Esch und SchifflingenNeue Stolpersteine gegen das Vergessen: Kurzbiografie der Opfer

Esch und Schifflingen / Neue Stolpersteine gegen das Vergessen: Kurzbiografie der Opfer
 Tageblatt-Archiv

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Über 100 Stolpersteine gibt es in Luxemburg. Sie sind Gedenksteine für die Opfer der Nationalsozialisten. Am Freitag kommen 17 weitere in Esch und 4 in Schifflingen hinzu, zum Gedenken an fünf Familien und zwei Männer, die eine zentrale Rolle beim Generalstreik vom 31. August 1942 spielten.   

Ende der 1930er Jahre lebten rund 4.000 Juden in Luxemburg, davon rund 400 in Esch und Schifflingen. Viele flohen, als die deutschen Truppen am 10. Mai 1940 das Großherzogtum besetzten. Doch blieben auch rund 800 im Land bzw. kehrten aus dem Exil zurück. Sie wurden ab Oktober 1941 nach und nach in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert. Rund 1.300 Juden aus Luxemburg wurden ermordet. Von den 127 deportierten Escher und Schifflinger Juden überlebten nur drei. 

Zum Gedenken an die Opfer der Nazis hat der deutsche Künstler Gunther Demning 1996 die sogenannten Stolpersteine entworfen. Diese 10×10 Zentimeter großen Steine werden vor dem letzten Wohnort der Opfer in den Straßen- oder Gehwegpflaster verlegt. Auf der Oberseite prangern kleine Messingplatten mit den Namen der Opfer. Rund 80.000 Stolpersteine gibt es insgesamt, der Großteil davon in Deutschland. In Luxemburg sind es inzwischen über 100. 2013 erhielt auch Esch 14 Stolpersteine. Heute kommen weitere hinzu, darunter auch die ersten vier in Schifflingen.

Die Zeremonie unter der Federführung des Nationalen Resistenzmuseums ist aufgrund der aktuellen Corona-Verordnungen eingeladenen Gästen vorenthalten. Untenstehend die Kurzbiografien der Opfer, an die am Freitag gedacht wird. Als Quelle für die Texte diente die vom Museum zu diesem Anlass produzierte Broschüre. In ihr finden sich längere Texte und Fotos über das Leben der Opfer aus Schifflingen und Esch. 


Jeanne Lukmanski
Jeanne Lukmanski Foto: ANLux, J-108-027430

Familie Lukmanski-Lebenstein (88, rue du Brill, Esch)
Die russisch-stämmige Familie Lukmanski-Lebenstein kommt 1921 nach Esch, wo Vater Aron (geb. 1889) ein Malergeschäft betreibt. Verheiratet mit Frieda (1888) hat das Paar drei Kinder: Henri (1915) leistet seinen Militärdienst in Frankreich, Jeanne (1920) ist Friseurin. Die Erstgeborene Claire (1912) heiratet und zieht nach Audun-le-Tiche. Sie überlebt als einzige den Holocaust. Henri fällt im Juli 1940. Aron, Frieda und Jeanne werden 1940 evakuiert, kehren trotz des Rückkehrverbots für Juden nach Luxemburg zurück. Am 16. Oktober 1941 werden sie nach Litzmannstadt deportiert und im Mai 1942 in Chelmno vergast. 

Familie Nussbaum-Schmitz (43, rue des Charbons, Esch)
Der Metzgermeister Heinrich Nussbaum (1903) zieht 1928 aus Deutschland nach Esch und übernimmt die Metzgerei Vohs-Seckler. Mit Johanna Schmitz (1895) hat er einen Sohn: Bernard Marcel (1932). Nach der Evakuierung nach Frankreich leben sie in Frespech (Département Lot-et-Garonne, Nouvelle-Aquitaine). Heinrich arbeitet als Landwirt. Doch die Familie wird verhaftet und ins Sammellager Drancy gebracht. Von dort aus geht es am 9. September 1942 nach Auschwitz, wo die drei später vergast werden.

