DesinformationSonderausschuss im EU-Parlament arbeitet an Maßnahmen gegen Einflussnahme aus dem Ausland

Desinformation / Sonderausschuss im EU-Parlament arbeitet an Maßnahmen gegen Einflussnahme aus dem Ausland
Die sogenannten sozialen Medien sind die Orte, an denen die neuen „hybriden Kriege“ der Desinformation ausgetragen werden Foto: AP

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Im Juni vergangenen Jahres hat das Europäische Parlament (EP) den sogenannten „Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation“ eingesetzt. Gestern nahmen der Vorsitzende und die Berichterstatterin des Ausschusses erstmals Stellung zu ihrer Arbeit.

Ein Jahr haben die 33 EP-Abgeordneten Zeit, um ihren Bericht zu verschiedenen Aspekten der Einflussnahme von Drittstaaten auf die politischen Institutionen, aber auch auf die Gesellschaften insgesamt in der EU vorzulegen. Die Aufgaben, die dem Sonderausschuss aufgetragen wurden, reichen weit, das Terrain, auf dem sich dieser bewegen muss, ist schwierig. Denn nicht nur soll sich der Ausschuss mit dem Problem der Wahlkampffinanzierung in den 27 Mitgliedstaaten beschäftigen, um etwa Schlupflöcher aufzudecken, über die beispielsweise Briefkastenfirmen oder vorgeschobene legale oder illegale Geldgeber aus Drittstaaten politische Parteien in der EU finanzieren, um Einfluss zu erhalten. Die EU-Parlamentarier wollen auch Bereiche aufdecken, in denen Betreiber von sozialen Medien eingreifen sollen. Etwa indem sie Inhalte kennzeichnen, die von sogenannten Bots, also Computerprogrammen, die automatisch Aufgaben abarbeiten, verschickt wurden. Oder Aktivitäten von Personen unterbinden, die im Netz zu Hassreden anstiften und dergleichen mehr. Wobei die Empfehlungen der Abgeordneten nicht mit der Meinungsfreiheit in Konflikt geraten dürfen. Andere Aufgaben des Sonderausschusses sind Vorschläge zu liefern, wie gegen Cyberangriffe vorzugehen ist, zu prüfen, inwieweit die EU von ausländischen Technologien im Bereich der Informationstechnologien abhängig ist, oder „Maßnahmen gegen Informationskampagnen und strategische Kommunikation böswilliger Drittländer“ vorzuschlagen.

Der Vorsitzende des Ausschusses, der französische S&D-Politiker Raphaël Glucksmann, sprach gestern wiederholt davon, dass die EU-Staaten mit einem „hybriden Krieg gegen die Demokratie“ konfrontiert seien, auf den sie allerdings bis jetzt nur „eine schwache Antwort“ geben würden. Immerhin gebe es in den europäischen Institutionen „ein steigendes Bewußtsein“ dafür. In der Tat hat der Auswärtige Dienst der EU bereits vor Jahren mit der „East Stratcom Task Force“ und der „EUvsDisinfo“ zwei Stellen eingerichtet, von denen sich die erste mit Informationskampagnen in osteuropäischen Nicht-EU-Ländern befasst und die zweite damit beschäftigt ist, hauptsächlich von russischen Medien ausgehende Fake News und Desinformationskampagnen aufzudecken.

Raphaël Glucksmann weist denn auch darauf hin, dass bis jetzt die „russischen und chinesischen Regimen“ als „die Hauptgefahren“ für die Demokratie in der EU ausgemacht wurden. Der französische PS-Politiker bedauert, dass bislang nur mit „limitierten Mitteln“ darauf reagiert werde. Das hatte am Vortag bereits der Hohe Vertreter für die EU-Außenpolitik, Josep Borrell, während einer Anhörung vor dem Sonderausschuss bestätigt. Auch der Spanier sieht die EU in einem Krieg, den zu kämpfen diese erst lernen und für den sich die EU Instrumente geben müsse.

Angreifer müssen einen Preis zahlen

Die Berichterstatterin des Ausschusses, Sandra Kaliente, wies darauf hin, dass die Desinformation im täglichen Leben angekommen sei, wie es nun am Beispiel von „großen Desinformationskampagnen rund um Covid und den Impfstrategien“ zu sehen sei. „Was wir in den sozialen Medien sehen, ist nur ein kleiner sichtbarer Teil des Eisberges“, sagte die lettische EVP-Abgeordnete. Angesichts dessen seien soziale Medien keine gewöhnlichen Unternehmen mehr.

Um gegen solche Kampagnen und andere Einflussnahmen vorzugehen, brauche es als erstes „entschiedene politische Botschaften an die politisch Verantwortlichen dieser Attacken“, meint Raphaël Glucksmann. „Die russischen Hacker handeln nicht ohne Befehle der russischen politischen Behörden.“ Jene, die über diese Attacken entscheiden würden, seien der Ansicht, sie müssten keinen Preis dafür zahlen. Die erste politische Botschaft der EU müsse es daher sein, einen Preis für diese Attacken festzulegen, so der französische EU-Parlamentarier. Denn es gehen nicht darum, die Menschenrechte in China oder Russland zu verteidigen, sondern die Institutionen und die Demokratie in der EU. Allerdings wirft der Franzose den EU-Europäern in dieser Hinsicht „Naivität“ vor. Er ist sich zudem bewusst, dass die Entscheidungen darüber, wie ernsthaft die EU vorgehen wolle, in Berlin und Paris getroffen werden. Es dürfe aber nicht mehr angehen, dass die Demokratie in der EU attackiert werde und dennoch weiter Geschäfte mit dem Angreifer gemacht werden, sagt Glucksmann.