Hinter den KulissenCausa Cahen: Wie es zur Rücktrittsforderung der CSV kam 

Hinter den Kulissen / Causa Cahen: Wie es zur Rücktrittsforderung der CSV kam 
Der CSV-Abgeordnete Michel Wolter Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Corona-Cluster in Luxemburgs Senioreneinrichtungen heizen die politischen Gemüter in der Chamber an. Das Wesentliche – die Aufklärung der Vorfälle – gerät schnell in den Hintergrund. Dabei waren sich die Parteien schon in den vorherigen Kommissionssitzungen einig. Dem Tageblatt liegen die Sitzungsprotokolle der gemeinsamen Sitzung des Gesundheits- und Familienausschusses vor – eine Analyse.

Der CSV-Abgeordnete Michel Wolter hat sich in den vergangene Wochen als Enthüller der Corona-Cluster im Niederkorner Altenheim „Um Lauterbann“ inszeniert. „Am Donnerstag (Verweis auf den 18. März) habe ich die Chamber und damit auch die Öffentlichkeit auf ein Cluster in Niederkorn aufmerksam gemacht“, sagt Wolter in der gemeinsamen Sitzung des Familien- und Gesundheitsausschusses des Luxemburger Parlaments am 23. März. Das 35-seitige Sitzungsprotokoll liegt dem Tageblatt vor. Tatsächlich wurden die Abgeordneten auf Anfrage von CSV-Fraktionschefin Martine Hansen bereits in der Sitzung des Gesundheitsausschusses vom 12. März ebenfalls über das Cluster informiert – und die Debatte der Unterstellungen und Halbwahrheiten nahm ihren Lauf, die in der Chambersitzung am vergangenen Donnerstag gipfelte. Wie konnte es so weit kommen?

Martine Hansen hat sich in der Kommissionssitzung des 12. März zu der erhöhten Anzahl der Todesfälle erkundigt, die im Zusammenhang mit Covid-19 stehen. „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit erwähnte in seiner Antwort explizit das Corona-Cluster in Niederkorn. „En ce qui concerne les 26 résidents d’un CIPA ou d’une maison de soins, force est de constater que le cluster détecté aus sein du CIPA „Um Lauterbann“ à Niederkorn a donné lieu  à 13 décès …“, heißt es laut Sitzungsprotokoll in der Antwort von Jean-Claude Schmit.

Ech hätt se gäre vu menger Aart a Weis, wéi ech zielen

Michel Wolter, CSV-Abgeordneter

Dennoch reichte Michel Wolter seine Motion in der Chambersitzung des 18. März ein: Er forderte eine Studie zu den Ursachen der Geschehnisse im Seniorenheim. Diese Motion wurde in der Kommissionssitzung des 23. März, an der neben Mitgliedern des Gesundheits- und Familienausschusses auch Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP), Familienministerin Corinne Cahen (DP), „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit, der Epidemiologe Joël Mossong und Servior-Direktor Alain Dichter sowie der zuständige Betriebsleiter Raoul Vinandy teilnahmen. Dies, um auf die Fragen der Abgeordneten zu antworten und zu den Vorfällen in den Altenheimen Stellung zu beziehen.

Wolters Forderungen

Nach der Eröffnung der Sitzung übergab der Präsident der Gesundheitskommission Mars di Bartolomeo (LSAP) das Wort an Michel Wolter, der gleich mehrere Forderungen stellte. Sie können in vier grundlegende Fragen eingeteilt werden: Basierend auf einem RTL-Interview von Dr. Claude Muller forderte er eine Sequenzierung der Infektionsproben, um den genauen Werdegang des Clusters nachzeichnen zu können. Des Weiteren forderte er einen Einblick in die Prozeduren und Hygienemaßnahmen des Seniorenheimes. Zudem kritisierte Wolter die Informationspolitik von Familienministerin Corinne Cahen und erkundigte sich nach der Wirksamkeit des Impfstoffes, der in den Einrichtungen verabreicht wurde.

