InterviewDer Europaabgeordnete Peter Liese über die Impfkampagne der EU

Interview / Der Europaabgeordnete Peter Liese über die Impfkampagne der EU
Der deutsche EVP-Europaabgeordnete Peter Liese geht davon aus, dass das EU-Impfziel „deutlich“ vor dem September erreicht wird Foto: European Union 2020 – EP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die EU hat ihren Rückstand bei der Impfung aufgeholt. Dennoch soll die Impfkampagne bis 2023 wei-tergehen. Die EU hat eine neue Milliarden-Bestellung bei Biontech aufgegeben und rückt von AstraZeneca ab. Was steckt dahinter? Interview mit dem Mediziner und EVP-Europaabgeordneten Peter Liese.

Tageblatt: Nach einem schleppenden Start läuft die Impfkampagne in der EU nun auf Hochtouren. Kann Europa den Rückstand zu den USA noch aufholen?

Peter Liese: Ja, die ersten Monate waren schwierig, aber man kann jetzt optimistisch sein. Europa impft derzeit schneller als die USA. Wir werden daher deutlich früher als im September das EU-Ziel erreichen, 70 Prozent der Erwachsenen ein Impfangebot zu machen. Die Impfung wird Corona in wenigen Wochen komplett den Schrecken nehmen.

Die EU-Kommission hat gerade bis zu 1,8 Mrd. Impfstoffdosen bei Biontech/Pfizer bestellt – für 2022 und 2023. Wozu brauchen wir noch so lange und so viel Impfstoff, wenn Corona bald seinen Schrecken verliert?

Das ist kein Widerspruch. Wir sollten vorbereitet sein – man denke nur an die Mutanten. Vielleicht ist es auch sinnvoll, wie bei der Grippe jedes Jahr eine neue Schutzimpfung gegen Corona zu machen. Einige EU-Staaten waren im letzten Jahr zu zögerlich bei der Bestellung. Deshalb ist es richtig, jetzt offensiv zu sein!

Biontech hat den Preis für sein Vakzin deutlich erhöht, die Rede ist von 50 Prozent mehr. Ist das vertretbar?

Die genauen Preise kenne ich nicht. Biontech ist ein sehr zuverlässiger Partner. Das Unternehmen macht eine „EU first“-Politik und liefert mehr, als vertraglich zugesichert ist. Wir brauchen solche Partner – deshalb halte ich das für vertretbar.

Der Vertrag mit AstraZeneca wird nicht verlängert, ein französischer Anbieter kam nicht zum Zuge. Bekommt Biontech nun ein Monopol?

Ein Monopol ist das nicht. Noch vor dem 1. Juli soll Curevac hinzukommen – mit 300 Millionen Dosen. Damit hätten wir einen dritten mRNA-Hersteller. Außerdem haben wir noch Moderna und Johnson&Johnson. Das ist also noch eine gewisse Wettbewerbssituation.

Dennoch sieht es nach einem Strategiewechsel aus. Bisher setzte die EU doch auf ein breites Portfolio – und nicht nur auf mRNA-Präparate.

Ja, aber wir haben jetzt auch eine andere Situation. Vakzine auf mRNA-Basis haben sich bewährt, und wir wissen jetzt mehr über die Hersteller als vor einigen Monaten: AstraZeneca schlecht, Biontech gut. Das sind zwei objektive Tatsachen, die einen Strategiewechsel rechtfertigen.

Europa impft derzeit schneller als die USA. Wir werden daher deutlich früher als im September das EU-Ziel erreichen, 70 Prozent der Erwachsenen ein Impfangebot zu machen.

Peter Liese, EVP-Europaabgeordneter

Neu ist auch, dass nun auch Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen …

Ja, und ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Zulassung noch im Mai erfolgt. Das ist wichtig für Kinder mit Risikoerkrankungen, zum Beispiel mit Herzfehlern. Es ist aber auch wichtig für die Schulöffnungen – wenn sich viele Erwachsene nicht impfen lassen, muss man auch die Impfung von Jugendlichen ins Auge fassen.

Die EU hatte versprochen, Ländern wie Indien über die Covax-Initiative zu helfen. Doch die Hilfe stockt. Muss Brüssel mehr tun?

Alle müssen mehr tun, aber das Team Europe hat schon viel geleistet, die EU ist da vorn.

Bisher wurden nur knapp 60 Millionen Impfdosen an 122 Länder geliefert. Bis Ende 2021 sollen es eigentlich zwei Milliarden Vakzine sein …

Ja, und selbst diese Ziele sind noch viel zu niedrig. Die Kommission und die Mitgliedstaaten waren vielleicht ein bisschen naiv. Großbritannien und die USA hatten sich schon riesige Impfstoffmengen gesichert, als wir noch geglaubt haben, Covax könne die ganze Welt impfen.

Indien fordert nun, die Patente freizugeben – und bekommt Rückendeckung aus den USA. Macht sich die EU mit ihrem Nein nicht unglaubwürdig?

Die USA machen sich einen schlanken Fuß. Sie haben ja nicht einmal AstraZeneca-Vakzine freigegeben, die sie selbst nicht gebraucht haben. Dass sie nun für die Freigabe von Patenten sind, ist ein Ablenkungsmanöver. Zudem muss man wissen, dass die Herstellung von mRNA-Impfstoffen ausgesprochen schwierig ist. Es reicht nicht, nur das Patent zu haben, Sie brauchen das Knowhow und eine technologische Partnerschaft. Das ist wie bei einem französischen Spitzenkoch. Er kann Ihnen das Rezept geben, aber sein Essen kriegen Sie trotzdem nicht hin.

Biontech macht Milliardengewinne, warum sollte das Unternehmen sein Knowhow nicht teilen?

Auch Biontech hätte es ohne den Schutz des geistigen Eigentums nicht geschafft. Es gab zwar öffentliche Unterstützung, aber das meiste Geld kam von privaten Investoren. Dass das Unternehmen nun Gewinne macht, ist nun mal das Wesen von Risikokapital. Die einen haben Erfolg, die anderen – wie Curevac – haben noch gar nichts verdient. Ich sehe bei Biontech nun allerdings eine große soziale Verantwortung. In meinen Gesprächen mit dem Unternehmen appelliere ich auch an diese Verantwortung. Doch am Ende geht es nur durch Kooperation.

Pit Meier
18. Mai 2021 - 6.46

"Die EU hat ihren Rückstand bei der Impfung aufgeholt...". Soll das ein Witz sein? Heute ist nicht der erste April! Bis heute hat Deutschland erst 11% der Bevölkerung vollständig geimpft. Luxemburg liegt bei 10%. Das medienwirksame Impfzentrum Kirchberg wird zeitweise wieder geschlossen wegen Mangel an Impfstoff. In der Zeitung Die Zeit kann man den aktuellen Impfstand der Länder verfolgen. Die EU soll ihren Bauchladen zumachen!