DeutschlandDie große Koalition attackiert sich immer heftiger – ein Friedensgipfel ist nicht in Sicht

Deutschland / Die große Koalition attackiert sich immer heftiger – ein Friedensgipfel ist nicht in Sicht
Kanzlerin Angela Merkel verlässt den Bundestag. Ende Juni kommen die deutschen Volksvertreter zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode zusammen. Foto: Odd Andersen/AFP

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Eigentlich wäre die Zeit reif für einen Koalitionsausschuss, um die Wogen zwischen Union und SPD etwas zu glätten. Die gegenseitigen Attacken haben überhandgenommen, auch inhaltlich hakt es gewaltig. Doch das Interesse an einem Friedensgipfel tendiert auf beiden Seiten gegen null. Wozu auch? Die große Koalition befindet sich in ihrem Endstadium.

Die Lage. Das Parlament schließt nach der letzten Sitzungswoche Ende Juni seine Pforten, im September folgt die Bundestagswahl. Fast täglich sitzen die Koalitions-Arbeitsgruppen zwar über noch offenen Gesetzesplänen. Doch die Bereitschaft zu Zugeständnissen und Kompromissen ist rapide gesunken – oder wie ein führender Koalitionär einräumt: „Manches ist nur noch eine echte Belastungsprobe.“

Die Konflikte. Davon gibt es noch einige. Erst in letzter Minute konnte man sich beim Insektenschutz, dem Bundespolizeigesetz oder dem Lieferkettengesetz einigen. Das hat Spuren hinterlassen. Komplett beerdigt wurde hingegen jetzt das Vorhaben, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Darüber, ob der Heizkosten-Aufschlag durch die CO2-Bepreisung hälftig zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden soll, wird weiter gestritten. Das Klimaschutzgesetz insgesamt muss auch noch über die Rampe geschoben werden. Neuer Ärger ist programmiert.

Die Stimmung. Sie ist – gelinde gesagt – aufgeheizt. Man könnte auch sagen, die Nerven liegen bei manchem der schwarz-roten Partner blank. Scharmützel gehören in einer Koalition zum politischen Geschäft, keine Frage. Vor allem dann, wenn das Bündnis eine ohnehin schwere Geburt gewesen ist und beide Seiten eigentlich nie miteinander wollten. Parallel zur herannahenden Bundestagswahl sinkt dann die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zusätzlich. Doch inzwischen geht es mächtig unter die Gürtellinie. Vor allem die SPD scheint sich für einen aggressiveren Kurs entschieden zu haben angesichts der sehr schlechten Umfragen.

Der Mega-Streit. Es begann in der Corona-Krise, als die Genossen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon einen Fragekatalog zur Impfstrategie vorlegten – das wurde bereits als böse Grätsche angesehen. Die Union revanchierte sich mit Attacken auf SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wegen seiner vermeintlichen Verstrickung in den Wirecard-Skandal. Nun fordern die Genossen sogar den Rücktritt von Spahn. Wegen angeblich minderwertiger Masken, die an soziale Einrichtungen verteilt werden sollten. An den Vorwürfen ist aber augenscheinlich nichts dran. In der Folge wird jetzt hemmungslos aufeinander eingedroschen – es fallen Worte wie „Lügen“, „Foulspiel“, „empörend“, „ganz untere Schublade“. Die ersten Koalitionäre bezweifeln bereits, dass das Bündnis noch „mit Anstand“ beendet werden kann.

Nicht alle streiten mit

Die Protagonisten. Dass sich Angela Merkel mit deutlichen Worten in einen Koalitionszwist einmischt, wie jetzt bei den Anschuldigungen gegen Spahn, hat Seltenheitswert. Das zeigt, wie es um das Bündnis bestellt ist – miserabel. Die Vorwürfe seien nicht von Fakten gedeckt, meinte die Kanzlerin am Montag in den CDU-Gremien. Auch Parteichef Armin Laschet fand harsche Worte: Die SPD versuche es mit „Negative Campaining“ und spiele mit den Ängsten der Menschen. Die Union schließt die Reihen. Auf Seiten der Genossen melden sich derzeit vor allem die beiden Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken mit Kritik am Koalitionspartner zu Wort, was nicht jedem in der SPD behagt. Offenbar auch nicht Kanzlerkandidat Scholz, der sich merklich zurückhält – die Polarisierung durch die beiden ungestümen Vorsitzenden passt nicht zu seiner Wahlkampfstrategie.

Der Lichtblick. Es knirscht offenkundig mehr zwischen den Parteiführungen und verschiedenen Ministern wie Spahn und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Weniger aber zwischen den Fraktionsspitzen um Ralph Brinkhaus (Union) und Rolf Mützenich (SPD), sagen Insider. Das macht Hoffnung, dass die Koalition doch noch hier und da handlungsfähig ist.