RusslandNawalnys Team setzt auf Konfrontation, doch die Behörden machen ernst mit der Zerschlagung der Opposition

Russland / Nawalnys Team setzt auf Konfrontation, doch die Behörden machen ernst mit der Zerschlagung der Opposition
Während Nawalnys Gesundheit in der Strafkolonie leidet, ruft seine Bewegung für Mittwoch zu russlandweiten Protesten auf  Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

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Die Anhänger des russischen Oppositionspolitikers rufen am Mittwoch zur landesweiten Protestaktion. Ein Befreiungsschlag, der scheitern dürfte. Denn die Behörden machen nun ernst mit der Zerschlagung der Opposition.

Ursprünglich wollten die Anhänger Alexej Nawalnys erst dann eine Protestaktion abhalten, sobald sich eine halbe Million Menschen namentlich dafür registriert hatte. Vor ein paar Tagen kam dann die Planänderung: Schon am Mittwochabend werden Demonstrationen in mehr als 100 russischen Städten stattfinden, auch wenn sich bisher „nur“ 460.000 Bürger angemeldet haben, 120.000 davon in Moskau. Die Registrierung soll mehr Verlässlichkeit auf Teilnehmerseite sicherstellen und dem Staat zeigen, wie viele Bürger offen Putins Kurs ablehnen.

Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt. Am Mittwochmorgen hält der russische Präsident Wladimir Putin seine alljährliche „Botschaft an die Föderalversammlung“ – eine Art Rede an die Nation im Beisein der politischen Elite des Landes. Es ist ein mit Spannung erwarteter öffentlicher Auftritt des mittlerweile zweifach gegen Covid-19 geimpften Präsidenten. Putin wird in der Rede den politischen Takt zur Duma-Wahl im Herbst vorgeben, Anti-Krisen-Maßnahmen ankündigen (darunter wohl auch Geldgeschenke für das Volk) und Russlands angespanntes Verhältnis zum Westen kommentieren.

Demo kurz nach Putin-Rede

Dass die Demo mit dem Motto „Freiheit für Nawalny“ nur ein paar Stunden später stattfindet, ist eine Kampfansage an den Kreml, der über die Causa am liebsten kein Wort verlieren würde. Wenig verwunderlich warnten die Behörden öffentlich vor einer Teilnahme. Teilnehmern drohen bekanntermaßen Festnahmen, Sofort-Arreste, Prozesse. Schon jetzt ist klar, dass es ein ungleicher Kampf wird.

Trotz der empörenden Vorgänge rund um Nawalny – seine Vergiftung, Verhaftung, Verurteilung, die besorgniserregende Verschlechterung seiner Gesundheit in Haft – ist ein breiter Aufschrei in Russland bisher ausgeblieben. Es scheint unwahrscheinlich, dass der Aktionstag eine Wende herbeiführen kann. Nawalnys Team erhöht also bewusst den Einsatz in der erbitterten Konfrontation mit dem Kreml. Doch die Entscheidung zur abermaligen Konfrontation auf der Straße wirkt zusehends wie ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen.

Freilich hat auch der Kreml einige Mühe mit der Affäre, wenn er auch am längeren Ast sitzt. Das Ziel der Behörden, Nawalny im Straflager zu isolieren, ist nicht aufgegangen. Putins schärfster Kritiker hat seinen Körper zur Waffe im politischen Kampf gemacht. Seit drei Wochen ist er im Hungerstreik.

Letzter Ausweg Untergrund?

Nun sollen sich seine Blutwerte extrem verschlechtert haben. Nawalny wird seit Sonntag im Krankentrakt einer anderen Strafkolonie behandelt – nach wie vor unzureichend, wie sein Anwalt Wadim Kobsew am Dienstag erklärte. Er habe bisher lediglich Glukose-Infusionen erhalten. Ein unabhängiger Arzt wurde weiterhin nicht zu ihm vorgelassen. Die staatlichen Organe wollen allem Anschein nach die Kontrolle über den Patienten behalten. Dass sein Zustand zufriedenstellend sei, wie offiziell verlautet, beruhigt Nawalnys Mitstreiter nicht. Das Vertrauen in behördliche Zusicherungen ist seit der Nowitschok-Vergiftung im mutmaßlich staatlichen Auftrag zerstört.

Während sich der Zustand des Politikers zuspitzt, holen die Behörden zum nächsten und womöglich finalen Schlag gegen Nawalnys Organisationsstrukturen aus. Schon in der kommenden Woche beginnt in Moskau ein Prozess hinter verschlossenen Türen, im Zuge dessen Nawalnys Anti-Korruptionsfonds sowie seine landesweiten „Stäbe“ (also Büros) zur „extremistischen Organisation“ erklärt werden könnten. Diese Einstufung, die in Russland den Islamischen Staat oder die Zeugen Jehovas betrifft, hat schwere Konsequenzen für offizielle Vertreter und Unterstützer. Ersteren drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug wegen der Organisation mutmaßlich extremistischer Tätigkeiten. Auch die Organisation von Veranstaltungen oder finanzielle Unterstützung können mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden. Die Verbreitung von extremistischer Symbolik wird mit einer Geldbuße bestraft.

Wird die Entscheidung tatsächlich gefällt, woran wenig Zweifel besteht, dann stehen Nawalnys aktiven Anhängern nur noch drei Wege offen: Gefängnis, Ausland oder der Untergrund.