Gastbeitrag„Kulturismus“ – Rassismus in neuem Gewand

Gastbeitrag / „Kulturismus“ – Rassismus in neuem Gewand
Rechtspopulistische Parteien wie die AFD in Deutschland wollen nicht als Rassisten dargestellt werden, verzichten aber nicht auf rassistische Aussagen oder Handlungen Foto: AFP/Jens Schlueter

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Mit Rassismus will heute niemand mehr etwas zu tun haben. Selbst Politiker*innen des rechten und rechtsnationalen Spektrums wollen nicht als Rassist*innen wahrgenommen werden. Dabei distanziert man sich nur vom Wort „Rassismus“, nicht aber von der Diskriminierung, die mit diesem Begriff einhergeht.

Auch wenn man über die letzten Jahre feststellen kann, dass einige rassistische oder diskriminierende Aussagen wieder salonfähig wurden, so wollen die Aussagetreffenden oft nicht als „rassistisch“ bezeichnet werden. Egal ob Rechtsnationale in Frankreich, den Niederlanden, in Österreich, in Deutschland oder in Luxemburg, es wird sich vehement gewehrt, wenn man als Rassist*innen dargestellt wird. Offenbar ist man sich bewusst, dass dieser Begriff eine negative Konnotation hat, will jedoch nur auf den Begriff verzichten, nicht aber auf die rassistischen Aussagen und Handlungen.

Islam als Feindbild

Während vor knapp 90 Jahren der offene Rassismus und Antisemitismus von Adolf Hitler postuliert, gelehrt und gelebt wurde, sind das Feindbild rechter Politik heute nicht mehr (ausschließlich) Semit*innen, Sinti und Roma sowie Menschen mit Behinderung, sondern der Islam. In den Diskursen der Rechtsnationalen werden die Werte des Westens, Demokratie, Gleichheit der Geschlechter, Toleranz der vermeintlich undemokratischen, intoleranten, frauenfeindlichen Werte des Islams gegenübergesetzt. Dass beide Annahmen undifferenziert und ignorant sind, sollte dem*r Leser*in nicht vorbehalten werden. Nichtsdestotrotz distanzieren sich Menschen mit diesen Ansichten sehr gerne von dem Begriff „Rassismus“.

„Kulturismus“ ersetzt Rassismus als Begriff

Sehr sorgfältig achten die rechten Parteien weltweit darauf, rassistisches Vokabular zu vermeiden. Es wird nicht mehr von der Überlegenheit oder Verwässerung einer Rasse gesprochen. Anstelle dieses Sprachgebrauchs wird jetzt davon gesprochen, dass es „in deren Kultur“ liege. Genau dieses Phänomen beschreibt Yuval Noah Harari als „Kulturismus“. Die Rechtfertigung der Behauptung zur Überlegenheit bestimmter menschlicher Gruppen erfolgt nicht mehr anhand der vermeintlichen biologischen Unterschiede zwischen Rassen, nicht zuletzt da diese wissenschaftlich widerlegt wurden. Heutzutage werden diese Ansichten mit historischen Unterschieden zwischen Kulturen legitimiert.

Das Problem der Wissenschaft

Die Rassentheorien wurden von der Wissenschaft widerlegt. Die Biolog*innen verweisen darauf, dass die biologischen Unterschiede zwischen verschiedenen menschlichen Populationen vernachlässigbar gering sind. Bietet die Biologie dem Rassismus keine Nahrung mehr, so werden kulturistische Thesen von den Geistes- und Sozialwissenschaften unterfüttert. Historiker*innen und Anthropolog*innen verdienen ihr Geld damit, Unterschiede zwischen Kulturen zu erforschen. Sie können schlecht behaupten, dass diese Unterschiede vernachlässigbar gering sind, weil dies ihr eigenes Forschungsfeld infrage stellen würde. Zeitgleich wehren viele Forschungsvertreter*innen sich gegen die Verwendung und das Missnutzen dieser Theorien durch die Politik.

Nicht nur Problem der rechten Politik

Kulturistische Thesen treten aber nicht nur im politisch rechten Spektrum auf. Im Alltag hört man immer wieder, dass Verhaltensweisen mit der Kultur erklärt werden. Dies ist jedoch ein undifferenzierter Kurzschluss. Zwar haben Kulturen einen Einfluss auf Verhaltensweisen, jedoch werden sowohl in der Politik wie im öffentlichen Raum Glaubensrichtungen, Religionen und Kulturen als Synonym gesehen. Eine Glaubensrichtung als homogene Einheit zu kategorisieren ist eine identitätspolitische Debatte, die der Rechten in die Karten spielt. Will man diesem Prozess entgegensteuern, dann sollte man das Verhalten von Menschen nicht an einzelnen stereotypen Merkmalen, die in das eigene Weltbild passen, versuchen zu erklären. Diversität gibt es nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch innerhalb. Spielt diese bewusste Kurzsichtigkeit einer politischen Richtung zwar in die Karten, kann man individuell versuchen, es differenzierter zu betrachten, um nicht fälschlicherweise zu dem Schluss zu kommen, alle Christen wären Hexenverbrenner.

