IslamismusWie Islam-Vereine weltweit bei Gedenkfeiern einem Antisemiten huldigen

Islamismus / Wie Islam-Vereine weltweit bei Gedenkfeiern einem Antisemiten huldigen
Die Milli-Görüs-Gemeinschaft hat ihren Ursprung in der Türkei und erreicht europaweit rund eine Million Anhänger Foto: AFP/Ozan Kose

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Ungeachtet aller Kritik feiert die islamisch-fundamentalistische Milli-Görüs-Gemeinschaft (IGMG) ihren antisemitischen Gründervater Necmettin Erbakan als Islam-Pionier.

Die Pandemie erlaubt zwar keine Großveranstaltungen, die IGMG verzichtete am Wochenende dennoch nicht auf ihr globales Event „Önden Gidenler“, mit dem sie Persönlichkeiten würdigte, „die dem Weg des Gesandten Allahs folgten und so zu Pionieren wurden“. Wohl nicht zufällig rund um den 27. Februar wurden in vielen Ländern Europas sowie in den USA, Kanada, Australien und Japan Zoom-Konferenzen organisiert: Am Samstag vor zehn Jahren starb Necmettin Erbakan. Der Gründer der Milli-Görüs-Bewegung und türkische Ex-Premier stand im Zentrum des Gedenkens, das allein in Deutschland mit zehn regionalen Zoom-Konferenzen begangen wurde.

„Die Pioniere der guten Taten“, wie es in einer Einladung hieß, hätten „für eine lebenswerte Welt gekämpft.“ Kemal Ergün, Chef der in Köln residierenden Gemeinschaft, würdigte Erbakan als „fleißige akademische, politische und muslimische Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben lang mit Barmherzigkeit und Dankbarkeit für das Wohl der gesamten Menschheit gearbeitet hat“.

Fragwürdiges Vorbild

Das Vorbild ist freilich ein zweifelhaftes: Zum einen predigte Erbakan eine „gerechte islamische Ordnung“ (Adil Düzen), welche die westliche laizistische Ordnung ersetzen sollte. „Die Bestrebungen der Milli-Görüs-Bewegung richten sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung“, heißt es dazu im aktuellen bayerischen Verfassungsschutzbericht, der die IGMG dieser Bewegung zurechnet und daher in der Liste der „verfassungsfeindlichen Organisationen“ führt. Erbakan hinterließ zudem ein antisemitisches Erbe, das sich bis heute in durch soziale Medien geisternden Sprüchen wie diesen manifestiert: „Den Muslim, der sich nicht für Politik interessiert, regiert der Jude, der sich für die Politik interessiert.“ Oder: „Seit 5.700 Jahren regieren Juden die Welt.“

Obwohl die Milli-Görüs-Granden Antisemitismus grundsätzlich verurteilen, haben sie offenbar kein Problem mit der Ehrung eines Judenhassers in der eigenen Ahnengalerie. IGMG-Generalsekretär Bekir Altas etwa beteuerte schon vor Längerem bei einem Besuch in Wien, man brauche zur Aufarbeitung von Erbakans Antisemitismus noch etwas Zeit. Man könne die Verbindung zum Gründervater nicht so einfach über Bord werfen, denn dieser sei bei vielen Mitgliedern noch zu präsent. Die alljährlichen Huldigungsevents rund um Erbakans Todestag tragen jedoch nicht zu einer Verringerung dieser Präsenz bei, zumal, da sie nicht für kritische Betrachtungen, sondern zur Glorifizierung genützt werden.

Verehrter Völkermörder

Verherrlicht wird bei Milli Görüs nicht nur die problematische Figur Erbakan. So gedachten einige IGMG-Regionalverbände im Februar auch des Sultan Abdülhamid II., nach dem auch eine IGMG-Moschee in Berlin benannt ist. An seinem 103. Todestag würdigte etwa die IGMG im bayerischen Ingolstadt den von Abdülhamid initiierten Bau von 12.500 Kilometern Autobahn und seinen „Widerstand gegen britischen Imperialismus und Weltzionismus“. Unerwähnt blieben die in Abdülhamids Amtszeit fallenden Pogrome, denen zwischen 1894 und 1896 rund 300.000 Armenier zum Opfer gefallen sind. Diese „Hamidischen Massaker“ waren eine grausige Ouvertüre zum von der Türkei bis heute geleugneten Völkermord an den Armeniern nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Präsentation solcher Idole sehen Kritiker allerdings höchst problematisch. Denn die IGMG verfügt über massiven Einfluss in der türkischen Diaspora. Eigenen Angaben zufolge betreibt sie weltweit 600 Moscheen und 2.000 Bildungszentren, über die sie mehr als eine halbe Million Menschen erreicht.