Corona in der SchuleCluster in Schifflingen: Britische Variante wohl nicht die einzige Ursache

Corona in der Schule / Cluster in Schifflingen: Britische Variante wohl nicht die einzige Ursache
Für den Virologen Claude Muller führt das Auftauchen der britischen Variante in einer Klasse nicht automatisch zu dem, was nun in Schifflingen passiert ist Foto: Editpress/Philippe Reuter

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In den Grundschulen in Schifflingen hatte sich das Coronavirus vor den Karnevalsferien rapide ausgebreitet. Cluster und Infektionsketten waren die Folge. Das Bildungsministerium führt dies insbesondere auf den beträchtlichen Anteil der britischen Variante in den entnommenen Proben zurück. Für den Virologen Claude Muller kann die Ursache der rapiden Verbreitung allerdings nicht nur an den Mutationen liegen, insbesondere, wenn mehr als eine Schule betroffen ist.

An den drei Grundschulen in Schifflingen fängt am heutigen Mittwoch die Schule wieder an. Zwei Tage später als in den anderen Grundschulen des Landes. Grund dafür sind spezielle Maßnahmen, die der COPIL („Comité de pilotage“), also der Lenkausschuss von „Santé“ und „Menje“, zusammen mit der Gemeinde Schifflingen getroffen hat. Rezent sprach Bildungsminister Claude Meisch von über 50 positiven Fällen alleine in der Albert-Wingert-Schule. Aber auch in den anderen zwei Schulen in Schifflingen, Nelly Stein und Lydie Schmit breitete sich Covid-19 aus. Das Ganze geht auf den 26. Januar zurück, den Tag, an dem ein Mitglied des Personals, das in mehreren Schulklassen der Albert-Wingert-Schule tätig war, positiv getestet wurde. Dann nahm das Virus seinen Lauf.

Zu den speziellen Maßnahmen gehören das um zwei Tage verlängerte Homeschooling, das Durchtesten der gesamten Schulbevölkerung am Montag sowie das Einführen der nächsten Stufe, welche Meisch für Schulen vorgesehen hat, wo das Virus präsenter ist. Lex Folscheid, erster Berater von Claude Meisch, spricht gegenüber dem Tageblatt von einer speziellen Situation in Schifflingen. Die gesamte Albert-Wingert-Schule habe sich bereits in der Woche vor dem Homeschooling in Quarantäne befunden. Dies sei eine außergewöhnliche Maßnahme gewesen. Sie musste allerdings getroffen werden, weil sich an jener Schule ein Cluster von außergewöhnlichem Ausmaß gebildet habe, so Folscheid. „Diese Quarantäne gesellte sich zu anderen Quarantänen dazu, in denen sich mehrere Klassen bereits in der Woche davor befanden“, erläutert er. Mit den zwei zusätzlichen Wochen, bestehend aus Homeschooling und Ferien, an denen Schüler und Lehrer nicht in die Schule kamen, seien sämtliche Infektionsketten, die in der Schule stattgefunden haben, unterbrochen worden.

Wir wollen verhindern, dass positive Lehrer und Schüler am Montag nach den Ferien wieder in die Schule kommen. Damit wollen wir den Anfang neuer Infektionsketten in den Schulen unterbinden.

Lex Folscheid, erster Berater des Bildungsministers

Die zwei zusätzlichen Tage wurden dazu genutzt, die gesamte Schulbevölkerung durchzutesten und das Resultat der Tests abzuwarten. „Die Inzidenz in Schifflingen ist höher als im restlichen Land“, erklärt Folscheid und beruft sich dabei auf Informationen der „Inspection sanitaire“. Die Gemeinde sei neben drei anderen in der vom Bildungsministerium intern bezeichneten „Phase 2“. Deshalb gelten dort nun auch die punktuell verschärften Maßnahmen. „Wir wollen verhindern, dass positive Lehrer und Schüler am Montag nach den Ferien wieder in die Schule kommen. Damit wollen wir den Anfang neuer Infektionsketten in den Schulen unterbinden“, sagt er.