Familie Feiner-Brobrowsky (49, rue Léon Weirich, Esch)
Henri Feiner (1878) und Sophie Simon (1877) leben in Esch und haben zwei Kinder: Rosa (1913) und Albert (1915). Henri arbeitet im Stahlwerk auf Terres-Rouges. Rosa heiratet 1938 den Musikanten Arno Brobrowsky (1905). Mit Tochter Ruth (1939) und Arnos Mutter Flora (1883) ziehen sie aus finanzieller Not zu den Feiners. Arno, Rosa, Ruth, Flora und Albert werden am 16. Oktober 1941 ins Ghetto von Litzmannstadt deportiert und im Mai 1942 in Chelmno vergast. Henri und Sophie werden zuerst in Fünfbrunnen interniert und am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Am 6. September 1943 werden sie in Auschwitz ermordet.

Josy Schlang
Josy Schlang Foto: Archiv Editpress

Familie Schlang-Glaser (60, rue Léon Weirich, Esch)
Die aus Polen stammende Familie zieht 1922 nach Luxemburg und siedelt sich 1930 in Esch an. Tobias Schlang (1902), der bei der Arbed arbeitet, und Anna Glaser (1895) haben zwei Kinder: Sophie (1922) und Joseph, alias Josy (1924). Wie die Lukmanski-Lebensteins kehren sie nach der Evakuierung trotz Verbots nach Luxemburg zurück. Wegen deutschfeindlicher Agitation werden die Eltern festgenommen und misshandelt. Die Familie wird am 16. Oktober 1941 nach Litzmannstadt deportiert. Während Anna, Sophie und Tobias 1943 im Vernichtungslager Majdanek ermordet werden, verbringt Josy dreieinhalb Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern, u.a. in Auschwitz. Im Mai 1945 wird er in Mauthausen befreit und kehrt nach Luxemburg zurück. Er wird zu einem der wichtigsten Zeitzeugen des Holocaust und stirbt im November 2013.   

Heinrich Adam (61, rue Michel Rodange, Esch)
Der Deutsche Heinrich alias Hans Adam (1894) arbeitet ab 1912 im Stahlwerk Esch-Schifflingen, ist gewerkschaftlich aktiv und nimmt an mehreren Streiks teil. 1933 zieht er und seine Familie von Schifflingen nach Esch. Am 31. August 1942 gehört er dem Streikkomitee an, das sich nach dem Ausrufen der allgemeinen Wehrpflicht im Stahlwerk bildet. Er gibt um 18.02 Uhr das Streiksignal und flüchtet. Von der Gestapo festgenommen, gesteht er unter Folter seine „Tat“. Ein Sondergericht verurteilt Adam am 10. September zum Tode. Tags darauf wird er in Köln enthauptet.

Familie Cerf-Rheims: 37, avenue de la Libération (Schifflingen)
Metzgermeister Salomon Cerf (1882) und Eugénie Rheims (1887) leben mit Tochter Renée (1915) in Schifflingen. Sie werden im Mai 1940 evakuiert. Salomon begeht am 31. Oktober 1941 Selbstmord, während Eugénie und Renée im August 1942 nach Fünfbrunnen transportiert werden. Die Deportation ins Ghetto von Theresienstadt erfolgt im April 1943. Sie werden 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau vergast (Mehr zur Familie Cerf-Rheims: am Samstag auf einer Doppelseite im Tageblatt). 

Eugène Biren
Eugène Biren Foto: Archiv Editpress

Eugène Biren: 5, rue Belair (Schifflingen)
Eugène Biren (1914) arbeitet im Stahlwerk von Esch-Schifflingen. Der Schifflinger wird von den Nazis als „jähzorniger Aufwieglertyp“ eingestuft. Er ist es, der am 31. August 1942 nach der Proklamation der allgemeinen Wehrpflicht im Stahlwerk ein Streikkomitee bildet. Anfang September wird er mehrmals verhaftet und von der Gestapo brutal misshandelt. Am 8. September wird er vom Standgericht zum Tode verurteilt. Tags darauf wird Biren in der Nähe des KZ Hinzert erschossen und verscharrt. Seine Familie wird umgesiedelt.