Wie kam das Virus also in die Altersheime? Jean-Claude Schmit pflichtete der von Michel Wolter zitierten These des Virologen Claude Muller bei, dass eine Sequenzierung der Proben eine Rekonstruktion der Vorfälle ermögliche. Insgesamt seien vier Virusvarianten sequenziert worden, erklärte Schmit gegenüber den Kommissionsmitgliedern, keine davon sei eine „variant of concern“. Das bedeute, dass es insgesamt vier Infektionswege ins Altersheim gegeben habe. Im Hinblick auf die Infektionszahlen in den Senioreneinrichtungen insgesamt sagte Schmit, dass die Situation weniger bedenklich sei als noch Ende vergangenen Jahres. „Gefühlsmäßig, glaube ich aber, haben wir mehr Tote“, warf die CSV-Fraktionsvorsitzende ein. „Ich meine, Gefühle sind gut. Wir müssen uns jedoch auf Zahlen basieren“, entgegnete „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit und versprach an der Stelle, eine Statistik der Todeszahlen nachzuliefern, über die dann diskutiert werden könne.

Zu den hohen Todeszahlen sagte Jean-Claude Schmit, dass diese prozentual gesehen nicht über dem Durchschnitt liegen würden. „Wir sind wegen der Mortalitätsrate nicht überrascht. Auch ein Vergleich der bisherigen angesammelten Fachliteratur ergibt bei Menschen mit über 85 Jahren und mehreren Erkrankungen eine Mortalitätsrate von 30 bis 40 Prozent.“ Das habe man auch in dem Altersheim in Niederkorn festgestellt – das Virus würde demnach nicht besonders tödlich dort wüten. Dem widersprach der Epidemiologe Joël Mossong noch auf der Pressekonferenz nach der Chambersitzung.

Mossong ergänzte die Ausführungen von Jean-Claude Schmit während der Kommissionssitzung. Um die genaue Ursache der Infektionen zu finden, habe man die genetischen Daten aus den Sequenzierungen mit den epidemiologischen Daten aus dem Contact Tracing verglichen. Im Falle von „Um Lauterbann“ stünden jedoch zwei Fälle am Anfang des Infektionscluster, bei denen nicht abschließend geklärt werden könne, wo der Ursprung genau liege, so Mossong. Ein weiteres Problem sei technischer Natur: Um eine Sequenzierung des Virus vornehmen zu können, müsse eine hohe Virus-Anzahl in der Probe vorhanden sein. Aber: „Selbst wann man die genetischen Daten hat, kann man nicht sagen, wie das Virus tatsächlich ins Altersheim gekommen ist“, erklärte der Experte in der Kommission. Joël Mossong sagte, dass am Anfang wohl die Virusvariante B.1.1.29 stehe, die er als Niederkorner Variante bezeichnete. 

Unwirksamer Impfstoff?

Michel Wolter erkundigte sich zudem, wie es denn sein könne, dass die Patienten des Altenheimes, die am 18. Februar geimpft wurden, dennoch Anfang März sterben können. In seinem Gespräch mit dem Virologen Claude Muller habe dieser den Abgeordneten darauf aufmerksam gemacht, dass der Impfstoff bereits nach der ersten Dosis nach zwölf Tagen eine erste immunisierende Wirkung entfalten sollte. 

Am 18. Februar wurden in dem von Servior betriebenen Altenheim 143 Bewohner und 80 Mitarbeiter geimpft. Dem Protokoll der Sitzung ist zu entnehmen, dass „Santé“-Direktor Schmit den Abgeordneten eine Grafik vorlegte, die die Infektionen anzeigt, die sich in Luxemburg nach Verabreichung einer ersten Impfdosis ereignet haben. Die Grafik liegt dem Tageblatt zurzeit nicht vor. Schmit sagt, dass erst nach 25 bis 30 Tagen der Punkt gekommen sei, an dem keine Infektionen mehr vorkommen würden. „Die zwölf theoretischen Tage, die von Claude Muller zitiert wurden, haben eher theoretischen Wert“, so der Direktor der Gesundheitsdirektion.

