ZeitgeschichteDie „mentions honorifiques“: Kann man Patriotismus bewerten?

Zeitgeschichte / Die „mentions honorifiques“: Kann man Patriotismus bewerten?
Die Historikerin Elisabeth Wingerter

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In Nachkriegsgesellschaften ließ sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Lebenssituationen finden, die jedoch häufig mit den Kategorien „Patriot“ und „Verräter“ überdeckt werden. In den wenigsten Fällen herrschte ein gesellschaftlicher Konsens darüber, wer nun in die eine oder andere Kategorie eingestuft werden sollte, so auch in Luxemburg.

Als die Luxemburger Regierung 1944 strafrechtliche und administrative Säuberungsmaßnahmen einsetzte, waren die Wunden der Besatzungszeit noch ganz frisch. Die staatlichen Initiativen sollten den Weg zu einer erneuerten, zukunftsorientierten Gesellschaft ebnen. Es stellte sich allerdings nicht nur die Frage nach dem Ausmaß an Kollaboration mit der Besatzungsmacht, sondern auch nach der Bewertung patriotischen Verhaltens. Doch wie wurde in den Luxemburger Verwaltungen die Vergabe von Ehrenauszeichnungen, den „mentions honorifiques“, geregelt? Und welche Kriterien wurden zur Bestimmung „patriotischen Verhaltens“ aufgestellt?

Die „enquête administrative“, welche im November 1944 eingeleitet wurde, sollte „antipatriotisches“ Verhalten von Funktionären der staatlichen Verwaltungseinheiten sowie von Akteuren des öffentlichen und kulturellen Lebens überprüfen und sanktionieren.1 Bis zum 20. September 1946 wurden insgesamt 17.870 Dossiers von Staatsdienern, Angestellten und Arbeitern geprüft, wovon 755 in einer Sanktion resultierten.2 Die dadurch erfolgten Untersuchungen brachten jedoch auch Aktivitäten gegen die NS-Besatzer zutage. Um diesem Umstand zu genügen, wurde im Januar 1946 eine Spezialkommission für die Begutachtung von Ansprüchen auf eine Ehrenbezeichnung eingesetzt und konnte Auszeichnungen des ersten, zweiten und dritten Grades vergeben. Die Untersuchungskommissionen konnten in Betracht kommende Kandidaten vorschlagen. Laut offiziellem Stand im September 1946 wurden 356 Ehrungen ersten Grades, 445 zweiten Grades und 554 dritten Grades in der Kategorie der Funktionäre und staatlichen Angestellten vergeben.

Die „mention honorifique“ stellte eine wichtige öffentliche Anerkennung dar. Luxemburger Zeitungen, darunter auch das Tageblatt, publizierten Listen der verliehenen „mentions“ aus den verschiedenen Verwaltungen. Hinzu kam auch eine potenzielle Verbesserung der beruflichen Bedingungen. Ausnahmeregelungen für Neuernennungen und Beförderungen im Staatsdienst zugunsten von Personen mit einer 1. „mention“ konnten durch den Regierungsrat bewilligt werden.3 Aber auch Kandidaten mit Auszeichnungen 2. oder 3. Grades genossen ein „Recht zur Präferenz“, sobald sie mit einer Person um einen Posten konkurrierten, die keine Auszeichnung trug oder gar einer Sanktion unterworfen war. Im Gesetz vom 10. Juli 1947 wurde sogar festgelegt, dass, falls eine Beförderung in einen höheren Dienstgrad nicht realisierbar sei, der Regierungsrat eine dreijährliche Lohnerhöhung für Mentionsträger ersten Grades anordnen könne.

