LuxFilmFest Verdorbene Frucht

LuxFilmFest  / Verdorbene Frucht
 Foto: Takashi Seida

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Biopics sind oftmals ein vom Publikum geliebtes und von der Kritik gescholtenes Kinogenre. Die meisten schauen sich wie bewegte Wikipedia-Artikel, die schlimmsten sind jene, die von den Porträtierten oder deren Familie und/oder Erben des Images wegen überwacht werden. Wenige Biopics wissen die filmische Bildsprache gegenüber der Person im Mittelpunkt anzupassen und die allerwenigsten erzählen etwas – ganz unabhängig vom Biografischen – über die Welt.

„The United States vs. Billie Holiday“ von Lee Daniels ist auf dem Papier aber genau so ein Film. Zeitlich spielt sich das Geschehen um die amerikanische Sängerin Billie Holiday in den Nachkriegsjahren bis zu ihrem Tod 1959. Sie wird als das gefeiert, was sie ist: eine Ausnahmesängerin und Performerin, charismatisch, intelligent – und sie hat mit „Strange Fruit“ den radikalsten und engagiertesten Song des amerikanischen 20. Jahrhunderts in der Tasche.

„Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root /Black bodies swingin’ in the Southern breeze / Strange fruit hangin’ from the poplar trees.“ Das vom jüdischen Songwriter Abel Meeropol geschriebene Lied erzählt von der Lynchjustiz an Afroamerikanern/innen. Das strange Obst an den Bäumen sind eben nicht Früchte, sondern tote Körper. „Strange Fruit“ gilt heute als Wegbereiter für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Das wusste auch Edgar J. Hoover und die weißen Menschen an der Macht. Es galt, Billie Holiday mundtot zu machen. Da mensch jedoch eine prominente schwarze Sängerin nicht wegen eines Liedes einbuchten konnte, wurden ganz andere Register gezogen. Holidays Substanzabhängigkeiten waren bekannt und Harry Anslinger, erster Kommissar für das Federal Bureau of Narcotics, setzte einen schwarzen Agenten auf Holiday an, um sie aus dem Verkehr zu ziehen.

Das Lebenskapitel von Billie Holiday, welches im Zentrum von Daniels Film ist, basiert zwar auf einem Buchkapitel von Johann Haris Sachbuch über die Geschichte des amerikanischen war on drugs, lässt sich aber im Drehbuch Raum für Interpretationen und Erfundenes. Das Drehbuch von Suzan-Lori Parks stellt sich vor, dass sich der auf Holiday angesetzte Agent in die Sängerin verliebt. Es gibt sicher Regisseure/innen, die mit dem überladenen Drehbuch sauber zu arbeiten wüssten, aber Lee Daniels ist dafür eher mittelmäßig prädestiniert.

Die Liebesgeschichte zwischen Holiday und diesem Agenten Jimmy Fletcher – gespielt von „Moonlight“-Entdeckung Trevante Rhodes – ist im Hinblick auf das große Bild, welches „The United States vs. Billie Holiday“ zeichnen will, eher befremdlich. Es ist überhaupt sehr frustrierend, mit anzuschauen, wie das eigentlich relevante Statement, welches unter der Oberfläche von abgelutschten Biopic-Codes schlummert, nicht den verdienten Stellenwert bekommt. Das gleiche Statement übrigens, welches schon der Schlüssel der Serie „The Wire“ von David Simon war – dass der war on drugs eine pseudo-moralistische Finte seitens der weißen herrschenden Klasse ist, um die schwarze Bevölkerung in Schach zu halten und zu unterdrücken.

Lee Daniels meint allen Ernstes, ein formell und dramaturgisch freies Konfetti auf die Leinwand zu schießen. Mehr oder weniger Melodrama, etwas Musik, eine Junkie-Story und ein bisschen politische Aussagen. Lee Daniels ist auf so vielen Ebenen unfokussiert, dass man sogar Andra Day fast nicht wahrnehmen kann. Denn trotz sprachlicher Manierismen ist ihre Billie-Holiday-Performance eine ganz solide. Ohne sie würde man den Film vielleicht gar nicht zu Ende schauen. Denn auch sie kämpft nur mit ihren Mitteln gegen die falsche Virtuosität von Lee Daniels’ Regie an. Wer das visuelle Chaos eines Baz Luhrmann zu schätzen weiß, könnte „The United States vs. Billie Holiday“ einen Freifahrtschein geben. Alle anderen werden einfach nur enttäuscht sein, wie sehr der Film – Biopic hin oder her – seiner Protagonistin und ihrer Geschichte nicht gerecht wird.

Offizielle Auswahl, hors compétition, 1/5

Der Film läuft am Samstag um 19.00 Uhr im Kinepolis Kirchberg