Florence Welch„Useless Magic“ – das intime Notizheft einer großen Künstlerin

Florence Welch / „Useless Magic“ – das intime Notizheft einer großen Künstlerin
Vier Alben hat die Band Florence + The Machine bisher veröffentlicht. Sie heißen: „Lungs“, „Ceremonials“, „How Big, How Blue, How Beautiful“ und „High as Hope“ Foto: Penguin Verlag

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Musik und Magie fallen laut der britischen Songwriterin Florence Welch in eins. Der Haken dabei? Der Zauber der Lieder sei unnütz, denn der Sinn würde sich der Verfasserin meist erst viel später erschließen. Das schreibt die Leadsängerin von Florence + The Machine ihrem Band „Useless Magic“. Das Werk ist eine illustrierte Sammlung aus Liedtexten, Gedichten, handschriftlichen Vermerken und persönlichem Fotomaterial. Leser erhalten freie Einblicke in das Leben und Wirken der 34-Jährigen, dementsprechend tief ist auch der Eindruck, den der Band hinterlässt. Seinen Titel straft er damit Lügen.

„Songs können unglaublich prophetisch sein, wie unterbewusste Warnungen oder Botschaften an mich selbst, aber ich weiß oft erst Jahre später, was ich damit sagen will.“* Diese Worte schickt Florence Welch, Musikerin und Frontfrau der britischen Indie-Band Florence + The Machine, ihrem Buch in der Vorrede voraus. „Oder eine Vorhersage wird wahr und ich konnte nichts dagegen tun, sodass es wie eine Art nutzlose Magie wirkt.“

Nutzlose Magie – also „Useless Magic“ – heißt dann auch der Titel des Werks, das die britische Sängerin 2020 in zweiter Auflage beim „Penguin Verlag“ veröffentlicht hat. Als Mischwesen zwischen illustrierter Liedtextsammlung und Tagebuch, Gedichtband und Brevier spricht der Band nicht nur Menschen an, die sich für die Musik von Florence + The Machine begeistern, sondern auch jeden Leser, der einen unverstellten Blick auf die Innenwelt eines Künstlers erhaschen möchte. Eingang in das Buch fanden nämlich handschriftliche Notizen, Zeichnungen und Kritzeleien, Fotografien, Bilder, Aphorismen sowie kurze Texte, die als „Sermons“ bezeichnet werden. Hier ein Beispiel für eine solche „Predigt“: „Walking to the coffee shop / thinking about killing myself as a climate protest / I once heard a child screaming ,what’s the point‘ / at a funfair / I feel like that, staring at adverts for skin cream.“

Das Werk vervollständigen Liedtexte aus den vier bisher veröffentlichen Musikalben und eine Reihe von Gedichten. Zu letzteren äußert sich Welch im Vorwort: „[E]infach etwas niederzuschreiben und es da stehen zu lassen, auf der Seite, erscheint mir als eine sehr verletzliche Sache.“ Das sei der Grund, warum sich Lyrik in vielerlei Hinsicht als „entblößender“ herausgestellt hätte als der Gesang. Durch diesen könne man nämlich alles zu „einem Altar“ machen. „Der Akt des Singens verleiht den banalsten Worten und Ausdrücken Ehrfurcht und Glanz“, schreibt die Britin. „Das Lied hat seine eigene Persönlichkeit, und sie ist größer und stärker als ich bin.“ Und doch wisse sie nicht, was einen Song zu einem Song mache und ein Gedicht zu einem Gedicht; „in diesem Stadium haben sie begonnen, ineinanderzubluten“.