Die positive Wirkung der Ehrenbezeichnungen auf die Karriere hatte jedoch langwierige Auswirkungen auf die persönlichen Beziehungen innerhalb der verschiedenen Verwaltungen. In den Archiven überlieferte Beschwerden zeugen davon, dass sich viele Beamte ungerecht behandelt fühlten. Obgleich ab September 1945 die „mentions“ nicht mehr individuell, sondern gruppenweise begutachtet wurden, um zu einer „uniformité d’appréciation et décision“4 zu gelangen, hielten Beschwerden über den Auswahlprozess noch jahrzehntelang an. 1965 stellte ein Polizeibeamter eine Anfrage an den Staatsminister, in der er Ausgrenzungen anprangerte: „Wieder sollen diejenigen, die keine Mention mehr oder jedenfalls keine 1. Grades erhalten hatten, erneut gedemütigt werden. […] Welches Maß wurde bei der Verleihung der Mentionen angewandt?“

Ein Zeugnis für den Patriotismus

Um sich in Anbetracht der zahlreichen Mentionsanwärter ihre Arbeit zu erleichtern, führte die Spezialkommission ein Punktesystem für die Bestimmung der Verdienststufen ein. Die Anzahl der Punkte entschied über den Auszeichnungsgrad. Laut dem Epurationsminister und späteren Generalkommissar der „enquête administrative“, Robert Als, habe die Spezialkommission damit eine solide, aber nicht unproblematische Lösung gefunden: „elle a établi une échelle des actes de résistance et des faiblesses, et par des opérations d’addition et de soustraction de ces valeurs positives et négatives elle détermine la mention qui peut revenir à tel ou tel cas. Cette méthode, appliquée avec une conséquence rigide, est incorruptible. Est-elle infaillible? C’est une autre question […].“5 Dennoch war er der Ansicht, dass das Bewertungssystem ein gewisses Maß an Objektivität und Nachvollziehbarkeit garantierte.

Die hierfür erstellten Bewertungsformulare zeugen von einer Einschätzung auf Grundlage von vier Kategorien. Zunächst wurde die Ablehnung der Zugehörigkeit zu NS-Organisationen als patriotischer Akt gelistet. Weiterhin wurde die Entlassung von Beamten während der Besatzung als Oberbegriff für sehr unterschiedliche Erfahrungen verwendet, wie z.B. Dienstverpflichtung, Deportation und Gefangenhaltung in einem KZ. Die dritte Kategorie widmete sich verschiedenen Resistenztätigkeiten im Untergrund. Der letzte Punkt ist als „Kompensation“ benannt. Hierbei handelte es sich um eine Kategorie, die sowohl zusätzliche Punkte, wie z.B. für Inhaftierung durch NS-Organe, enthalten konnte, als auch Punktabzüge, wie z.B. für die Leistung eines Eides auf den „Führer“. Die Spalten I bis III dienten wohl dazu, dass die Kommissionsmitglieder ihre unterschiedlichen Punkteverteilungen eintragen konnten. Das am Ende errechnete Resultat entschied dann über den Auszeichnungsgrad: mindestens 20 Punkte für den ersten Grad und zumindest 10 für den zweiten. Niedrigere Punktezahlen konnten je nach Fall den 3. Grad oder eine Ablehnung bedeuten.

Hinterfragen der Kategorien

Diese Formulare stellen zwangsläufig eine vereinfachte Sichtweise auf unterschiedliche Lebensrealitäten dar. Aus heutiger Perspektive fällt auf, dass die Entlassung, Inhaftierung oder Deportation von Personen aus rassistischen und antisemitischen Gründen nicht als separates Kriterium aufgeführt wird. Insgesamt stehen Handlungen, die die Resistenz betreffen, tendenziell im Vordergrund. Jedoch sei hier bemerkt, dass die „enquête administrative“ nicht mit einer strafrechtlichen Untersuchung gleichgesetzt werden kann und der Fokus auf den Untersuchten in ihrer Rolle als Beamte lag. Somit ist die Auswahl des zweiten Kriteriums, der Entlassung, als Oberbegriff für unterschiedliche Akte des Widerstands, nachvollziehbar. Wichtig ist zu bemerken, dass das Formular die Art der patriotischen Handlung und nicht das Ausmaß derer bestimmt. Zum Verständnis der Formulare ist es also notwendig, weitere Dokumente zu den überprüften Personen hinzuzuziehen.

