Kopf des TagesJunge Autorin Alissa Ganijewa prangert Missstände in Russland an

Kopf des Tages / Junge Autorin Alissa Ganijewa prangert Missstände in Russland an
 Foto: dpa/Molly Tallant/Alissa Ganijewa

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Autorin Alissa Ganijewa prangert Missstände in Russland an

Seit Jahren gilt Alissa Ganijewa als wichtige Stimme der jüngeren russischen Literatur. In einem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman schildert sie eine von Korruption und Denunziation verdorbene russische Gesellschaft. Auch abseits der Literatur übt sie Kritik.

Ob Korruption, Vetternwirtschaft oder staatliche Repressionen: Die Probleme der russischen Gesellschaft sind ein weites Feld, doch mit gerade einmal 35 Jahren hat sich die Schriftstellerin Alissa Ganijewa schon als Expertin einen Namen gemacht. Seit rund zehn Jahren schreibt Ganijewa feinfühlig und pointiert über Missstände in ihrem Land und hat damit in Russland bereits große Popularität erlangt. Anfangs widmete sich die junge Autorin ausschließlich ihrer Heimat, der russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. Mit dem Roman „Verletzte Gefühle“ (Wieser Verlag) ist nun bereits ihr drittes Buch auf Deutsch erschienen – und das erste, in dem sie eine gesamtrussische Realität beschreibt.

„Verletzte Gefühle“ ist eine Gesellschaftskritik, verpackt als Kriminalroman. Ganijewa zeichnet in dem Buch das düstere Bild eines Russlands, in dem Menschen unter ungeklärten Umständen ums Leben kommen und in dem von der Schuldirektorin bis zum Kirchenvertreter alle käuflich sind. Ganijewa schreibt von staatlichem Druck auf Historiker; von einem Journalisten, der als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt wurde; von Wahlfälschung und Lebensmittelsanktionen. Trotz diverser Verweise auf russische Klassiker: „Verletzte Gefühle“ ist ein sehr aktuelles Gesellschaftsporträt – und eine Abrechnung mit den Mächtigen.

Ganijewa ist es gewohnt, anzuecken, nicht zu gefallen, Empörung auszulösen. Es sei ihr wichtig gewesen, ein realistisches Bild von ihrer Heimat zu vermitteln, sagt Ganijewa. Während kritische Journalisten und Aktivisten in Russland immer wieder mit Repressionen und Anfeindungen rechnen müssen, könne sie als Schriftstellerin Kritik deutlich freier äußern, erklärt Ganijewa, die selbst auch journalistische Texte schreibt und eine eigene Sendung im angesehenen Radiosender Echo Moskwy hat. Bücher wie „Verletzte Gefühle“ hätten zwar kaum Chancen auf renommierte russische Preise, tauchten selten auf Empfehlungslisten für Bibliotheken auf und erst recht nicht als Schullektüre. Zensur im klassischen Sinne gebe es aber nicht.

Doch auch abseits der Literatur findet Ganijewa klare Worte für repressive Mechanismen im heutigen Russland. Mit Bedacht, aber scharf prangert die 35-Jährige „komische Gesetze“ an, die „keinen Bezug zu einem legalen System oder gar zu Menschenrechten haben“. Behörden könnten einfach „einen beliebigen Strafbestand zusammenzimmern für denjenigen, für den man das gerade braucht“, sagt sie. Wegen einer Protestaktion gegen die Inhaftierung eines regierungskritischen Journalisten im vergangenen Jahr stand sie kürzlich sogar in Moskau vor Gericht und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. (dpa)