RusslandMit seinem Truppenaufgebot setzt der Kreml Kiew und den neuen US-Präsidenten unter Druck

Russland / Mit seinem Truppenaufgebot setzt der Kreml Kiew und den neuen US-Präsidenten unter Druck
Ein ukrainischer Soldat in einem Unterstand an der Front in der Region von Donetsk, die von russischen Kämpfern gehalten wird Foto: AFP

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Seit einigen Tagen dringen beunruhigende Nachrichten aus dem flachen Grenzland zwischen der Ukraine und Russland: Moskau konzentriert Militäreinheiten entlang der Grenze und auf der Krim.

Auch in sozialen Medien sind zahlreiche Clips aufgetaucht, die die Truppenbewegungen dokumentieren sollen. So vorsichtig man bei diesen Veröffentlichungen sein muss: Datenexperten ist in mehreren Fällen die regionale Zuordnung gelungen. Über die Stärke des Aufmarschs gibt es widersprüchliche Angaben. Die New York Times zitierte eine anonyme US-Quelle, die von 4.000 Mann sprach – was für das große Gebiet tatsächlich sehr wenig wäre. Laut dem ukrainischen Generalstabschef Ruslan Chomtschak befinden sich 28 Bataillone im grenznahen russischen Territorium bzw. auf der Krim. Das wären etwa 22.000 Mann. 25 weitere Kampfgruppen könnten noch hinzukommen, so Chomtschak, der vor einer „Bedrohung für die militärische Sicherheit des Staates“ warnte.

Der Ton der russischen Diplomatie hat sich ebenfalls verschärft. Außenminister Sergej Lawrow drohte, dass Kiew eine neuerliche Konfrontation nicht überleben würde. Russische Medien berichten von einem durch ukrainische Kamikaze-Drohnen getöteten Kind in den Separatistenrepubliken. Für alle, die vor sieben Jahren den Beginn des Krieges im Donbass beobachtet haben, wirken die Vorwürfe allzu bekannt. Auch damals fand Moskau Argumente für eine (verdeckte) militärische Intervention. Erstmals seit der Einigung auf das Minsker Abkommen 2015 scheint erneut eine größere militärische Eskalation möglich. – Warum jetzt? Was bezweckt Moskau?

Militärischer Druckaufbau

Der militärische Druckaufbau ist eine Reaktion auf Vorgänge in der Ukraine. Moskau ist schon länger unzufrieden, was die Konfliktregulierung im Donbass angeht. Nach dem Amtsantritt von Wolodymyr Selenskij schien ein Neustart möglich. Selenskij sandte demonstrativ Entspannungssignale an den Kreml. Moskau, das bislang durch Unterstützung der Separatisten auf niedrigen, aber konstanten militärischen Druck gesetzt hatte, wechselte die Taktik. Man ermöglichte ab Juli 2020 erstmals einen nachhaltigen Waffenstillstand im Donbass. Doch seit Jahresbeginn kommt es wieder vermehrt zu Zwischenfällen an der Front zwischen ukrainischer Armee und pro-russischen Separatisten. Mehr als 20 ukrainische Soldaten wurden seit Anfang 2021 getötet.

Knapp ein Jahr seit Beginn des Waffenstillstands wird der Kreml zusehends ungeduldig. Kiew hat sich trotz der Beruhigung im Feld nicht zu einem politischen Poker hinreißen lassen. Das Ziel des Kreml – das Herauslösen des Donbass aus der Ukraine – will auch Selenskij verhindern. Auf eine Formel zur Lösung des Minsker Hauptwiderspruchs – politische Zugeständnisse vs. Sicherheit – konnten sich die Konfliktparteien nicht einigen. In der Ukraine war das Abkommen seit jeher unbeliebt, da es unter militärischem Druck zustande gekommen war. Womöglich ist auch in Moskau der Punkt erreicht, an dem man die Minsker Verpflichtungen nur noch als Hindernis betrachtet. Mit militärischen Mitteln könnte man sie loswerden – und neue Realitäten schaffen.

Nicht nur Selenskijs Position zum Donbass ist geschärft. Der ukrainische Präsident hat unlängst Schritte gesetzt, die der Kreml als Provokation auffasst. Selenskij hat mehrere pro-russische Medien verboten, die dem ukrainischen Politiker Viktor Medwedtschuk zugerechnet werden, der außerdem ein persönlicher Freund Putins ist. Was Selenskij Punkte in patriotischen Wählerkreisen einbrachte, ist für Moskau ein Affront. Selenskijs Vorgehen ist stärker noch als von ideologischen Überlegungen von innenpolitischem Kalkül angetrieben: Medwedtschuk und die ihm nahestehende Kreml-freundliche Oppositionsplattform sind für den Staatschef, dessen Popularität sinkt, eine unliebsame politische Konkurrenz – und die verbotenen Medien waren bislang ihr Sprachrohr.

