Lust zu lesenOhne Karneval wäre nur Fasten

Lust zu lesen / Ohne Karneval wäre nur Fasten
Manuel Andrack Foto: Guy Helminger

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Wo treibt der Fasching oder der Fastelovend die Menschen auf die Straße? Worin bestehen die Unterschiede und seit wann gibt es dieses Fest? Manuel Andrack ist von Köln über Rottweil und Basel nach Venedig gereist und hat die „Fünfte Jahreszeit“ zelebriert. Guy Helminger hat lesend mitgefeiert.

Das Leben des jecken Narren ist anstrengender, als man denkt, natürlich nur dann, wenn er Karneval als Brauchtum und nicht als reine Party ansieht, bei der es nur um Saufen und Anbaggern geht. Letztere Diagnose hat sich leider als festes Vorurteil etabliert, vor allem bei Menschen, die sich noch nie mit der Fastnacht beschäftigt oder dran teilgenommen haben. Spätestens nach der Lektüre von Andracks Buch dürften die Verächter dem ausgelassenen Treiben vor der Fastenzeit anders begegnen. Auch wenn es diejenigen, die Feiern für einen Freifahrtsschein halten, bei jedem Fest natürlich gibt. Es ist ja immer schön, Vorurteile abzubauen.

Historisch gesehen gab es drei einschneidende Momente für die Entwicklung des karnevalistischen Treibens, wie wir es heute erleben. „Erstens die närrischen Rituale und Figuren des Mittelalters, die noch heute in der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht … und in der Schweiz eine überragende Rolle spielen. Zweitens die romantisch-bürgerliche Neuerfindung des Karnevals in Köln 1823, die der närrischen Welt Sitzungen, Prinzen und Umzüge bescherte. Der dritte Urknall war die Fernsehsitzung ‚Mainz bleibt Mainz‘ 1955ff.“ Und natürlich spielt der Katholizismus eine Rolle, der das Feiern eng ans Fasten bindet, dem verrückten Treiben Grenzen aufzeigt und es so vor Beliebigkeit rettet.

Andrack hat in seinem Jahr als Narr alle möglichen Aspekte des Geschehens eingefangen, war beim Wagenschmücken in Schönenbach, hat im Saarland seine erste Büttenrede gehalten, ist mit den Roten Funken im Rosenmontagszug mitgelaufen und hat sich in Rottweil von einem Larvenschnitzer in die Geheimnisse des Narrensprungs einführen lassen. Das Selbst-Experiment beschert dem Leser zum einen vergnügliche Einblicke hinter die Kulissen, beschreibt Querelen zwischen Cliquen und Guggen in Basel, die strengen Riten der Roten Funken oder die Schwierigkeiten, eine gereimte Büttenrede zu verfassen. Zum anderen aber klärt das Buch über die Eigenheiten diverser Rituale auf, wie beispielsweise das Abstauben der Larven in Rottweil oder auch das Aufsagen, das darin besteht, jemandem eine persönliche Geschichte zu erzählen, jemanden dezent zu beleidigen, kurz, unter dem Schutz der Maske die Wahrheit auszusprechen. Auch der Frage, was braucht ein Fest, damit man es dem Karneval zurechnen kann, stellt sich der Autor und beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit dem Oktoberfest. Genauso erstaunlich ist die Feststellung, dass der Karneval in Venedig nur noch auf privaten Feiern existiert, für die man Eintrittskarten kaufen muss. Draußen in der Stadt bleibt der Narr mit seiner Verkleidung allein. Wussten Sie, dass auch der Karneval in Rio mit seinen Sambaschulen auf die karnevalistische Revolution in Köln im Jahr 1823 zurückgeht? Deutsche Auswanderer veranstalteten 1840 den ersten Karnevalsball in der brasilianischen Hauptstadt.

Manuel Andrack ist mit „Mein Jahr als Narr“ eine äußerst unterhaltsame, zugleich lehrreiche Aufarbeitung der „Fünften Jahreszeit“ gelungen. Nach der Lektüre weiß man nicht nur deutlich mehr, sondern es juckt einen in der Seele, all diese turbulenten Orte aufzusuchen und mitzufeiern. Natürlich im Sinne des Brauchtums. Wie sang schon Trude Herr in ihrem großartigen, kölschen Lied „Die Stadt“: Dat met d‘r Heiterkeit nemme mer änz.

Manuel Andrack

„Mein Jahr als Narr: Dem Geheimnis von Karneval, Fasching, Fastnacht auf der Spur“, dtv Verlag 2020, 336 S., 18 €

trotinette josy
2. Februar 2021 - 10.19

Heutzutage muss man zwar nicht mehr fasten, trotzdem hat eine begrenzte Fastenzeit bewiesenermassen positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Wobei ab und zu , in Massen , " die Sau rauslassen " sprich sich amusieren, dem gesunden Wohlbefinden durchaus förderlich ist. ( Karneval=Fleischwegnahme, ab und zu nicht schlecht für Körper und Geist ).

CESHA
1. Februar 2021 - 7.45

Heutzutage muss man ja nicht mehr fasten, also hat der Karneval als letzte Gelegenheit, um nochmals "die Sau rauszulassen" eigentlich auch keine Berechtigung mehr