InselstaatAbschottung wegen Corona-Pandemie: Vom Multikulti-Paradies zur „Festung Australien“

Inselstaat / Abschottung wegen Corona-Pandemie: Vom Multikulti-Paradies zur „Festung Australien“
Wiedersehen dank Reisekorridor: Wenigstens Neuseeland ist wieder erreichbar Foto: AFP/Marty Melville

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Australien hat die Pandemie bisher besser als viele Nationen bewältigt. Doch nun fehlen Perspektiven für die Bevölkerung: Die Impfkampagne läuft schleppend, eine Grenzöffnung scheint in weite Ferne gerückt. Damit droht das Land, den Vorsprung, den es erkämpft hat, zu verlieren.

Lange Jahre galt Australien als multikulturelles Paradies: Menschen aus fast 200 Nationen leben auf dem fünften Kontinent. Doch während der Pandemie hat sich der Inselstaat so abgeschottet, dass manche inzwischen von der „Fortress Australia“ oder auf Deutsch der „Festung Australien“ sprechen.

Geschlossene Grenzen haben gepaart mit strengen Quarantäneprogrammen und Kontaktverfolgung Australien bisher erfolgreich durch die Pandemie gesteuert: Bisher registrierte das Land knapp 30.000 Infektionen und 910 Todesfälle. Doch durch die Grenzschließung und die begrenzten Quarantäneplätze ist es selbst für australische Bürger schwierig und vor allem teuer, aus dem Ausland in ihr Heimatland zurückzukehren. Australier, die ihr Land derzeit verlassen wollen, brauchen ebenfalls einen triftigen Grund und müssen eine Ausnahmegenehmigung einholen.

Strafen für Rückkehrer aus Indien

Die fast hermetische Abriegelung des Landes führte dazu, dass teilweise bis zu 40.000 Australier im Ausland festsaßen und nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. Zwischenzeitlich sorgte bei vielen auch die Regelung für Empörung, die es australischen Reisenden aus Indien, wo die Pandemie derzeit besonders stark wütet, verbot, nach Hause zu reisen. Sollten sie es trotzdem versuchen, drohten ihnen Geldstrafen von bis zu 66.600 Australischen Dollar, umgerechnet fast 43.000 Euro, fünf Jahre Gefängnis oder beides.

Diese Regel wurde Mitte Mai zwar wieder aufgehoben und inzwischen ist auch wieder der erste Flieger aus Indien in Australien gelandet – doch 70 der insgesamt 150 Passagiere wurden letztlich noch in Indien wieder abgewiesen, nachdem sie oder ein Verwandter vor dem Flug positiv auf Covid-19 testeten. Mehrere australische Experten für öffentliche Gesundheit haben inzwischen dafür plädiert, diese australischen Staatsbürger im Rahmen einer „medizinischen Evakuierung“ nach Hause zu transportieren, doch eine politische Entscheidung ist dazu bisher nicht gefallen.

Geschlossene Grenzen bis Mitte 2022?

Obwohl seit April ein Reisekorridor mit Neuseeland besteht, hat Australien bisher keinen Zeitplan angegeben, wann es seine Grenzen wieder für die Außenwelt öffnen will. Das aktuelle Haushaltsbudget ist so berechnet, als würden die Grenzen noch bis mindestens Mitte nächsten Jahres geschlossen bleiben. Letzteres könnte auch damit zusammenhängen, dass die Impfkampagne eher schleppend läuft. Nur drei Millionen Impfdosen sind bisher vergeben worden – das heißt nur ein Bruchteil der insgesamt 25 Millionen Australier ist vollständig geimpft.

Doch die Hardliner-Politik scheint in der australischen Öffentlichkeit Unterstützung zu finden: Laut einer Umfrage des Lowy Instituts in Sydney ist beispielsweise nur ein Drittel der Australier der Meinung, dass die Regierung mehr tun sollte, um ihre eigenen Bürger zurück ins Land zu holen. Demografen und Soziologen haben zudem beobachtet, dass sich auch das Selbstbild der Australier als „Weltbürger“ in den vergangenen Monaten verändert hat. Einige Experten würden deswegen bereits hinterfragen, was dies „über die kollektive australische Psyche“ aussage, hieß es am Wochenende in der australischen Ausgabe des Guardian. Wie könne ein Volk, das bisher auf sein multikulturelles Erbe stolz war, plötzlich solch strenge Grenzschließungen unterstützen?

Eine günstige Geografie und viel Glück

Liz Allen, eine Demografin an der australischen Nationaluniversität in Canberra, ist inzwischen in Sorge, dass Australien die Vorteile, die es durch sein Handeln während der Pandemie gewonnen hat, nun wieder verspielen wird. „Australien hat nichts Besonderes oder Wunderbares getan, um Covid einzudämmen“, sagte sie dem Guardian. Vielmehr habe es von seiner Geografie profitiert und einfach auch Glück gehabt. „Wir haben ein Loch gegraben und unseren Kopf hineingesteckt, und nun werden wir dort bleiben“, sagte sie.

Es werde derzeit weder über Risiken diskutiert noch über den Bau neuer Quarantäneeinrichtungen – alles aus der Angst heraus, dass etwas „schiefgehen“ könnte. Dies könnte das Land nun sowohl kulturell wie auch wirtschaftlich zurückwerfen. Bereits am Freitag äußerte sich auch eine Gruppe, die sich aus den Bereichen Wirtschaft, Recht, Kunst und Wissenschaft zusammengeschlossen hat, ähnlich. Sie forderte die Regierung auf, eine Strategie für ein „Leben mit Covid“ zu entwickeln, um einen Imageschaden für Australien zu vermeiden.

Ein Volk im „goldenen Käfig“

Innes Willox, Chef des australischen Arbeitgeberverbands (Ai Group), fürchtet um noch mehr als nur den guten Ruf Australiens. „Wir sind eine Wirtschaft, die auf offenen Grenzen aufgebaut ist“, sagte er in einem Interview mit dem australischen Sender ABC. Australien bräuchte internationale Studenten, Touristen und Migranten. „Es wird also eine unvermeidliche Abrechnung geben“, glaubt der Wirtschaftsexperte.

Noch würde Australien die Wettbewerbsvorteile eines von der Welt abgeschnittenen Landes spüren, das sich sicher vor der Pandemie fühlt, die überall sonst tobt. Doch die Frage sei, wie lange die australische Regierung das Volk noch weiter in einem „goldenen Käfig“ halten könne, vor allem wenn immer mehr Länder öffnen und die Normalität zurückkehrt. In Willox’ Augen bleiben Australien nur zwei Optionen: die Wirtschaft vollständig zu ändern oder eben doch einen Weg zu finden, zur alten Lebensweise zurückzukehren.