Die Stärke der Offenheit

Die Verwundbarkeit, die Welch beim Schreiben – und Stehenlassen – ihrer Gedichte spürt, kann der Leser beim Durchblättern des Buches nachempfinden. Sie beschränkt sich jedoch nicht nur auf die geschriebenen Texte, sondern überträgt sich auf den Band als Ganzes. Immerhin ist „Useless Magic“, wie gesagt, mitnichten ein reiner Textband. Die Musikerin integrierte eigene Zeichnungen, Scans von vollgeschriebenen Notizblockseiten, Abbildungen klassischer Gemälde und Tapetenmuster sowie teilweise sehr persönliche Aufnahmen. In dem Sinne hält jede Seite, die man aufschlägt, eine Überraschung parat: Auf der einen befindet sich eine von Hand geschriebene Liste mit Lieblingsliedern, auf der anderen eine (unkommentierte) Fotografie von einem zerwühlten Bett.

Die Einblicke, die man so in das Leben und Schaffen der Britin erhält, wirken unverhüllt und unmittelbar. Bei der Lektüre beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass man durch ein privates Dokument blättern würde – eine Kladde oder ein Schreibheft, das man ohne das Wissen der Besitzerin aus der untersten Schreibtischschublade herausgenommen hätte und nun im Verborgenen lesen würde. Der multimediale Werkstoff, den Welch hier darlegt, erscheint, in anderen Worten, intim und teils nicht für fremde Augen bestimmt. Dies löst beim Leser sowohl eine stille Faszination für den Inhalt als auch eine sehr subtil wirkende Irritation aus, da man sich – wider Willen – in der Position eines Voyeurs wiederzufinden glaubt. Diese Gefühlsmischung erweist sich aber durchaus nicht als reizlos. Denn dadurch, dass sich die Autorin so offen und dadurch angreifbar zeigt, baut der Leser eine persönliche Beziehung zu ihr und dem Werk auf.

Kunst im Entstehen

Interessant ist das Werk vor allem, weil es mit entwaffnender Direktheit das visuelle und sprachliche Rohmaterial eines kreativen Geistes zur Schau stellt. Künstlerische Einflüsse werden ersichtlich – zum Beispiel ist irgendwo ein Porträt von Virginia Woolf zu sehen – wie auch zentrale Motive und Themen, die Welch in ihren Liedern aufarbeitet. Zu diesen gehören konflikthafte Liebe, Kummer und Verlust, Spiritualität, Mythologie und Religion – um nur ein paar zu nennen. Aufgegriffen werden die Themenkomplexe in „Useless Magic“ durch eine Vielzahl an bunten Malereien und Illustrationen. Immer wieder tauchen Kreuzsymbole neben Texten auf, Andachtsbildchen von dem unbefleckten Herz Mariä (auch auf dem Cover zu sehen) zieren die Seiten. Das Auge der Vorsehung blickt einem an mehreren Stellen entgegen; Sterne und Friedenstauben schweben neben den geschriebenen Zeilen.

Letztlich erstaunt die reine Masse an mehr oder weniger unverarbeitetem Material, das in das Werk aufgenommen wurde: Die Seiten füllen teils durchgestrichene oder nur halb ausformulierte Gedankensplitter, durchmischt mit bildlichen Einsprengseln in Form von rudimentären Skizzen. Dadurch haftet dem Band etwas Unfertiges, Fragmentarisches an, gleichzeitig aber ist der kunstvolle Charakter des Gezeigten schon deutlich zu erkennen. „Useless Magic“ wirkt somit wie die Dokumentation einer schöpferischen Entwicklungsreise, auf die der Leser als Zeuge und Komplize mitgenommen wird. Dabei entfaltet das Werk von Anfang an seine magische Kraft – nutzlos erscheint seine Lektüre auf jeden Fall nicht.

Florence Welch: „Useless Magic“, Lyrics, Poetry and Sermons, Penguin Books, London 2020, 336 Seiten, 11,99 Euro
Florence Welch: „Useless Magic“, Lyrics, Poetry and Sermons, Penguin Books, London 2020, 336 Seiten, 11,99 Euro Coverbild: Penguin Verlag

* Anmerkung der Autorin des Artikels: Die Zitate aus dem Vorwort von „Useless Magic“ wurden von mir eigenständig aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.