Die Prozeduren und Hygienemaßnahmen, die vor und nach der Entdeckung der ersten Corona-Infektion eingehalten wurden, wurden von den Servior-Vertretern erklärt.

Politisches Gezeter

Ein Aspekt, der in der Kommission nicht eingehend erläutert wurde, war die Informationspolitik der Familienministerin Corinne Cahen – ein Punkt, den Michel Wolter selbst allerdings nicht prioritär auf der Tagesordnung haben wollte: „Weglassen will ich hier, weil das eigentlich etwas für die „Chambertribün“ ist, die Frage nach der Informationspolitik.“ Das sei höchstens eine Konsequenz und Schlussfolgerung, die man politisch ziehen müsse, so der CSV-Abgeordnete eingangs in seinen Äußerungen.

Mit den Experten-Erklärungen gab sich der CSV-Politiker jedoch nicht zufrieden – und zweifelte an der Unabhängigkeit des eingeladenen Epidemiologen Joël Mossong. „Herr Mossong ist sicher ein sehr guter Spezialist, ist mir aber aufgrund der Diskussion in dem Fall ,ze vill implizéiert’ und könne deswegen kein unabhängiges Gutachten abgeben“, sagte Wolter gegen Ende der Sitzung. Und: „Herr Schmit sagt, Herr Mossong sei der einzige Spezialist hier in Luxemburg, der diese Materie wirklich beherrschen würde. Ich bin aber der Meinung, dass es noch andere gibt.“

Auch die Erklärungen zur Sequenzierung des Virus reichten Wolter nicht, der abermals die Sequenzierungen forderte, um den Ursprung der Infektion herauszufinden und anmerkte: „Ich kann mich mit Argumenten des Datenschutzes nicht gut anfreunden.“ In der Sitzung war von Familienministerin Cahen angemerkt worden, dass die Betreiber der Altersheime ihre Angestellte nicht fragen dürfen, ob diese geimpft worden seien oder nicht.

Wolter lastete Cahen auch an, Statistiken im Bereich der „Logements encadrés“ zu beschönigen. „Und wenn mir die Statistik nicht gefällt, dann schreib sich sie so, wie ich es gerne hätte“, merkte Wolter in dem Punkt an. Die Corona-Statistiken und die Kategorisierung obliegt jedoch der Gesundheitsdirektion und unterliegt nicht dem Familienministerium. In betreuten Wohneinrichtungen leben Menschen, die in der Woche weniger als zwölf Stunden Pflege brauchen. Im Todesfall werden sie in der Statistik als „zu Hause gestorben“ vermerkt. Der CSV-Abgeordnete forderte jedoch, dass die Personen in der Statistik der Seniorenheime aufgeführt werden. „Ech hätt se gäre vu menger Aart a Weis, wéi ech zielen.“

Zuletzt übte der Abgeordnete Kritik an der Impfstrategie der Regierung. Selbst das Reinigungspersonal habe frühzeitig geimpft werden müssen, so die Forderung von Wolter. Die Entscheidung, dies nicht zu tun, wurde während der Sitzung mit der Knappheit der Impfstoffe begründet und der daraufhin getroffenen Entscheidung, die „personnes vulnérables“ zu impfen. „Wenn ich eine Reinigungskraft impfe, dann nehme ich einem Krebspatienten oder einem Herzpatienten de facto den Impfstoff weg“, sagte Jean-Claude Schmit.

In seiner abschließenden Bemerkung griff Michel Wolter auch Gesundheitsministerin Paulette Lenert noch einmal scharf an, die bis auf eine Klarstellung zur Impfstrategie den Experten das Feld überließ. „Ich kann Ihnen überhaupt nichts vorwerfen, denn Sie haben nichts gesagt“, so Wolter. In den Aussagen Lenerts hätten Selbstkritik und eine Infragestellung der getroffenen Entscheidungen gefehlt, sagte Wolter. „Au contraire, du hues d’Impressioun gehat: ‚Dat ass einfach esou.’ Dat ass meng Impressioun an déi huelt Der mer net ewech“, wird der Abgeordnete im Sitzungsprotokoll zitiert. Dann sei er eben anderer Meinung, aber das sei in der Politik ja auch erlaubt, sagte Wolter.

