Rallye DakarTageblatt-Korrespondent Chrëscht Beneké: „Heute würde ich nicht mehr starten“

Rallye Dakar / Tageblatt-Korrespondent Chrëscht Beneké: „Heute würde ich nicht mehr starten“
Vor 20 Jahren lernte Tageblatt-Korrespondent Chrëscht Beneké die Härte der Rallye Dakar kennen Archivbilder: Privat

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Am 23. Januar 2000 erreichte unser Sportkorrespondent und spätere Rallyeprofi sowie COSL-Elitesportler Chrëscht Beneké als erster und bisher einziger Luxemburger das Ziel der legendären Rallye in Kairo. Der damals 23-Jährige war am 6. Januar gemeinsam mit dem später mit Beinbruch ausgeschiedenen Carlo Arendt in Dakar gestartet und blickt mit 20 Jahren Abstand durchaus kritisch auf das Rennen.

Tageblatt: Chrëscht Beneké, morgen startet die 42. Rallye Dakar. Werden Sie das Rennen verfolgen?

Chrëscht Beneké: Ehrlich gesagt hat das Rennen bei mir in den letzten Jahren an Interesse verloren und ich sehe mittlerweile manches anders. Doch auch weil ich noch einige Teilnehmer recht gut persönlich kenne, werfe ich zumindest einen Blick auf die Ergebnisse.

Was hat sich aus Ihrer Sicht geändert?

Mit dem Wechsel nach Lateinamerika ging viel vom Abenteuer Dakar verloren. Die Herausforderungen an Fahrkönnen, Navigation und Ausdauer wurden zwar nicht kleiner, denn auch in Lateinamerika gibt es tückische Wüstenlandschaften. Ein guter Teil der Faszination von Rallyerennen war für mich jedoch, dass sich alle Teilnehmer mehr oder weniger gleichberechtigt der großen Herausforderung stellten. Im großen Biwak aß man zusammen die gleiche Mahlzeit, jeder versuchte, sich so gut es ging auf die nächste Etappe vorzubereiten und – um das Kind beim Namen zu nennen – kackten alle in die gleichen, afrikanisch adaptierten Ölfässer. Da war es schon eine kleine Revolution, als das VW-Werksteam um 2004 eine eigene Dusche mitschleppte. In Lateinamerika begleiteten die meisten Teilnehmer dann eigene Camper und nach vielen Etappen hätte man durchaus in den nächsten McDonald’s fahren können. Um die riesige logistische Herausforderung zu meistern, suchte die Dakar zwar auch in Afrika Zielorte in Stadtnähe, aber stellenweise ist da einfach nichts.

Mittlerweile zählt das Rennen außerdem 69 Todesopfer – eine dramatische Zahl. 

Natürlich ist es dramatisch – und ich bedauere es sehr –, wenn Teilnehmer, teils Freunde und vor allem Unbeteiligte oder Zuschauer ums Leben kommen. Allerdings teile ich die Kritik nur zum Teil. Die Rallye-Organisationen unternehmen seit Jahren viel, um zum Beispiel mit strengen Tempolimits nahe Wohnorten die Sicherheit von Unbeteiligten zu sichern. Wenn aber in verschiedenen Statistiken ein tödlicher Verkehrsunfall eines seit einer Woche ausgeschiedenen Servicefahrzeugs auftaucht, das sich nicht einmal mehr im gleichen Land wie die Rallye bewegte, dann müsste man eigentlich auch den Bayern-Fan mitzählen, der beim Auswärtsspiel in Bremen noch ein paar Tage bei der Familie bleibt und dann auf der Autobahn verunglückt. Da weiß ich nicht, ob Fußball tödlicher ist. Bei den Teilnehmern finde ich, dass das deren Sache ist. Bei einer objektiv gefährlichen Sportart sollte jeder mit sich und seiner engen Familie abklären, wie viel Risiko er oder sie eingehen will. Solange man niemanden sonst gefährdet, finde ich das jedenfalls verantwortungsvoller als sich volltrunken oder mit stark überhöhter Geschwindigkeit im Straßenverkehr zu bewegen.

Was ist denn Ihre Kritik?

Selbst in der Organisation war umstritten, in das menschenrechtlich überaus bedenkliche Saudi-Arabien zu wechseln. Wie die Tour de France lässt sich die ASO ihre Veranstaltung jedoch auch von den besuchten Orten und Ländern mitfinanzieren. 2019 zahlte Peru anscheinend noch 5,4 Millionen Euro an den Veranstalter, wozu die anderen lateinamerikanischen Länder nicht mehr bereit waren. Doch auch schon früher fuhr die Dakar gegen deren Willen durch die von Marokko besetzte Westsahara. Dass Sport von Politik getrennt werden kann, ist die Lebenslüge der Sportwelt und des IOC. Mein Punkt ist aber vor allem persönlich zur Ökologie: Nach allem, was ich mittlerweile über die Klimakrise weiß, würde ich meinen damaligen Sport heute nicht mehr machen.

