EUHart an der Außengrenze – Kritik an Frontex wird immer lauter 

EU / Hart an der Außengrenze – Kritik an Frontex wird immer lauter 
Frontex-Chef Fabrice Leggeri bescheinigt seiner Truppe eine „super Arbeit“ Foto: AFP/Janek Skarzynski

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Nicht nur NGOs, auch EU-Kommission und Europaparlament haben Frontex-Chef Leggeri ins Visier genommen. Ein mit Spannung erwarteter Abschlussbericht zu Pushbacks in der Ägäis, der am Montag erschien und der dem Tageblatt vorliegt, liefert keine eindeutigen Antworten. Doch Leggeris Kritiker lassen nicht locker – es geht auch um mögliche Grundrechtsverstöße seiner Behörde.

Die Europäische Union kann sich seit Jahren nicht auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen. Einziger gemeinsamer Nenner zwischen den 27 Staaten scheint die Verstärkung der EU-Außengrenzen zu sein. Doch die EU-Behörde, die sich um den Grenzschutz kümmern soll, steht massiv in der Kritik.

Vor allem soll Frontex bei illegalen Rückschiebungen in der Ägäis durch griechische Grenzschützer zugeschaut haben beziehungsweise die Berichte dazu vertuscht oder erschwert haben. Diese sogenannten Pushbacks verstoßen gegen EU-Recht – eigentlich, doch dazu später mehr.

Hinzu kommen Ermittlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), misstrauische und den Fällen nachgehende EU-Parlamentarier und eine immer ungeduldiger werdende EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Im Zentrum der Kritik steht Frontex-Chef Fabrice Leggeri. Dem Franzosen und seiner Chefetage wird dazu auch noch ein beklemmender Führungsstil vorgeworfen, der von Mobbing bis zur Bevorteilung bei Einstellungen reichen soll.

Vorwürfe rund um illegale Pushbacks 

Am Montag nun legte eine vom Frontex-Verwaltungsrat ins Leben gerufene Arbeitsgruppe ihr endgültiges Fazit zu den mutmaßlichen Frontex-Verwicklungen in Pushbacks in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei vor. Und damit wenige Tage vor der am Donnerstagmorgen stattfindenden Befragung Leggeris im Europaparlament durch die Ende Januar gegründete, aus 14 Abgeordneten bestehende Frontex-Arbeitsgruppe. Auch Kommissarin Johansson wird an dem Online-Treffen teilnehmen.

Der Frontex-interne Schlussbericht vom Montag, der dem Tageblatt vorliegt, war mit Spannung erwartet worden – trägt aber kaum etwas zur Aufklärung bei. Nötig geworden war dieser Schlussbericht, nachdem die Arbeitsgruppe bis Januar nur einen Teil der Pushback-Vorwürfe aus dem Jahr 2020 hatte entkräften können. Doch auch das Endergebnis kann keine weitere Klarheit liefern.

Die Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern verschiedener EU-Institutionen und von Schengenraum-Staaten, hält einige Empfehlungen in ihrem Bericht fest, die durchaus als Kritik am Funktionieren von Frontex und insbesondere an Leggeri verstanden werden können. So heißt es, Einsätze müssten fortan besser dokumentiert werden, Frontex-Schiffe oder -Flugzeuge sollten Einsätze zum Beispiel der griechischen Küstenwache bis zum Abschluss beobachten und dokumentieren. Menschenrechtsverletzungen sollten konsequent gemeldet und ihnen nachgegangen werden. Offenbar war das bislang nicht der Fall.

Die Frontex-Grenzschützer bilden dabei ein zentrales Puzzleteil in Europas Migrationspolitik. Bis 2027 soll die Behörde von rund 1.000 Beamten auf eine ständige Reserve mit bis zu 10.000 Beamten ausgebaut werden. Das Jahresbudget von Frontex beträgt zurzeit knapp 500 Millionen Euro. In der Periode 2021 bis 2027 sollen insgesamt elf Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt in die Grenzschutzagentur fließen.