Lenert reagierte auf den Vorwurf und erklärte noch einmal die getroffenen Entscheidungen seitens der Regierung, die sie schon einmal während der Sitzung erklärt hatte. „Bei den Altenheimen sind wir nicht in einer Logik eines ,cordon sanitaire’. Die Insassen werden selbst vorgeimpft“, entgegnete sie dem CSV-Politiker. Man habe Prioritäten setzen müssen, weil nicht viel Impfstoff vorhanden gewesen sei, so die LSAP-Ministerin. In den Krankenhäusern habe man einen „cordon sanitaire“ errichtet, weil eben nicht jeder Patient dort geimpft werden würde, wie es in den Altenheimen der Fall sei. Dass dies nicht so schnell voranging, wie man sich das gewünscht habem sei bedauerlich – „mee et ass sécherlech net ‚domm gaangen’“, so Lenert auf den Vorwurf von Wolter. 

Streit um Studie

Der Präsident des Gesundheitsausschusses Mars di Bartolomeo (LSAP) griff anschließend die Forderung von Michel Wolter nach einer Studie, die die Vorfälle untersuchen wolle, auf und schlug vor, dass „eine gemeinsame Expertise“, inklusive der Experten der Ministerien, für eine objektive Faktenlage sorgen solle. Neben der „Santé“ und Experten aus den Ministerien sollten demnach auch das LIH und das LNS mitwirken können. Auch ausländische Experten sollen im Bedarfsfall herangezogen werden können. Das Sitzungsprotokoll solle als Anhaltspunkt der zu klärenden Fragen dienen und dem Expertengremium zugeschickt werden.

Wolter hingegen pochte auf eine unabhängige Studie, an der die Santé selbstverständlich mitwirken könne, aber nicht federführend sei, und forderte genaue Details dazu: „Ech hätt gären d’Etendue vun der Etüd. Ech hätt gären eng Roadmap. Ech hätt gären d’Kompositioun vun deene Leit, déi, aus wat fir engen Instanzen och ëmmer, déi Etüd maachen. Ech hätt gären en Timetable. Ech hätt gären de Finanzement.“

„Message reçu“, lautete die Antwort von Mars di Bartolomeo, der hingegen einwarf, dass sein Vorschlag im Bereich des Möglichen liege, was die Kommission realisieren könne, und Wolter anbot, seine Motion aufrechtzuerhalten oder aber angesichts seines Vorschlages zu überdenken. Er wolle die Mehrheitsparteien jedoch nicht „aus der Hüfte“ gegen Michel Wolter abstimmen lassen – das sei das falsche Signal – und forderte die Regierungsmitglieder und anwesenden Abgeordneten auf, die vorgeschlagene Studie in ihren Fraktionen ebenfalls zu überdenken.

Pastoret Carlo
8. April 2021 - 22.25

Weiweit sinn dann all dèi fréier politiker vunn der CSV an de Verwaltungsréit setzen mat verantwortlech ????? Wéiweit sinn dann Dokteren di ann denen Heimer betreien mat verantwortlech ????

Claudette
7. April 2021 - 23.30

Wie? Wie immer, der Foltermischi, der Mann fürs Grobe!

trotinette josy
7. April 2021 - 9.21

Wenn Theorie und Praxis aufeinandertreffen und nicht übereinstimmen.

J.C. (Niccolò M.) Kemp
6. April 2021 - 20.56

Die csv hat Probleme. Der Mann fürs Grobe poltert, um davon abzulenken. Mehr nicht.

Das Nervt aber wirklich
6. April 2021 - 12.26

Während die Grünen innen, oder hauptsächlich die 3 Prediger jeden Abend den RTL Journal besetzen mit irgend etwas Belangloses (eines Tages schmeisse ich die Flasche Wein in den Philipps Ambilight) zerstört sich die CSV selbst. Leute kassiert Eure Fahrrad und Tesla Prämien und wählt egal wen, aber nicht diese neue Religion.