Internationale Dimension

Die Ukraine-Causa hat auch eine internationale Dimension. Dem Kreml könnte auch daran gelegen sein, den neuen US-Präsidenten Joe Biden auf die Probe zu stellen. Der Militäraufmarsch lässt Moskau sehen, wie ernst es USA und NATO mit ihren Unterstützungsangeboten in Richtung Kiew meinen. Biden sicherte Selenskij rasch die „unerschütterliche Unterstützung der USA für die Souveränität und Integrität der Ukraine“ zu. Auch die NATO drückte Kiew Solidarität aus. Doch die freundlichen Worte können nicht verdecken, dass sich die Lage der Ukraine seit Beginn des Konflikts 2014 nicht maßgeblich verändert hat: Trotz NATO-Backing ist das Land nach wie vor auf sich gestellt und eine NATO-Mitgliedschaft in weiter Ferne, auch wenn Kiew dieser Tage seinen Wunsch nach Aufnahme noch direkter als sonst ausdrückt. Die ukrainische Armee ist zwar viel besser aufgestellt als noch vor sieben Jahren. Eine veritable russische Offensive würde aber einem Überlebenskampf gleichkommen.

Moskaus riskante Drohgebärden könnten sich einem Nerventest gleich über mehrere Wochen hinziehen. Russland könne, so erklärte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, „sein Militär auf seinem Territorium nach seinem Gutdünken fortbewegen“. Nachsatz: „Das muss niemanden beunruhigen.“

Womöglich ist also die Gefahr eines Krieges ein geeigneteres Druckmittel gegen Kiew als ein Krieg selbst. Zumindest vorläufig. Denn es stellt sich die Frage, inwiefern dem Kreml eine offene Eskalation nützen würde. Mit einer Annexion der Separatistenrepubliken würde Moskau große ökonomische Last auf sich nehmen und an direkter Einflussmöglichkeit gegenüber Kiew verlieren. Ob es ein Propagandaerfolg wäre, ist nicht gesagt. Anders als die Krim ist der Donbass keine historisch und kulturell aufgeladene Region. Auch eine geostrategische Bedeutung kann ihm schwerlich zugeschrieben werden. Und würde Russland die Ukraine direkt angreifen, so riskierte man nicht nur eine massive Verschärfung der internationalen Sanktionen. Es wäre nicht weniger als die endgültige Abkehr von der westlichen Welt.

D.W.
9. April 2021 - 11.57

@Jeff - Drei Dicke Daumen nach oben!

Blücher
9. April 2021 - 8.39

@Sepp:Mich beflügelt Ihr Wissen über die Demokratie.Sie liegen falsch und glauben in einer Demokratie zu leben , die es nicht gibt.Demokratie ist , wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen. ( B.Franklin).

Jeff
9. April 2021 - 7.07

@Sepp - Als Russlandexpert den Dir sidd, trauen ech mech Iech net ze widderspriechen. Selbstverständlech hutt dir Recht, wann Dir sot dass de Westen eng Demokratie ass - dofir verdeelen mir jo nëmmen Sanktiounen wann et net esou geet  wéi mir et gären hätten - a wann dat näischt bréngt, ma dann ginn mir dat Land éinfach bombardéieren, oder e Biergerkrich entfachen, esou wéi dat am ganzem Maghreb, Noen-Osten, Ukraine etc de fall war. Mä Dir hutt vollkomme Recht - béis Russen a gudde Westen.  @ Claude Oswald - Dir hutt vollkomme Recht. Ech empfannen déi Russophobie, Diskriminéierung an Opruff zum Haass géint Russen, hei och anormal. Mä dem Tageblatt, an aneren nationalen Medien schéint et jo awer eppes ze bréngen - soss géif net am reegelméissegem Ofstand e soueen Artikel kommen

Sepp
8. April 2021 - 23.43

@Claude Oswald und D.W.: Sie scheinen noch immer nicht zu begreifen dass der Westen eine Demokratie ist und Russland nur eine Schein-Demokratie. Auch wenn die Amerikaner in der Geschichte schon oft außenpolitische Fehler gemacht haben, die Russen haben genauso viel Dreck am stecken, nur gelangen die russischen Fehler nie an die Öffentlichkeit. Soviel dazu, gute Nacht.

D.W.
8. April 2021 - 14.41

@Claude Oswald, dem kann ich mich nur anschließen. Und mit Frau Sommerbauer die passende Kommentatorin darin gefunden zu haben! Sehr schade, dass dadurch der investigierte Journalismus auf der Strecke bleibt.

Blücher
8. April 2021 - 11.57

D‘Zeechen stinn op Stuurem an all Pandemie an der Zaitgeschicht ass vun Kriich begleet gin. Majo,,dann muss d‘Corona Generatioun och nach an den Kriich goen, awer nemmen geimpft, net sie den Russ oder hien sie unstecht.

Claude Oswald
8. April 2021 - 9.09

Das Tageblatt scheint die Russen nicht sonderlich zu mögen. Zumindest weiß man nach der Lektüre des Artikels, wer die Bösen sind, und wer die Guten.