Theater / Zwischen Dosenfutter und Piña Colada: Moritz Schönecker inszeniert Ian De Toffolis „Staycation“
In einer Welt, in der längst nicht mehr alles ist, wie es scheint, und in der ostentativer Hedonismus auf sämtlichen sozialen Plattformen nicht erst seit heute zur Normalität geworden ist, wächst auch der Druck auf das Individuum, diesem Standard gerecht zu werden. Da darf man, wie uns auch Ian De Toffolis Komödie „Staycation“ im Kasemattentheater vor Augen führt, schon mal einen Luxusurlaub auf den Kanaren vortäuschen, nur um sich am Glanze dieser digitalen Fake-Realität ergötzen zu können.
Zwei Wochen Familienurlaub in einem All-inclusive-Hotel auf der beliebten Ferieninsel Lanzarote. Während die frische Meeresbrise einen noch vor der baldig eintretenden Hitze schützt, genießt man das exotische Frühstück am Strand, bevor man sich später zum ausgiebigen Sonnenbaden an den Pool oder auf eine der touristischen Entdeckungsreisen begibt. Abends dann Sonnenuntergang über dem endlosen Atlantik und Cocktailschlürfen an der schicken Hotelbar. Was nach einem typischen Aufenthalt in einem der Massentourismus-Paläste an der kanarischen Küste klingt, ist eigentlich ein inszenierter Luxusurlaub im Keller eines schäbigen Einfamilienhauses.
Die Mutter Birgit (Catherine Janke) hat die mitleiderregenden Blicke ihrer Nachbarn satt. Während sie und ihr Mann Jochen (Ilja Niederkirchner) den ganzen Tag schuften, um sich und die gemeinsame Tochter Flora, die während des Stücks durch die Handlungen, Gesten und Reaktionen der Eltern dargestellt wird, noch gerade so über Wasser halten zu können, fahren ihre Freunde und Bekannte protzige Autos, leisten sich luxuriöse Markenkleidung und unternehmen kostspielige Reisen in ferne Länder. Anschließend posten sie auf Facebook, Instagram und Co. ihre perfekt in Szene gesetzten Bilder, um sich mit ihrem dekadenten Lebensstil zu profilieren. Um den eigenen Status wieder etwas aufzupolieren, täuschen Birgit und ihre Familie also den perfekten Sommerurlaub auf Social-Media-Plattformen vor, wobei die Selbstquarantäne auf engem Raum nicht nur jedes der Familienmitglieder an seine eigenen Grenzen bringt, sondern auch schlummernde Konflikte endgültig erwachen lässt.
Mehr Schein als Sein
„Wenn man arm ist, zahlt man eigentlich immer mehr für alles“, heißt es gleich zu Beginn des Stücks, das genauso unermüdlich den Armutsdiskurs wie auch die digitale Schein-Welt thematisiert. In einer ausbeuterischen, kapitalistischen und vom Materialismus angetriebenen Gesellschaft, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich weitet und die besser Gestandenen ihr angeblich makelloses Leben in allen Facetten online dokumentieren, wundert es kaum, dass sich der eine oder andere ebenfalls nach einem Leben in Luxus und Reichtum sehnt. Birgits Familie gehört leider auch zu jener Gesellschaftsschicht, die jeden Groschen zweimal umdrehen muss – dies müsste nach teilweise redundanten Diskussionen zwischen dem Ehepaar auch dem Letzten in der Zuschauerreihe klargeworden sein.
Ebenso wiederholend wie die stellenweise eher primitiven und vulgären Streitgespräche zwischen Birgit und Jochen sind auch die Meinungsverschiedenheiten, die beim Optimieren der Bilder, die mit Hashtags wie „#qualitytime“ das harmonische Zusammenleben der Familie unterstreichen sollen, auftauchen. Und wenn sich die gesamte Familie in Szene schmeißt, den Frühstückstisch vor dem Strandhintergrund zigmal neu aufbauen muss, um das perfekte Foodporn-Bild für Instagram zu schießen, stellen sich alle Beteiligten so überspitzt ungeschickt an, dass man als Zuschauer oder Zuschauerin am liebsten hingehen und das Ganze selbst in die Hand nehmen würde.
In einer Zeit, in der viele ihr Selbstwertgefühl aus Likes und Kommentaren auf Facebook, Instagram und Co. schöpfen und sich der Alltag einzig allein darum dreht, möglichst viele Follower für sich und seinen Account zu gewinnen, wundert es nicht, dass selbst innerhalb von Familien eine Art Konkurrenzkampf entsteht, wie es auch De Toffolis Stück zeigt. Dass hierbei die pubertierende Tochter mit ihrer provokativen „WAP Dance Challenge“ auf TikTok wohl die meisten digitalen Herzchen ergattert, wundert dabei kaum.
„Am Leben sein ist teuer“
Was als erheiternd satirische Komödie beginnt, entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einer plakativen Karikatur unserer heutigen Gesellschaft, die sich mithilfe von Followern und Likes Bestätigung in den sozialen Medien sucht. Dabei nimmt das Stück stellenweise sehr absurde Konturen an, wenn der vor Hunger kaum mehr aushaltbare Jochen nachts von einem Hotdog träumt oder die hysterische Birgit ihren Ehemann in ihren Vorstellungen ersticht. Den Gipfel der Absurdität erreicht die Inszenierung von „Staycation“ allerdings mit dem Auftauchen einer Malervlies-Figur (das gleiche Vlies, aus dem auch der Bühnenhintergrund besteht), in die man schließlich die Tochter Flora interpretieren kann.
In seiner Komödie arbeitet De Toffoli mit Stereotypen, die in ihrer Überspitztheit leider manchmal etwas übers Ziel hinausschießen. Während Jochen als Alphamännchen in T-Shirts mit Prints von typischen Urlaubssprüchen mit seiner sexuellen Enthaltsamkeit zu kämpfen hat (14 Tage auf engstem Raum mit der eigenen Tochter fördern nicht gerade die Erotik), nörgelt Birgit über ihre Rolle als die für alles sorgende Familienmutter. Catherine Janke und Ilja Niederkirchner werden ihren klischeehaften Rollen allerdings gerecht und sorgen beim Publikum sogar für den einen oder anderen Lacher.
Auf ironische Weise wird ebenfalls die prekäre finanzielle Lage der Familie, die ihr Geld vorzugsweise in mehr oder weniger teures Material für die perfekte Social-Media-Inszenierung steckt, als sich tatsächlich auf Reisen zu begeben. So werden zwischen Spots, einer Fotoleinwand mit Strandaufdruck, Liegestühlen und Dosenravioli Urlaubsbilder geschossen.
Obschon Moritz Schöneckers Inszenierung von „Staycation“ nicht auf ganzer Linie überzeugen kann, ist Ian De Toffoli ein durchaus gesellschaftskritisches Stück gelungen, das zu Recht die heutige Like-geile Gesellschaft, deren reales Gesicht sich hinter dieser digitalen Schein-Welt versteckt, hinterfragt. Und wenn Sie beim nächsten Mal durch Ihr Facebook- oder Instagram-Food scrollen und eines dieser perfekten Selfies vor einem Sonnenuntergang in der Karibik erspähen, halten Sie sich vor Augen, dass es sich hierbei genauso gut um ein exzellent inszeniertes Foto vor einem Wandbild handeln könnte.
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