PortugalKommenden Sonntag soll im Corona-Hotspot ein neuer Präsident gewählt werden

Portugal / Kommenden Sonntag soll im Corona-Hotspot ein neuer Präsident gewählt werden
Präsident Marcelo Rebelo de Sousa geht als Favorit in die Wahlen Foto: AFP/Patricia de Melo Moreira

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Am liebsten umarmt und küsst er seine Mitmenschen. Die Portugiesen bräuchten „viel Zuneigung“, sagt Portugals Staatschef Marcelo Rebelo de Sousa. Doch seine beste Waffe, die Bürgernähe, kann er vor der Präsidentenwahl am kommenden Sonntag nicht benutzen. Denn Corona hat auch das südeuropäische Urlaubsland am Atlantik, in dem 10,3 Millionen Menschen leben, fest im Griff – und zwar derzeit noch stärker als die meisten anderen europäischen Länder.

Auch Rebelo de Sousa hat inzwischen unliebsame Bekanntschaft mit der Epidemie gemacht: Der 72-jährige Konservative musste seine Wahlkampftournee durchs Land abbrechen, weil er sich mit dem Coronavirus angesteckt hatte. „Marcelo“, wie ihn seine Anhänger liebevoll rufen, gehe es gut und er sei symptomfrei, heißt es aus dem Präsidentenpalast. Er befinde sich in Quarantäne und werbe nun per Online-Auftritt für seine Wiederwahl.

Wesentlich schaden wird dem „Selfie-Präsident“, der sich ausgesprochen gerne zusammen mit Bürgern ablichten lässt, diese erzwungene Distanz vermutlich nicht. Der redegewandte Rebelo de Sousa geht kommenden Sonntag als Favorit ins Präsidentenrennen. Dem Rechtsprofessor und früheren TV-Kommentator wird ein Sieg mit mehr als 50 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Schon vor fünf Jahren hatte er die absolute Mehrheit geholt, sodass keine Stichwahl notwendig wurde.

Dass seine Volksnähe nur eine Masche sei, um Stimmen zu fangen, weist Rebelo de Sousa empört zurück: „Ich war schon immer so“, sagt er. „Ich bin, wie ich bin.“ Und er habe sich vorgenommen, seinen extrovertierten Lebensstil auch als Staatsoberhaupt nicht zu ändern. Zu seiner Natürlichkeit gehört, dass der Präsident auch mal selbst im Supermarkt einkaufen geht. Seinen Wahlkampf eröffnete er ebenfalls ganz bürgernah: in einem populären Café neben dem Präsidentenpalast in Lissabon.

Seine Spontanität treibt zuweilen sogar seine Leibwächter zur Verzweiflung – etwa im vergangenen Sommer, als Rebelo de Sousa an der portugiesischen Algarveküste beobachtete, wie ein Kanu mit zwei Mädchen kenterte. Die beiden Jugendlichen wurden von der Strömung mitgerissen. Der sportliche Präsident, der gerade in Bermudas und Badelatschen unterwegs war und als guter Schwimmer gilt, stürzte sich sogleich ins Wasser und half den Mädchen, an Land zu kommen.

Der hemdsärmelige und zugleich besonnene Amtsstil des konservativen Katholiken gefällt sogar dem sozialistischen Premier António Costa so gut, dass er unverblümt für eine zweite Amtszeit Rebelo de Sousas eintritt. Dabei gibt es unter den insgesamt acht Herausforderern auch eine sozialistische Kandidatin – und zwar die frühere Europaabgeordnete Ana Gomes. Doch sie kandidiert als Außenseiterin und hat weder die offizielle Unterstützung von Ministerpräsident Costa noch jene seiner Sozialistischen Partei (PS).

Zwei Pragmatiker an der Spitze

Der amtierende Staatspräsident trat schon als junger Mann in Portugals größte konservative Bewegung ein. Sie heißt verwirrenderweise Sozialdemokratische Partei (PSD) und führt derzeit die Opposition an. Rebelo de Sousa war in den 1990er Jahren PSD-Parteichef. Nachdem er 2016 Staatsoberhaupt wurde, ließ er aber die Parteimitgliedschaft ruhen.

Der Sozialist Costa wie der Konservative Rebelo de Sousa gelten als Pragmatiker und verstehen sich als politische Brückenbauer. Das hilft bei der Versöhnung der Gesellschaft. Die beiden arbeiten auch bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie Schulter an Schulter zusammen. Doch dies bewahrte das Land nicht davor, in den letzten Wochen zum schlimmsten südeuropäischen Hotspot zu werden. Mit einer sehr hohen Siebes-Tage-Inzidenz von derzeit über 600 Fällen pro 100.000 Einwohner steuert Portugal auf einen Kollaps der Krankenhäuser zu.

Deswegen verordnete Costa dem Land am vergangenen Wochenende einen neuen harten Lockdown, zu dem – wie schon im Frühjahr – die „Bürgerpflicht“ gehört, zu Hause zu bleiben. Gaststätten und nicht essentielle Geschäfte mussten schließen. Nur für den Supermarkt, die Schule, die Arbeit, für Arztbesuche und einen kurzen Spaziergang dürfen die Portugiesen ihre eigenen vier Wände verlassen. Und am kommenden Sonntag dürfen sie natürlich auch raus, um ihre Wahlstimme abzugeben.