IndiacaNationalteam im Aufbau: Nachfolger einer goldenen Generation gesucht

Indiaca / Nationalteam im Aufbau: Nachfolger einer goldenen Generation gesucht
2021 soll zum letzten Mal eine Nationalelf zusammengewürfelt werden Foto: indiaca.lu

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Es dürfte außergewöhnlich erscheinen: Obschon im August die Indiaca-Weltmeisterschaft in der Coque stattfinden soll, gibt es in Luxemburg keine Basis für eine klassische Nationalmannschaft. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern, wie Verbandspräsident Marco Aardoom verriet. 

Dass es auch ohne Nationalauswahl im klassischen Sinn zu einem Weltmeistertitel reichen kann, bewiesen die Luxemburger Indiaca-Herren bereits 2008 in Ettelbrück. Doch in den zwölf vergangenen Jahren hat sich an der Ausgangsposition nichts geändert: Eine offizielle Nationalmannschaft gibt es noch immer nicht. Stattdessen wird wenige Monate vor internationalen Events ein Team zusammengestellt, das sich während ein paar Wochen intensiv auf Weltmeisterschaften und World Cups (einmal pro Jahr) vorbereitet. „Wir bauen die Nationalmannschaft also jedes Mal für einen Wettbewerb auf. Wenn das Event vorbei ist, gibt es dann auch keine Auswahl mehr“, erklärte Verbandspräsident Marco Aardoom. Wenig überraschend gibt es weltweit keinen einzigen Indiaca-Profi: Für ein Turnier wird der Urlaub geopfert.

Der Mann an der Spitze des nationalen Indiaca verhehlte nicht, dass ihm dieses Prozedere nicht gefällt: „Unser Projekt ist es, in den nächsten Jahren eine Struktur aufzubauen, um eine Existenz zu haben. Nach den Gesprächen mit dem Sportministerium wurde auch schnell klar, dass wir dadurch auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung hätten.“ Dass es bislang nicht dazu kam, liegt an fehlender Manpower. Aardoom sprach von mangelnden personellen Ressourcen bei den freiwilligen Helfern kleiner Verbände: „Jemand muss die Organisation übernehmen, Trainingseinheiten planen, die Halle reservieren und administrative Arbeit verrichten.“ 

Bettendorf gilt als der nationale Indiaca-Überflieger: Diese Truppe schnappte sich 2019 die Coupe de Luxembourg in der Mixed-Kategorie
Bettendorf gilt als der nationale Indiaca-Überflieger: Diese Truppe schnappte sich 2019 die Coupe de Luxembourg in der Mixed-Kategorie Foto: indiaca.lu

Ähnlich wie vor Turnieren also nach den Spielern gesucht wird, wird auch jedes Mal ein Trainer „aus der Indiaca-Familie“ rekrutiert, der die Damen und Herren auf ihre Partien vorbereitet. In der Vergangenheit handelte es sich meist um erfahrene Ex-Spieler – aus Bettendorf –, die das Coaching übernahmen. „Für die anstehende Weltmeisterschaft denken wir da aber ganz konkret an Leute aus dem Volleyball. Die Taktik und der Spielaufbau sind vergleichbar“, kündigte Aardoom an. 

Zweite Heim-WM auf wackligen Beinen

Wer die „Roten Löwen“ 2021 sein werden, ist noch nicht entschieden worden. Der Spielbetrieb ruht seit Sommer und eine Bestandsaufnahme ist nötig. Es wird aber wie in der Vergangenheit wieder auf eine stark Bettendorf-angehauchte Auswahl hinauslaufen. Der stärkste Klub des Landes stellt traditionell auch die meisten Nationalspieler. Fest steht, dass die goldene Weltmeister-Generation von 2008 ersetzt werden muss: „Diese Spieler gehören inzwischen der U40-Kategorie an. Der Nachwuchs in Bettendorf ist stark, hat aber noch nicht das Niveau erreicht, auf dem sich seine Vorgänger 2008 bewegten. Das Problem ist, dass diese Generation jahrelang zusammen weitergespielt hat und vielleicht zu lange davor zurückgeschreckt wurde, junge Spieler einzubauen. Das soll keine Kritik an meinem Vorgänger sein. Aber unsere Herren haben die Erwartungen im vergangenen Jahr beim World Cup in Estland nicht erfüllt.“ Sie landeten auf Platz fünf der Vereinswertung. Anders die 2008er Bettendorfer – die 2019 in der Altersklasse U40 Gold holten. 

