Inszenierung„The Hothouse“ im „Grand Théâtre“ – das Universum Pinters als Panoptikum

Inszenierung / „The Hothouse“ im „Grand Théâtre“ – das Universum Pinters als Panoptikum
Auf verdeckte Weise unterminiert Gibbs (Daron Yates) die Macht von Roote (Dennis Kozeluh). Zu einem offenen Streit zwischen beiden kommt es aber nie. Foto: Grand Théâtre

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„The Hothouse“ ist eine aus dem Jahr 1958 stammende Tragikomödie von Harold Pinter. Was sie bespricht? Die Untragbarkeit von Machtverhältnissen, an deren Fundamente – mangels einer Alternative – niemand kratzen möchte. Die zurzeit im „Grand Théâtre“ laufende Inszenierung unter der Regie von Anne Simon macht dies vor allem durch eins deutlich: die innovative Nutzung des Bühnendekorums. Damit wird die Botschaft von Pinters Text nicht nur verstehbar gemacht, sondern um ein Vielfaches verschärft.

„The system’s wrong.“ Wie zufällig in einen längeren Redepassus eingeschoben, enthält dieser Satz den ideellen Kern von Harold Pinters „The Hothouse“. Doch von was handelt das Stück? Die Handlung spielt in einer nicht näher definierten medizinischen Einrichtung. Sie konzentriert sich auf den allmählichen Untergang von Direktor Roote, dessen Autorität durch seine Untergebenen – geleitet von Eigeninteresse –untergraben wird. Am Anfang des Stückes erfährt Roote, dass ein Patient gestorben ist und eine weitere Patientin auf dem Grundstück ein Kind geboren hat. Roote versucht, sich mit der Unterstützung seiner rechten Hand, dem intriganten Gibbs, an das Aussehen der Patienten zu erinnern – doch dies gelingt ihm nur unzureichend.

Von der Krankengeschichte und dem persönlichen Hintergrund der Internierten erfährt der Zuschauer kaum etwas, nicht einmal ihre Namen werden ihm mitgeteilt. Wie alle anderen Patienten werden sie nur über ihre Nummer identifiziert – als Figuren finden sie kein einziges Mal den Weg auf die Bühne. Bis zuletzt bleiben sie ohne Gesicht und ohne Sprache. Der Fokus der Handlung liegt somit auf den Spannungen zwischen dem Personal und Roote, wobei es bis zum Schluss zu keinem handfesten Eklat kommt. Die Konflikte schwelen unter der Oberfläche; an dem System selbst wird nicht gerüttelt, obwohl die Situation für die Involvierten unerträglich ist.

Lamb (Danny Boland) gehört ebenfalls zum Personal – er wird für einen Menschenversuch instrumentalisiert 
Lamb (Danny Boland) gehört ebenfalls zum Personal – er wird für einen Menschenversuch instrumentalisiert  Foto: Grand Théâtre

Pinter schrieb die Tragikomödie 1958, der Text zielt darauf ab, die englische Bürokratie und Klassengesellschaft der Nachkriegszeit zu kritisieren. Seine Hauptaussage: So, wie die Dinge hier gemacht werden, funktioniert es nicht. Oder anders ausgedrückt: Die bestehende Ordnung ist defektiv – und damit eigentlich hinfällig. Dennoch wird sie weiterhin aufrechterhalten. Die Frage nach dem Warum wird im Stück vollständig ausgeklammert und damit implizit beantwortet: Es gibt keine Alternative zum Status quo. Jedenfalls nicht für die in dem theatralen Mikrokosmos gefangenen Figuren. Für den Zuschauer, der nach der Vorstellung den Aufführungssaal verlassen kann, möglicherweise schon.

Die totale Überwachung

Die im „Grand Théâtre“ laufende Inszenierung von Pinters Stück transportiert diese doppelte Botschaft, indem sie mit allen der Kunstform des Theaters verfügbaren Mittel arbeitet: der Gestaltung des Raums, der Ausstaffierung der Schauspieler und einer Bandbreite von Spezialeffekten. Dabei beschwört sie ein Ambiente herauf, das der absurd-bedrohlichen Welt von „The Hothouse“ nicht nur in der Essenz entspricht, sondern sie geradezu potenziert.

Auch Lush (Marie Jung) ist Teil der Belegschaft. Sein ständiger Konsum von Alkohol unterstreicht die Hoffnungslosigkeit, die in der Einrichtung herrscht.
Auch Lush (Marie Jung) ist Teil der Belegschaft. Sein ständiger Konsum von Alkohol unterstreicht die Hoffnungslosigkeit, die in der Einrichtung herrscht. Foto: Grand Théâtre

Zu dieser Zuspitzung trägt wohl am stärksten die innovative Bühnenkonzeption bei: Regisseurin Anne Simon und Szenografin Anouk Schiltz entscheiden sich gegen eine traditionelle Trennung des Theatersaals in Bühne und Zuschauerraum und optieren für ein 360-Grad-Set, das die unteren Zuschauerplätze umgibt wie die Zelltrakte eines Panoptikums. Das Publikum sitzt auf Drehstühlen und kann somit die Vorgänge, die sich um sie herum abspielen, mitverfolgen. Dass es dabei die Darsteller wiederholt aus den Augen verliert und somit nicht durchgehend den Überblick über die Handlung behält, zeigt sogleich auch die Grenzen des repressiven (Gesellschafts-)Systems auf, das die Produktion sowohl nachbildet als auch – eben durch diese Imitation – kritisiert.