Mit dem Motorrad fuhr der Luxemburger bis nach Kairo
Mit dem Motorrad fuhr der Luxemburger bis nach Kairo

Bereuen Sie also Ihre Teilnahme?

Ich bin immer noch stolz, was ich in meinen zehn Jahren Rallye sportlich geleistet habe. Selbst heute gibt es mir noch Selbstvertrauen, dass ich damals ein so großes Vorhaben wie eine Dakar physisch, mental und auch organisatorisch stemmen konnte. Die direkten ökologischen Auswirkungen der Rallye dürften dabei sogar eher vernachlässigbar sein. Auch der Tenniszirkus oder die Milliarden an fußballbedingten Flug- und Autokilometern haben ihren Fußabdruck. Doch wie Coca-Cola für den Kapitalismus steht der Motorsport sinnbildlich für fehlendes Umweltbewusstsein. Heute würde ich dort nicht mehr starten. 

Woran erinnern Sie sich gerne?

Der Spirit war schon besonders. Als ich auf der vierten Etappe früh einen Unfall hatte und zurück im nahezu verlassenen Biwak reparierte, machte mir der ausgeschiedene Superstar Luc Alphand ungefragt den Handlanger. Mit Nani Roma half mir auf der Strecke Tage danach ein anderer, spätere Dakar-Sieger aus. Und ich selber schleppte den Senegalesen Mamé Diallo über 100 Kilometer mit einem Seil ins Ziel. In der Dämmerung schüttelten zwei andere Teilnehmer über unsere Aktion nur die Köpfe, aber leuchteten uns leicht versetzt den weiteren Weg aus. Mehr gemeinsam statt gegeneinander eine sportliche Herausforderung anzugehen, finde ich auch in meinen heutigen Leidenschaften Wildwasserkajak, Tourenski oder Klettern.

Worauf freuen Sie sich trotz aller Bedenken bei dieser Auflage?

Falls ich die Klimakrise ausblenden kann, wird mich besonders die Motorradklasse reizen. Honda hat letztes Jahr eine 18-fache KTM-Serie gebrochen, was sich diese nicht bieten lassen wollen. Die Werksteams von Husqvarna oder Yamaha könnten dann die lachenden Dritten sein. Und noch ist nicht klar, wie sich das neue Reglement mit nur noch sechs Hinterreifen und der Herausgabe des Roadbooks erst zehn Minuten vor dem Start statt am Vortag auswirken wird. Der viel zu schnelle Schnitt von 110 bis 120 km/h soll jedenfalls durch erhöhte Schwierigkeit sinken. (Pep)

Umstrittene Königin Rallye Dakar

Die Königin der Wüstenrallyes ist unbestritten die Rallye Dakar. Nicht zuletzt dank des überaus professionellen Organisators ASO (Amaury Sport Organisation, u.a. auch Tour de France) hat sie sich nach der Premiere 1978 als Marke etabliert und gilt als härteste Rallye der Welt. Neben der Vierschanzentournee ist das legendäre Rennen 2021 bei ihrer 42. Auflage die erste große Sportveranstaltung des Jahres. Nach konkreten Terrordrohungen fiel der abenteuerliche Wettkampf 2008 aus. In den letzten Jahren, auch bedingt durch den Wechsel nach Südamerika 2009 bzw. 2019 nach Saudi-Arabien, ging die Faszination zumindest beim europäischen Publikum und den Teilnehmern kontinuierlich zurück. Beim heutigen Prolog in Jeddah wird mit voraussichtlich 440 Teilnehmern in 266 Fahrzeugen das kleinste Teilnehmerfeld seit 25 Jahren das Marathonrennen über 12 Etappen und 7.646 Kilometer, davon 4.767 gezeitete Sonderprüfungen, in Angriff nehmen. Der weitere Rückgang um ein Viertel zum Vorjahr dürfte nicht zuletzt durch das Coronavirus bedingt sein und zeigt sich vor allem bei den Amateurfahrern. Zu dieser besonderen Zeit für den Sport weltweit dürfen sämtliche Beteiligten an der Rallye nur mit einem negativen PCR-Test nach Saudi-Arabien einreisen. Alle kommen für drei Tage in strenge Quarantäne, aus der sie nur mit einem weiteren Test in eine Blase entlassen werden, in der sich die Rallye dann die nächsten beiden Wochen bewegt. Auch wenn diese in den letzten Jahren kontinuierlich zurückging, so belegt eine weiterhin hohe Ausfallquote die Ansprüche des Rennens an Fahrkönnen, Navigation, das Material und vor allem die Ausdauer. Mit „offiziell“ 69 gezählten Todesfällen sowie auch aus ökologischen, ökonomischen und politischen Blickpunkten ist der Wettbewerb jedoch auch durchaus umstritten.