Kopf des TagesDer letzte Sozialdemokrat: Wurde Palme wegen seiner linken Politik ermordet?

Kopf des Tages / Der letzte Sozialdemokrat: Wurde Palme wegen seiner linken Politik ermordet?
 Archivbild: AFP/Tobbe Gustavsson

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Am Sonntag jährt sich der Mord am ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme zum 35. Mal

Der ehemalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme war quasi der bis heute letzte klassisch linke Sozialdemokrat mit Macht in Schweden. Er hatte viele Freunde, aber auch viele Feinde. Am 28. Februar 1986 wurde er ermordet.

Der Gedanke eines organisierten Staatsputsches lag nach jenem Februartag 1986 ungreifbar, aber allgegenwärtig in der Luft und öffnete eine bis heute nicht verheilte nationale Wunde. Erfolglos blieb letztlich die Suche nach dem Mörder, der Tatwaffe und vor allem dem Motiv.

Der in Schweden renommierte und pensionierte Journalist des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Lars Borgnäs hat 2020 ein Buch zum Palme-Mord herausgebracht. Demnach sollen rechtsradikale Kreise der Stockholmer City-Polizei in den Mord verwickelt gewesen sein.

Olof Palme setzte sich sehr gegen Rassismus in Schweden und vor allem auch in Südafrika ein. Schweden stützte wie kaum ein anderes Land die linke, schwarze Widerstandsbewegung ANC. Womöglich gab es einen Kontakt zwischen Südafrika und diesen rechten Kreisen in Schweden, so eine Spekulation von vielen.

Auch Kreise der Oberschicht, aus der der 1927 geborene Palme selbst stammte, hatten ein gewichtiges Motiv. Sie waren damals teils rechtsextrem eingestellt, sahen Palme zudem als Klassenverräter an und hatten Kontakte zu politisch Gleichgesinnten im Militär und bei der Polizei. Palme war das Gegenteil dieses alten, in feinen Kreisen noch lange nach Kriegsende schwebenden Gedankengutes.

Neben der Rechtsaußenkomponente hatte Palme teils weitgehende Umverteilungsideen, die dem dritten Weg Schwedens zwischen Kommunismus und Kapitalismus des neutralen Schwedens entsprachen und als Grundsatz im sozialdemokratischen Parteibuch festgehalten waren. Vor allem eine Initiative sorgte buchstäblich für Angst in der Oberschicht. Palme unterstütze eine Gewerkschaftsinitiative, wonach 20 Prozent aller Gewinne von Großunternehmen an die Arbeitnehmer gehen sollten. Das wäre einer massiven Teilenteignung der Reichen gleichgekommen. Auch stemmte er sich gegen Privatisierungen und wollte den staatlichen Sektor weiter ausbauen.

Eine weitere spekulative Spur führt in die USA: US-Präsident Ronald Reagan und seine CIA hatten im Kalten Krieg, teils durch brutale Maßnahmen, bereits zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer auf ihre Seite gezogen. Palme war wegen seiner vermeintlichen Ausstrahlungskraft auf andere europäische Länder gefürchtet. Seine Linkspolitik im wirtschaftlich starken, neutralen Industrieland Schweden mitten im Kalten Krieg und sein versöhnliches Verhältnis zum Ostblock wurden in Washington als gefährlich wahrgenommen.

Bekannt sind etwa die Bilder, in denen Palme, der aber nie Kommunist war, 1968 als sozialdemokratischer Minister in Washington bei einer Demonstration Seite an Seite mit dem Botschafter des kommunistischen Nordvietnams gegen den Vietnamkrieg demonstrierte. Die USA riefen damals ihren Botschafter aus Stockholm zurück. Später sieht man Palme freundschaftlich Zigarre rauchend mit Kubas Fidel Castro in einer bilateralen Verhandlungspause.

Gleichzeit stemmte Palme sich gegen den immer stärker werdenden rechten Flügel innerhalb seiner Partei der SAP. Er musste weg. Das fanden viele. Nach Palmes Mord wurden die staatstragenden Sozialdemokraten deutlich bürgerlicher und unternehmerfreundlicher. Die Steuern sanken und es wurde privatisiert. Das Wort der Gewerkschaften war nicht länger Gesetz für die SAP. Bis heute hat der bürgerliche Flügel das Sagen.

„Das, was Palme selbst als Ziel nannte, einen demokratischen Sozialismus aufzubauen, wurde nach der Mordnacht 1986 lebendig begraben“, schreibt der Chefredakteur der Zeitung Dala Demokraten, Göran Greider. Olof Palmes Ermordung sei viel größer als nur eine spannende Mordgeschichte, die leider bald als Einziges in den Köpfen der Menschen hängen bleiben werde, so Greider.

Auch der prominente Sozialdemokrat Daniel Suhonen schreibt: „Unabhängig davon, wer Palme ermordete, war es ein politischer Mord.“ Sämtliche großen Vorhaben Palmes Richtung demokratischen Sozialismus, wie etwa die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer, ein starker staatlicher Sektor und hohe Umverteilungssteuern, seien teils direkt nach seinem Mord verworfen worden. (André Anwar)