SerieÄsthetischer Rausch aus der Kanüle: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“

Serie / Ästhetischer Rausch aus der Kanüle: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“

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Christiane F. aus Gropiusstadt ist zurück – bunter, glamouröser und moderner als je zuvor. Doch auch 40 Jahre später hat sie nichts dazugelernt. Nach dem 1978 herausgegebenen Bestseller und der Verfilmung des biografischen Buches im Jahre 1981 folgt nun ein Remake der Geschichte der heroinabhängigen Jugendlichen des Berliner Bahnhofs Zoo. Eine Serie, die alles andere als clean ist.

Spätestens seit dem in den 80er-Jahren erschienenen deutschen Spielfilm „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ dürfte jedem das Bild des jugendlichen Fixers, der sich auf einer verschmutzten öffentlichen Toilette den sogenannten goldenen Schuss setzt und noch mit der Kanüle im Arm neben der Kloschüssel zusammensackt, bekannt sein. Auch in der Neuverfilmung des Buches, das auf Tonbandaufnahmen der damals drogensüchtigen Jugendlichen namens Christiane Felscherinow basiert, müssen die Zuschauer und Zuschauerinnen erneut zusehen, wie sich Heranwachsende das „H“ (gesprochen „Äitsch“) in den Unterarm spritzen und dabei allmählich zugrunde gehen. Doch anders als die Buchvorlage oder Ulrich Edels Film zeigt die achtteilige Fernsehserie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ – eine Koproduktion zwischen Amazon und Constantin Television – nicht nur abschreckende Momentaufnahmen des Drogenkonsums, sondern entwirft ebenso glorifizierende und glückselige Bilder des Vollrauschs.

Vermeintliche Glücksspritze

„Es ist, als ob du mitten im Winter draußen in der Kälte stehst und plötzlich kommt jemand mit ’ner warmen Decke und hüllt dich ein. Und dann merkst du einfach, alles wird gut und sicher.“ So beschreibt Axel (Jeremias Meyer) das Gefühl, wenn das Heroin durch seinen Blutkreislauf fließt. Er ist neben Stella (Lena Urzendowsky) einer der Ersten aus Christianes Clique, der körperlich vom Rauschgift abhängig ist. Doch es lässt nicht lange auf sich warten, bis auch Babsi (Lea Drinda), Benno (Michelangelo Fortuzzi), Michi (Bruno Alexander) und schließlich Christiane (Jana McKinnon) dem flüssigen Glück in der Spritze hinterherrennen. Was mit einem einzigen Druck beginnt, entwickelt sich rasch zu einer unkontrollierbaren Sucht, die sich nur noch mit Prostitution finanzieren lässt: Während Christiane sich nach ihrem ersten Handjob stundenlang beschämt und angeekelt die Hände wäscht, ist ihr Freund Benno – im Original heißt er Detlef – längst zum Strichjungen mit festen Freiern avanciert. Stella und Babsi, die wieder einmal auf Trebe sind, bevorzugen hingegen, beim Tierwarenhändler Günther (Bernd Hölscher), der gerne mal Heroin gegen gebrauchte Höschen tauscht und die Mädchen mit Dope versorgt, unterzukommen.

Aufgesetzter Heroin-Chic

Anders als im Film werden die Zuschauer und Zuschauerinnen hier allerdings nicht mit halbtoten Heroinjunkies konfrontiert, sondern dürfen sich am Anblick immer frisch gestylter und modebewusster Teenager erfreuen. Von dunklen Augenringen und eingefallenen Gesichtszügen ist keine Spur, selbst dann nicht, wenn die Jugendlichen auf „Turkey“ (Entzug) sind. So staunt man nicht schlecht, wenn die Berliner Clique wie eine Pop-Band, die gerade ihr nächstes Musikvideo dreht, durch die Straßen der Großstadt streift oder die Mädchen in reizvollen Overknees, glamourösen Felljacken und Spitzenkleidern zu einem Santigold-Song über den Babystrich laufen. Der Heroin-Chic lässt sich zeigen, aber wirklichkeitsgetreu ist er freilich nicht. Doch was wirkt schon authentisch, wenn man die Zeit, in der sich die Geschichte abspielt, kaum bestimmen kann. Während der Film ganz klar in den späten 70er-, frühen 80er-Jahren stattfindet, treffen in der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ jegliche Elemente verschiedener Jahrzehnte aufeinander, sodass eine gewisse Zeitlosigkeit entsteht. Retro-Einrichtung und Vintage-Stil treffen in West-Berlin auf 1990er-/2000er-Lieder und zeitgenössische Jugendsprache. Selbst die Stammdiskothek der Jugendlichen hegt von außen noch den Anschein eines aus den 80ern stammenden Untergrundschuppens, während der Innenraum des „Sound“ mit seinem riesigen DJ-Pult und seinen LED-Lichtröhren kaum moderner sein könnte. Da helfen auch die vielen David-Bowie-Songs, die den Soundtrack der Serie formen, nichts mehr.

Ebenso irreführend wie diese zeitlichen Verflechtungen ist auch die Erscheinung der Hauptdarsteller und Hauptdarstellerinnen, die eben nicht nur zu glatt und zu sauber wirken, sondern vor allem auch zu alt sind, sollen sie doch 14-jährige Drogenabhängige verkörpern. Sieht man Christiane neben ihrem Vater Robert (Sebastian Urzendowsky), könnte man in ihm genauso ihren etwas älteren Bruder vermuten.

Dass die auf Ästhetik setzende Serie nicht unbedingt realistisch sein will, zeigen auch die vielen surrealen Regieeinfälle. Die Szene, in der die Protagonisten und Protagonistinnen in ihrer rauschhaften Euphorie über der Tanzfläche und der feiernden Menschenmasse des Klubs schweben, ist nur eines von vielen Beispielen dieser Metaebene.

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ – eine mehr oder weniger gelungene Neuinterpretation der Geschichte der Christiane F., die junge glückssuchende Heroinsüchtige, die aus dysfunktionalen Familien stammen, in den Fokus stellt und allen Mitgliedern der Clique ein bewegtes Eigenleben schenkt. Wer sich allerdings auf das Remake einlassen will, sollte nicht zu sehr am Originalfilm festhalten.

Info

Die Serie und der Film sind auf Amazon-Prime verfügbar.