Die Ausarbeitung der Kategorien „patriotisch“ und „antipatriotisch“ im Rahmen der administrativen „épuration“ konnte den Komplexitäten der realen Situation nicht entsprechen. Umso mehr ist es Aufgabe der Historiker, diese Kategorien nicht als Schemata für die Bewertung von Kollaboration oder Widerstand zu nutzen, sondern ihren Ursprüngen und ihrer Wirkung auf die Gesellschaft nachzugehen. Tiefgehende Untersuchungen zum Thema der „mentions honorifiques“ könnten in Zukunft zu einem umfassenderen Bild des Patriotismusbegriffs im Luxemburg der Nachkriegszeit beitragen.

1 Mehr zum Thema: Vincent Artuso, Les épurations au Luxembourg (1944-1955), Purifier, enquêter, oublier, in: Marc Bergère et al. (Hg.), Pour une histoire connectée et transnationale des épurations en Europe après 1945 (Convergences 96), Brüssel 2019, S. 135-146; Paul Cerf, De l’Epuration au Grand-Duché de Luxembourg après la Seconde Guerre mondiale, Luxembourg 1980; Paul Fonck, Epuration in Luxemburg. Die enquête administrative in der Nachkriegszeit, Mémoire scientifique, Université du Luxembourg 2015.

2 Grand-Duché de Luxembourg, Ministère d’État, Bulletin d’information, Nr. 11, 30. September 1946, S. 6.

3 Arrêté grand-ducal du 2 mars 1945 portant institution de l’enquête administrative prévue par l’arrêté grand-ducal du 30 novembre 1944, Art. 10, in: Mémorial A, Nr. 10 (10.3.1945), S. 85-88.

4 ANLux, EPU-02-508, Lettre du Ministre de l’Épuration concernant l’octroi des mentions honorifiques au Corps de la Police locale étatisée, 18. 9. 1945.

5 Robert ALS, L’Enquête administrative, Luxembourg 1946, p. 26.

Eines der Bewertungsformulare aus dem Nationalarchiv. Die eingetragenen Punkte wurden verdeckt. Formular zur Bestimmung des Auszeichnungsgrades für eine unbekannte Person, ca. 1946.
Eines der Bewertungsformulare aus dem Nationalarchiv. Die eingetragenen Punkte wurden verdeckt. Formular zur Bestimmung des Auszeichnungsgrades für eine unbekannte Person, ca. 1946. Foto: ANLux, EPU-02-040
Blücher
20. April 2021 - 14.13

@Realist:Machen Sie einen Exkurs in die Zeitgeschichte von Ex-Jugoslawien nach 1945.Vergleichen Sie die politischen , wirtschaftlichen Parallelen zwischen Titos Jugoslawien , der EU. Wer glaubt einen Vielvölkerstaat verschiedener Nationalitäten, Religionen unter einem Dache zu vereinigen wird im Endeffekt , zu gegebenen Zeitpunkt , zerbrechen.Vergleichen Sie auch die Rhetorik eines Milosevic,Tudman, ....und Sie werden staunen , wie diese Rethorik derer gleicht , die wir heute in diversen Medien, Demonstrationen , .... zu Ohr bekommen. Die Amsfeld Rede von Milosevic ist lesenswertes Beispiel .

Realist
20. April 2021 - 11.27

@Schopenhauer: Ein Einwanderungsland wie Luxemburg kann ohne gesunden Patriotismus als Nation nicht lange überleben. Worin sollen Einwanderer sich denn auch integrieren, wenn die Vorzüge des Landes nicht genannt werden dürfen, aus Angst, "nationalistisch" oder gar "chauvinistisch" zu sein? Klassische Einwanderungsländer wie zB die USA haben dies, im Gegensatz zu Ihrem Namensvetter, längst begriffen. Dort wird ohne strengen Wissenstest über amerikanische Geschichte und Kultur und attestierte Begeisterung für den "Way of life" niemand eingebürgert, und selbst die Schulkinder stehen morgens vor der Fahne und hören den Spruch von "One Nation under God..." usw. Hierzulande braucht man am Nationalfeiertag bloss ein kleines rot-weiss-blaues Fähnchen zu schwingen und schon setzt man sich dem Verdacht aus, rechtsextremes Gedankengut zu pflegen. Es ist absurd und wird immer absurder. Im Krieg wurden Menschen hingerichtet, die sich weigerten, ihren Treueeid auf Land und Herrscherin zu brechen. Sie starben sozusagen "fürs Prinzip" und nicht wenige hätten sich vermutlich retten können, wenn sie nur den rechten Arm beizeiten erhoben hätten. Ich habe mich schon öfters gefragt, was heute noch von Luxemburg als Idee übrig ist, für das es sich lohnen würde, vor ein Erschiessungskommando zu treten? Die Luxexpo the Box? Das bunte Diversity-Fest, das schon mal eine Journalistin als Ersatz für den spiessigen Nationalfeiertag vorschlug? "Troun an Heemecht" sind sind schon weg, bzw. gehören heutzutage zu den absoluten Igitt-Begriffen. Auch die Freiheit ist zum relativen Begriff mutiert, den jeder anders interpretiert. Viel bleibt da also nicht mehr.