Claude Muller, Virologe am „Luxembourg Institute of Health“ (LIH), meint, dass die zwei Tage wahrscheinlich zu kurz sind, um aus epidemiologischer Sicht wirklich einen Unterschied zu machen, sagt er gegenüber dem Tageblatt. Man wolle sich wahrscheinlich Zeit geben, ehe man die Schulen wieder öffnet, vermutet er. Die Einbindung der Gemeinde Schifflingen in die ganzen Beschlüsse wertet er sehr positiv. Die Gemeinden haben laut Muller nämlich die Kenntnis der lokalen Situation, die die Ministerien nicht haben. „Allgemein sollten wir viel mehr offenlegen, was auf Gemeindeniveau epidemiologisch passiert“, sagt er.

Ursachenforschung statt Schuldzuweisung

Das, was in den Schulen passiere, sei eng mit der Gemeinde verbunden. Muller erinnerte an die aus Versehen veröffentlichte Karte mit den Infektionszahlen pro Gemeinde. In denen mit den roten Zonen war der Aufschrei am größten. „Ich vermute, dass andererseits genau diese Gemeinden sich im Nachhinein gefragt haben, wie sie aus der roten Zone rauskommen.“ Und dies sei positiv zu bewerten. Im Falle Schifflingen ginge es nun darum, herauszufinden, wieso gleichzeitig drei Schulen betroffen sind. „Es geht dabei nicht um Schuldzuweisung, sondern um zu verstehen, wo die Verbindung war, und daraus muss man lernen, wie man dies in Zukunft vermeiden kann.“

Es geht dabei nicht um Schuldzuweisung, sondern um zu verstehen, wo die Verbindung war, und daraus muss man lernen, wie man dies in Zukunft vermeiden kann.

Claude Muller, Virologe am LIH

Lex Folscheid gab an, dass die britische Variante „largement majoritaire“ in den bislang entnommenen Proben aus den Schifflinger Schulen aufgetreten sei, auch wenn er noch keine genauen Zahlen nennen wollte. Claude Meisch hegte auf der am 4. Februar einberufenen Pressekonferenz den Verdacht, dass die starke Ausbreitung des Virus in den Schulen auf die Mutationen zurückzuführen sei. Dass die rapider als üblich ansteigenden Infektionszahlen in mehreren Klassen und Schulen der Gemeinde Schifflingen in erster Linie auf die Häufung der britischen Mutation zurückzuführen seien, lässt der Virologe nicht gelten. Die britische Variante sei um rund 50 Prozent infektiöser, das sei der aktuelle Konsens. Er rechnet vor: „Bei einem R-Wert von zwei bedeutet dies, dass eine Person 50 Prozent mehr Leute ansteckt. Statt zwei steckt sie dann drei Leute an. Dies führt natürlich schneller zu einer Ausbreitung, aber man kann nicht grundsätzlich sagen, dass das Auftauchen der britischen Variante in einer Klasse automatisch zu dem führt, was jetzt in Schifflingen passiert ist.“ Da müsse man ein wenig vorsichtig sein. Damit sei nicht alles erklärt. Hier müssten weitere Untersuchungen erfolgen, sagt Muller. „Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, dass es in den drei Schulen in Schifflingen mehr oder weniger gleichzeitig so ein Outbreak gab. Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es eine Verbindung zwischen den Schulen, die die Übertragung begünstigt hat, z.B. gemeinsames infiziertes Personal“, sagt der Virologe.

In der Albert-Wingert-Schule in Schifflingen gab es Infektionsketten und Cluster. Auch zwei weitere Schulen im Ort hatten hohe Infektionszahlen. Die sanitären Maßnahmen mussten an allen drei Schulen angepasst werden. Am Mittwoch können die Schüler wieder in die Schule.
In der Albert-Wingert-Schule in Schifflingen gab es Infektionsketten und Cluster. Auch zwei weitere Schulen im Ort hatten hohe Infektionszahlen. Die sanitären Maßnahmen mussten an allen drei Schulen angepasst werden. Am Mittwoch können die Schüler wieder in die Schule. Foto: Editpress/Julien Garroy

Wenn die britische Variante in den meisten Proben nachgewiesen wird und die Sequenzen identisch sind, spricht dies für einen Zusammenhang, soweit nicht überall das genau identische Virus zirkuliert. Dies nennt man molekulare Epidemiologie, etwas was seit Jahren auf drei Kontinenten getan wird, auch um Transmissionsketten zu verfolgen, meint Muller.