* Andy Schammo studiert Erziehungswissenschaften an der Universität Luxemburg und schreibt seine Abschlussarbeit zum Thema „Institutionelle Diskriminierung im Luxemburger Bildungswesen“. Er setzt sich privat gegen Diskriminierung und Ungleichheiten ein.

Du Irrelevant
16. April 2021 - 20.17

Zu diesem Thema können sie das Buch lesen The clash of Civilization...Buch as Vun 1996 Samuel P. Huntington... Erschreckend recht er hatte...

HeWhoCannotBeNamed
16. April 2021 - 10.41

Lieber Herr Schammo, zunächst mal : ich bin ganz ihrer Meinung, dass die verschiedensten Formen von Benachteiligungen und Ausgrenzungen bekämpft gehören. Ich bedauere aber zum einen eine gewisse Redundanz in ihren Gastbeiträgen. Dass die biologistischen Kriterien von Gobineaus Rassentheorie in den Mülleimer der menschlichen Ideengeschichte gehört, und alles was sich dem annähert - geschenkt. Dass Ausgrenzung aufgrund kultureller Praktiken stattfindet und ebenso zu verurteilen ist - schön, aber das ist kein neues Phänomen. Dafür benutzte man früher Begriffe wie "Fremdenhass" oder "Xenophobie" anstelle von Neologismen wie "Kulturismus" (aber gut, neue Zeiten, neue Wörter...meinetwegen). Ich will aber hier nicht über Wörter streiten. Was mir missfällt, ist eine Verallgemeinerung ihrerseits : dass die (soziale & kulturelle) Anthropologie ihre Brötchen damit verdienen würde, die "kulturelle Unterschiede zu erforschen" und somit unterschwellig den "Kulturismus" füttern würde, wäre vielleicht im ganz frühen 20.Jhdt noch eine zutreffende Aussage gewesen. Die Disziplin hat aber in der Zwischenzeit die ersten Denker hervorgebracht, die die rassistischen Theorien wissenschaftlich widerlegt haben (Franz Boas), die aufgezeigt haben dass ALLEN Praktiken aus allen Kulturen die gleichen menschlichen Denkprozesse innewohnen (auch bei jenen unverständlichsten, die von "Aktivist*Innen" als menschenfeindlich betitelt werden; cf Claude Lévi-Strauss), es gab auch Anthropologen die die antikolonialen Bewegungen unterstützt haben (Michel Leiris). Vor allem bedient die heutige Anthropologie ganz andere Felder, die einfach nicht mehr dem entsprechen, was Sie beschreiben. Es gäbe noch viel mehr zu sagen (wie wärs noch mit dem Dilemma der minoritären Ethnie, die selbst die identitäre Karte ausspielt um sich von anderen Gesellschaften abzugrenzen?), aber übertreiben wir's nicht. Kurz : Sie schießen (wieder?) mit Kanonen auf Spatzen und treffen dabei auch jene, die ihrer (bzw unserer) Gesinnung erst einen wissenschaftlichen Hintergrund verliehen haben. Die Aktivist*Innen Brille verleiht auch ihren Beiträgen ein schwarz-weiß Denken das es ursprünglich zu überkommen gilt.

Blücher
15. April 2021 - 10.38

@Schammo: Lese ich so manch Kommentar in diesen Foren , nicht nur AFD , Nationale, Rechte die islamistischen Kulturen , Gebräuche zum Feindbild hochstilisieren, sondern auch fortschrittliche Menschen , Vereinigungen die glauben in missionarischer, kolonialistischer Manier die muslimischen Völker zur westlichen Kultur zu bekehren . Hören wir auf an eine humanistische Utopie , friedliche Welt zu glauben. Lernen wir den Realitäten ins Auge zuschauen, die Ansichten anderer Glaubens-,Völkergemeinschaften , auch sie nicht in unser Weltbild passen , zu respektieren , als Faktum zu akzeptieren..In Zukunft durch solch Akzeptanz eine Eskalation der Konflikte zu minimieren, eine etwas friedliche Welt zu schaffen.Irgendwie erinnert mich das Vorgehen der fortschrittlichen Menschen, Vereinigungen gegen die muslimischen Sitten, Gebräuche an das Vorgehen der katholischen Glaubenskirchen die Drittweltländer zu bekehren, die Kreuzzüge.....Im Übrigen auch die westliche Welt muss sich vom Glauben eine humanistische , tolerante Gesellschaft in ihren Breiten zu erschaffen verabschieden. Dieser humanistische Traum blendet , bleibt Fiktion. Auch diese tolerante , freiheitlich gesinnte Gesellschaft unterliegt dem „ homo homini lupus“ und sollte seine hochtrabenden humanistischen Ziele nicht zu hochstecken, sie könnte einen Rückschlag erhalten.