Das Zusammentreffen von Kontrasten

Die Kulisse an sich besteht aus Einzelräumen, die durch unsichtbare Wände, angedeutet durch Eisenrahmungen, voneinander getrennt sind. Durch die Aufgliederung der Szenerie in verschiedene Segmente entsteht ein Eindruck von Zersplitterung und gleichzeitiger Vernetztheit, denn die Figuren halten sich oft in unterschiedlichen Zimmern auf, sind räumlich weit voneinander entfernt – und interagieren dann doch im Gespräch so miteinander, als ob es diesen Abstand nicht gäbe. Dadurch kommen gleich mehrere Grundmotive des Stücks zum Tragen. Das Nebeneinander von Desintegration, Distanz und unentrinnbarer Verknüpftheit spielt hier ebenso eine Rolle wie das gleichzeitige Vorhandensein von wirklichkeitsnahen und surrealen Momenten. In ihrer Gesamtheit schaffen die Elemente ein diffuses Gefühl der Gefährdung, dem sowohl die Figuren von „The Hothouse“ als auch die Zuschauer schutzlos ausgeliefert sind.

Miss Cutts (Céline Camara) hat sowohl mit Gibbs als auch mit Roote ein Verhältnis. Ersteren möchte sie zum Mord an Roote anstiften.
Miss Cutts (Céline Camara) hat sowohl mit Gibbs als auch mit Roote ein Verhältnis. Ersteren möchte sie zum Mord an Roote anstiften. Foto: Grand Théâtre

Eine gleichzeitig naturnahe und grotesk-unwirkliche Atmosphäre schafft in dem Kontext die mit kinematografischer Präzision ausgewählte Einrichtung der Einzelzimmer. Die Möbel zitieren die Siebziger, die vielen Details – von den kleinen Topfpflanzen zu den Wandlampen im Retro-Look – hinterlassen einen Eindruck von Lebensechtheit. Sie stehen im Gegensatz zu Bestandteilen des Dekors, wie einer futuristisch wirkenden Schreibmaschinenkonstruktion, die mit der Alltagswirklichkeit brechen. Gekonnt eingesetzte Licht- und Soundeffekte sowie der Einsatz von Bühnennebel verschärfen noch einmal diese Spannung zwischen einer Realitätsnähe, die darauf beruht, dass sich der Zuschauer in der Theaterwelt wiederfindet und sich so ihrer Illusion hingeben kann, und der Verfremdung des Dargestellten. Dem gleichen Prinzip folgen die Kostüme der Darsteller: Sie variieren zwischen Grün und Blau, erinnern sowohl an Uniformen als auch – insbesondere im Fall von Institutionsleiter Roote – an den Aufzug eines Clowns.

Das Leben als Gegenentwurf

Bühnenbild, Spezialeffekte und Kostüme komplementieren somit nicht nur die Darstellung, sondern stehen mit im Zentrum der Produktion. Damit macht Letztere deutlich, dass Machtstrukturen nicht rein durch das explizit oder implizit Gesagte manifest werden, nein, sie schlagen sich in der gesamten materiellen Umgebung nieder. Und so konkret greifbar Anzug und Zellentür, Kleidung und Kulisse denn auch sind, so konturlos und unverfügbar erscheint die Bedrohlichkeit, die sie ausstrahlen. Wie die Figuren in „The Hothouse“ befinden sich die Zuschauer – wortwörtlich – mitten im Geschehen und können sich ihm nicht entziehen. Zumindest nicht während der Dauer des Spektakels – und hier wiederum wird ein wesentlicher wie auch optimistischer Kerngedanke des Stücks berührt: Nachdem der Vorhang gefallen ist, können die Zuschauer wieder in die Freiheit hinaustreten. Hier präsentiert sich, zumindest potenziell, das Leben selbst als ein Gegenprogramm zu Pinters Universum. Denn es bleibt nicht zu vergessen: „The system’s wrong.“

Laufzeiten

Die Aufführungsdaten der Tragikomödie „The Hothouse“ mit Spielbeginn um 20 Uhr sind: 1. April, 2. April, 6. April, 7. April, 9. April, 10. April.
Am 7. und am 10. April wird das Stück zudem um 15 Uhr aufgeführt.
Eine Aufführung um 17 Uhr findet am 11. April statt.

Die Spielzeit beläuft sich auf zwei Stunden, eine Pause wird nicht gemacht.

Eine Einführung zum Theaterstück gibt Janine Goedert vor jeder Aufführung, diese dauert eine halbe Stunde.

Achtung: Während der Aufführung kommt Stroboskoplicht zum Einsatz.