Dies führt natürlich schneller zu einer Ausbreitung, aber man kann nicht grundsätzlich sagen, dass das Auftauchen der britischen Variante in einer Klasse automatisch zu dem führt, was jetzt in Schifflingen passiert ist

Claude Muller, Virologe am LIH

Ist es denn berechtigt, dass das Bildungsministerium zusammen mit der „Santé“ Maßnahmen beschließt, ohne über die genauen Infektionszahlen zu verfügen und ohne die genauen Ursachen für die Cluster zu kennen? Die Sequenzierungen, die in vielerlei Hinsichten wichtig seien, dauern leider länger als eine Woche, sagt Lex Folscheid. Das Bildungsministerium könne leider nicht immer so lange warten, müsse aber im Interesse der Sicherheit der Schüler und Lehrer schnell agieren, wenn eine größere Infektionskette festgestellt werde. Dies sieht auch Claude Muller so. Auch er beruft sich auf die Sicherheit der Schüler und Lehrer, die Vorrang habe und die das Ministerium verpflichtet sei, zu gewährleisten. „Es ist auch egal, ob 10 oder 50 Prozent britische Mutationen in Schifflingen waren.“ Im Prinzip sei es wichtig, den Anteil der britischen Variante zu kennen, aber an den zusätzlich notwendigen Maßnahmen ändere dies nicht viel, so Muller.

Hohes Risiko durch eventuelle Testverweigerer

Allerdings brauche man nicht unbedingt eine Sequenzierung zu machen, um die Virusvarianten in den Proben zu identifizieren, sagt Muller. Nach der Standard-PCR können in den positiven Proben durch eine zweite und sogar dritte PCR die Variante bestimmt werden. Eine solche PCR kann zwischen den Varianten unterscheiden. Diese Vorgehensweise müsste mittlerweile etabliert sein, da es die Varianten schon seit zwei Monaten gebe. Das Sequenzieren an sich dauere etwas länger, je nach Technik und Gewohnheit.

Für mich ist ganz klar, dass jene, die sich nicht testen lassen, so behandelt werden sollen wie Positive

Claude Muller, Virologe am LIH

Offen bleibt die Frage, ob sich in Schifflingen auch alle Kinder am Montag haben testen lassen. Lex Folscheid betont, dass es keine legale Verpflichtung gibt, an einem solchen Test teilzunehmen. Claude Muller sagt, dass man davon ausgehen müsse, dass jene, die sich nicht testen lassen wollen, auch eine alternative Einstellung zu Corona haben. Sie hätten ein höheres Risiko, positiv zu sein, weil sie eine andere Meinung haben, ob und wie man sich vor Corona schützen sollte. „Für mich ist ganz klar, dass jene, die sich nicht testen lassen, so behandelt werden sollen wie Positive.“ Nur die mit einem negativen Test dürfen zurück in die Schule. Es sei absolut zumutbar, jene Kinder, die sich nicht testen lassen wollen, ins Homeschooling zu schicken, sagt er.

Bei den verschärften Maßnahmen, die seit Montag gelten, wurden die drei- bis sechsjährigen Kinder des Zyklus 1 von der Maskenpflicht ausgenommen. Diese Tatsache, gekoppelt an das Restrisiko eventueller Test-Verweigerer, könnte vermutlich bald wieder zu Ausbrüchen in Schifflingen führen. Laut Muller spricht eigentlich nichts gegen eine Maskenpflicht bei den drei- bis sechsjährigen Kindern. Gesundheitlich gebe es da keine Bedenken. Im Gegenteil, die Maske schütze die Kinder und Lehrer zusätzlich. „Ich weiß allerdings nicht, ob die Kleinsten diese auch anbehalten“, sagt er.