Alain spannt den BogenEine französische Woche

Alain spannt den Bogen / Eine französische Woche
Mit einer atemberaubenden Gestaltungsfähigkeit, einer perfekten, stimmigen, quasi alle Regungen abdeckenden Psychologie und einer, wie immer, makellosen Gesangsdarbietung machte Patricia Petibon aus Poulencs La Voix humaine ein für das Publikum unvergessliches Erlebnis  Foto: Alfonso Salgueiro

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Eine wahre Sternstunde erlebte das Publikum am vergangenen Donnerstag in der Philharmonie. Zu Gast war Publikumsliebling Patricia Petibon, diesmal allerdings nicht mit einem Liederrezital, sondern dem Monodram „La Voix humaine“ von Francis Poulenc. Begleitet wurde sie vom Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter dem französischen Dirigenten Jérémie Rhorer, der davor Sergej Prokofjews 1. Symphonie, die „Symphonie classique“, dirigierte. 

Rhorer gehört zu den vielversprechenden französischen Dirigenten und hat sich insbesondere im Bereich der historischen Aufführungspraxis einen guten Namen gemacht. Aber nicht nur, seine spritzigen Interpretationen machen aus ihm ebenfalls einen exzellenten Mozart- und Beethoven-Interpreten. Inzwischen darf man Rhorer durchaus als einen vollkommenen Künstler betrachten, der sowohl als Dirigent wie auch als Komponist tätig ist und seinen Wirkungskreis von der Barockmusik bis auf die zeitgenössische Musik ausgeweitet hat. Und welches gute Händchen er für Prokofjew hat, das bewies seine atemberaubende Interpretation der „Symphonie classique“.

Während viele Dirigenten und Orchester diese „Haydn“-Symphonie auf die leichte Schulter nehmen und dabei verpassen, Akzente zu setzen, gelingt Rhorer das Kunststück, eine ebenso spritzige wie vielstimmige Interpretation aus den OPL-Musikern herauszukitzeln. Rhorer begnügt sich nicht mit einer schlichten und linearen Lesart, vielmehr lotet er jede Stimme und Nebenmelodie bis ins kleinste Detail aus – ohne dabei aber ins Analytische oder Akademische zu verfallen. Im Gegenteil, gerade durch seine zügigen Tempi, die er mit vielen, oft nur kurz aufblitzenden Nebenstimmen schmückt, erreicht er ein absolut fantastisches Resultat dieser quirligen Symphonie.

Ein ganz besonderes Werk des 20. Jahrhunderts ist Francis Poulencs „La Voix humaine, Tragédie lyrique en un acte“ aus dem Jahre 1958. Eine Monooper oder Monodram nach dem bereits 1930 erschienenen Theaterstück von Jean Cocteau. Die Uraufführung fand 1959 in der Salle Favart der Opéra Comique in Paris statt. Georges Prêtre dirigierte, Denise Duvall sang und spielte die Rolle der Frau. Es geht um eine Frau, die von ihrem Partner verlassen wurde, und aus den Gesprächsfetzen von immer wieder unterbrochenen Telefonaten erfährt der Zuhörer von einer zerrütteten Beziehung und der Verzweiflung einer Frau. Hierbei durchlebt sie alle mögliche Gefühlsregungen von Trauer bis hin zum Wahnsinn, vom Verständnis, vom Bitten bis hin zum Selbstmordversuch.

Poulenc hat dazu eine aufreibende und hochexpressive Musik komponiert, die während 40 Minuten eigentlich alles von der Sängerin abverlangt. Patricia Petibon ist für ihre intensiven und überzeugenden Darstellungen berühmt. Und das zeigte sie auch an diesem Abend. Mit einer atemberaubenden Gestaltungsfähigkeit, einer perfekten, stimmigen, quasi alle Regungen abdeckenden Psychologie und einer, wie immer, makellosen Gesangsdarbietung machte sie aus Poulencs „La Voix humaine“ ein für das Publikum unvergessliches Erlebnis. Rhorer und das OPL standen der intensiven Darstellung der Sängerin in nichts nach, sodass das Publikum an diesem Abend einem wirklich außergewöhnlichen Konzert allerhöchsten Ranges beiwohnen durfte.

Von Brahms bis Piaf

Genauso intensiv und leidenschaftlich ging es einige Tage später weiter. Ein anderer Publikumsliebling war zu Gast in der Philharmonie. Der Cellist Gautier Capuçon gehört schon fast zum Inventar der Philharmonie und begeistert das Publikum mit seinem hervorragenden Spiel jedes Mal aufs Neue. Zusammen mit dem Pianisten Jérôme Ducros spielte Capuçon die Sonate für Cello und Klavier Nr. 1 von Johannes Brahms und die d-moll-Sonate von Dimitri Schostakowitsch. Es war ein Konzert, das nicht so sehr von seinen Feinheiten lebte, dafür aber eine geballte Menge an Expressivität bot. Capuçon und Ducros harmonierten bestens miteinander, und die Leidenschaft, mit der sie die Brahms-Sonate interpretierten, war schon beeindruckend. Die beiden Interpreten setzen nicht so sehr auf deutsche Spieltradition, sondern gingen das Werk mit einer weit gefächerten Farbpalette an. Trotzdem blieb die Interpretation recht griffig und bestach durch einen zupackenden Gestus.

Während das Largo aus Schostakowitschs Sonate op. 40 quasi aus dem Nichts entstand, die Musik sich hier an der Grenze zur Auflösung befand und somit eine spielerische Meisterleistung darstellte, wussten Capuçon und Ducros mit einer kernigen und rhythmisch akzentuierten Interpretation zu begeistern, deren Expressivität sehr intensiv und trotzdem wohldosiert blieb. Nach diesen beiden Hauptwerken folgten noch vier kleinere, „leichtere“ Stücke. Ob in der Bearbeitung von Dvoraks Mond-Arie aus Rusalka, der „Valse sentimentale“ von Tschaikowsky, Scott Joplins „Ragtime The Entertainer“ oder Vittorio Montis Csardas, Gautier Capuçon und Jérôme Ducros geizten auch hier nicht mit höchster Spielkultur und gekonnter Virtuosität. Für das begeisterte Publikum gab es dann noch eine Bearbeitung von Edith Piafs „Hymne à l’amour“ als Zugabe.