, Patriot for Ever
19. April 2021 - 10.46

@ Schoppen auf den Kopf Hauer Nationalstolz ist wie sie richtig bemerken nicht nur stolz auf seine Eltern und Vorfahren zu sein die ihre Freiheit und Selbständigkeit oft mit Ihrem Leben bezahlten , sondern auch auf sen Geburtsland , seine HEEMECHT die ihn mit Reichtum beschert hat um den ihn ganze Welt beneidet .Letzteres ist ihnen , lieber Schoppen Hauer und Weltbürger leider gänzlich entgangen. Die Rassen hat der liebe Gott oder ein ausserirdisches Wesen erschaffen. Die Nationen haben die Menschen vor vielen Jahren selbst geschaffen.Da jedoch alles von Menschenhanf erschaffene nicht nur vergänglich sondern auch entweder gut oder schlecht ist , gibt es leider nicht viele Menschen auf dieser WELT die heute noch stolz auf ihre Nation , auf ihr Vaterland sein können. Hierzu gehören wohl die von ihnen als erbärmliche Tropfen bezeichneten arabische Nationen die weisse Menschen als Sklaven Jahrhunderte lang gnadenlos audbeuteten, sowie alle Länder die Schwarze als Sklaven hielten und die sogenannten Nazis und die Diktatoren und Religionen aller ART die auch heute noch lhre Landsleute verknechten.. VIELE VON UNS ALTEN ÜBERLEBENDE LUXEMBURGER GEHÖREN ZUM Glück zu denen die stolz auf sich UND IHRE NATION , also PATRIOTEN , NATIONALISTEN ,sein dürfen Ob das einem sich Schpenhauer nennendem erbärmlichen Tropf gefällt oder nicht ist uns in und nach dem Krieg als Patrioten und als stolze NATIONALITEN betrachteten alten Luxemburger Puup und Schnuppe . Basta !

Arthur Schopenhauer
18. April 2021 - 17.30

Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.

Blücher
18. April 2021 - 12.03

Patriotismus ist die Bürger/rinnen schreien , der Nationaltag arbeitsfrei und gefeiert werden muss,jedoch das restliche Jahr den Patriotismus, Nationalstolz ins populistische Umfeld verbannen.

Patriot for Ever
17. April 2021 - 12.14

Meine Antwort auf die im obigen Titel gestellte , meiner Meinung nach unsere Vaterlandsliebe , den Patriotismus im allerhöchsten Grade verhöhnende Fragere resumiert sichi in einigen Worten . - OMERTA über viele bekannte Luxemburger im Krieg.... - TAMBOW. luxemburger Kriegsgefangene in Russland noch Jahre nach Kriegsende nicht befreit...... - REGIERUNG die das Land fluchtartig in der Sch..... sitzen liess und als Sieger zurückkehrte. - Godrian Tröller der diesen Verräter unseres Landes den Rücken drehte...Seine Geschichte ist ein Zeugnis obiger Omerta. - und viele heute noch geltende Tabous über diese Zeit...die leicht nachweisbar wären , wenn..... Siehe auch im Net den am 19 Juli 2019 im Tageblatt erschienen Artikel von Anne Ludwig : Die vergessene Luxemburger Widerstandsbewegung. Sollte unsere neue Escher Universität,sich einmal mit Patriotismus und o.g. Nachkriegsgeschehen beschäftigen, kann ich als Augenzeuge so manches absichtlich offiziell Geheimgehaltenes dazu beitragen.