde Untersuchungsrichterin Banci Buonamici wurde von dem Fall abgezogen. Welche Rolle der Gerichtspräsident von Verbania, Luigi Montefusco, bei der offensichtlichen Verschleppung der Ermittlungen spielte, wird von der Obersten Gerichtskommission derzeit untersucht. Aufklärung wird von vielen Seiten gefordert.

Im Raum steht der Verdacht, man wolle das Unglück als einen tragischen Unfall darstellen, um nicht die Reputation des Touristenortes Stresa und des Gebiets um den Lago Maggiore kurz vor der sommerlichen Ferienzeit zu beschädigen. In die aktuellen Ermittlungen wurden nun auch zwei weitere Unfälle einbezogen, die sich 2017 und 2019 auf der Schienenrodelbahn im Vergnügungspark „Alpyland“ am Monte Mottarone zugetragen hatten. Dabei waren je ein Mitarbeiter und ein Fahrgast verletzt worden. Auch „Alpyland“ befindet sich im Besitz Luigi Nerinis, Eigentümer der Unglücksseilbahn. In beiden Fällen wird wegen Körperverletzung gegen Nerini ermittelt.