Schwere Vorwürfe, kaum Erkenntnisse

Bei den konkreten Pushback-Verdachtsfällen kommt der Bericht nicht über Vermutungen hinaus. Obwohl die Vorwürfe teilweise schwer wiegen, ließen sie sich im Nachhinein nicht zweifelsfrei belegen, heißt es mehrfach. Es geht dabei um Zwischenfälle in der Ägäis, die sich zwischen April und November 2020 zugetragen haben. Bei den meisten stehen auch nach diesem Bericht Aussage gegen Aussage. Hinzu kommt, dass das Einsatzkommando immer unter der Führung des jeweiligen Einsatzstaates steht. Fünf von sechs sogenannten „Serious Incident Reports“ können demnach weiterhin nicht restlos aufgeklärt werden. Der Bericht macht auch wenig Hoffnung darauf, dass dies noch geschehen könnte. Es scheine „unmöglich“, diese Fälle „restlos aufzuklären“, heißt es dort.

In all den Fällen geht es jeweils um die Frage, ob griechische Grenzschützer Schlauchboote in türkische Gewässer zurückgedrängt haben und Frontex-Beamte dies entweder stillschweigend geschehen ließen oder die Frontex-Zentrale Berichte darüber unterdrückte. Solche Verdachtsfälle stammen unter anderem von einem schwedischen Patrouillenschiff und einem dänischen Überwachungsflugzeug, die beide im Auftrag von Frontex unterwegs waren. Würde Frontex solche Fälle ordnungsgemäß registrieren, wäre es zum Handeln gezwungen, indem es dem EU-Mitgliedstaat, in dem es operiert, wegen Verletzung der Menschenrechte die finanzielle und logistische Hilfe entzieht.

Doch, wie erwähnt, wirkliche Aufklärung liefert der Abschlussbericht in dieser Hinsicht nicht. Vielmehr wird versucht, die Verantwortung zurück an die Kommission zu schieben. Neben geopolitischen Unwägbarkeiten in der Ägäis würden vor allem rechtliche Unsicherheiten den reibungslosen Ablauf der Frontex-Einsätze erschweren, heißt es. Schließlich sei juristisch nicht klar, wie und wann ganze Gruppen von Menschen ohne Recht auf Asylantrag zurückgedrängt werden könnten.

Die Stelle im Bericht nimmt Bezug auf ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom Februar vergangenen Jahres. Der EGMR wies da in zweiter Instanz die Klage zweier Männer aus Mali und der Elfenbeinküste zurück, die ohne Verfahren von der spanischen Polizei zurück nach Marokko gebracht worden waren, nachdem sie zuvor die Grenzsperren zur spanischen Exklave Melilla überwunden hatten.

Dem Urteil der Richter zufolge hätten sich die Betroffenen „selbst in eine unrechtmäßige Situation“ gebracht. Spaniens Guardia Civil habe das Verbot der Kollektivausweisung nicht verletzt, erklärten die Straßburger Richter. Frontex scheint sich das nun zunutze machen zu wollen. Doch bereits das Urteil zu Spanien war hochumstritten. Wobei es in dem Fall darum ging, Menschen wieder an Land abzusetzen. Die Frontex-Einsätze spielen sich auf dem Meer ab, wird ein Schlauchboot manövrierunfähig, droht den Insassen der Tod.

Wie umgehen mit der Türkei?

Der Bericht legt der EU-Kommission ebenfalls nahe, präzise Angaben zu machen, wie in dieser geopolitisch hitzigen Region mit der Türkei umzugehen ist, die, wie Leggeri bereits in einem Statement an die Frontex-Arbeitsgruppe darlegte, zu Beginn 2020 öffentlich erklärt hatte, Migration als „politischen Hebel“ einzusetzen. Hinzu komme, so Leggeri in seiner Stellungnahme, die dem Tageblatt ebenfalls vorliegt, die Sorge der Griechen vor einer „hybriden Bedrohung“ für ihre Landesverteidigung, allerdings ohne zu erläutern, was das bedeutet.

Auch wenn der Frontex-Schlussbericht keine klaren Aussagen zu den Pushbacks trifft, dürfte die Befragung durch die Europaabgeordneten und Kommissarin Johansson an diesem Donnerstagmorgen für Leggeri trotzdem zum Spießrutenlauf werden. Die Kritik am Franzosen, dessen Behörde massiv wachsen soll, wurde zuletzt immer lauter.

Klar scheint, dass in Europas gescheiterter Migrationspolitik Frontex die Bewältigung der Drecksarbeit zukommt. Doch auch die sollte im Rahmen des Gesetzes erledigt werden. Darüber, ob diese Verantwortung weiter in Leggeris Händen liegen soll, müssten am Ende die EU-Innenminister entscheiden.