„Wir spielen international oben mit“, versicherte Aardoom. „Wir werden nicht unterschätzt.“ Optimistisch stimmen den Verband auch die Aussichten für die Zukunft. Die Bettendorfer Junioren holten beim Jugend-World-Cup vor zwei Jahren Silber, ihre Alterskolleginnen Bronze. Möglicherweise werden sie auch bereits bei der nächsten Weltmeisterschaft eingesetzt werden können. Entschieden ist noch nichts, doch es deutet einiges darauf hin, dass das Turnier 2021 nicht Anfang August in der Coque stattfinden wird. Die deutschen Titelverteidiger befinden sich im Lockdown und die Gäste aus Indien oder Südkorea brauchen vor der Anreise Planungssicherheit, die Corona-bedingt nicht gewährleistet werden kann. Die Titelvergabe könnte um ein Jahr verschoben werden. Im Januar will der internationale Verband kommunizieren. 

Marco Aardoom (l.) freute sich vor zwei Jahren sichtlich über die Vergabe der anstehenden Weltmeisterschaft
Marco Aardoom (l.) freute sich vor zwei Jahren sichtlich über die Vergabe der anstehenden Weltmeisterschaft Foto: indiaca.lu

Ein Aufschub würde den Luxemburgern teilweise entgegenkommen. Einerseits könnte der Rückstand durch die verpassten Trainings- und Meisterschaftsspiele aufgenommen werden, andererseits auch zusätzliche Schritte im großen Projekt unternommen werden: „In meiner Amtszeit will ich mein Ziel, eine Nationalmannschaft zu gründen, umsetzen. Es ist nicht unrealistisch, so etwas auf die Beine zu stellen“, sagte Aardoom. „Das bedeutet nicht, dass jede Woche trainiert werden muss, sondern beispielsweise regelmäßig einmal im Monat, mit Lehrgängen und Testspielen. Die Leute, die ohnehin zu den Talenten zählen, warten nur darauf.“

Von der Truthahn-Farm in die Sporthalle

Sieht man vom speziellen Spielgerät ab, ähnelt das Indiaca-Regelwerk den internationalen Statuten des Volleyball. Allerdings gibt es auch dazu ein paar Unterschiede, beispielsweise werden statt sechs nur fünf Feldspieler eingesetzt. Über das Netz befördert wird ein 25 cm großer Federball, der mit der flachen Hand geschlagen wird. Die Federn stammen übrigens von einer Truthahn-Farm in den USA.
Nachdem in den 70er-Jahren ein regelrechter Indiaca-Boom in Deutschland entfacht war, dauerte es noch bis ins Jahr 2000, ehe in Berlin die IIA (International Indiaca Association) gegründet wurde. Die aktuellen Mitgliedsstaaten sind Deutschland, Estland, Japan, Südkorea, Indien, Polen, Belgien, die Schweiz und Luxemburg. Diese neun Nationen werden die WM-Titel unter sich ausmachen. 2008 organisierte Luxemburg zum ersten Mal eine Weltmeisterschaft, bei der sich die Herren den Titel sicherten. 

Im Süden nichts Neues

Während Indiaca im Norden des Landes „gelebt“ wird, existiert die Sportart im Süden überhaupt nicht. Rund 200 Mitglieder zählt der Verband. Klubs bestehen in Ulflingen, Clerf, Nordstad, Useldingen, Bettendorf, Colmar-Berg und Alzingen. Die nationale Hochburg befindet sich in Bettendorf. „Dieses Dorf lebt Indiaca“, beschrieb es Präsident Marco Aardoom. „Dort können es die Kleinkinder kaum erwarten, endlich alt genug zu sein, um mitspielen zu dürfen.“ Alzingen ist der andere Klub, der viel in seine Jugendarbeit investiert. „In den anderen Vereinen wird seit Jahren gespielt, allerdings fehlt es in den meisten Orten an Nachwuchsspielern.“
Gegen die Meinung, dass Indiaca nur in einem bestimmten geografischen Teil des Landes gespielt wird, wollte der Verband mit dem WM-Standort gegensteuern. „2008 wurde die Weltmeisterschaft in Ettelbrück gespielt. Wir haben im Vorstand lange darüber diskutiert, das Bild der ’Sportaart vun do uewen’ zu ändern und deshalb die Coque gewählt. Es soll zeigen, dass Indiaca eine Nationalsportart ist.“

Jeder gegen jeden

In Luxemburg gibt es neben der Damen- und Herrenmeisterschaft auch einen Titel im Indiaca-Mixed. In den Fünferteams muss es eine 2/3-Aufteilung zwischen Frauen und Männern geben. Ein Mixed-Titel werde mit genau der gleichen Intensität angepeilt wie die beiden andern auch, versicherte Aardoom. Wie im Volleyball braucht jede Mannschaft drei Sätze für den Sieg. Dominator bei den Herren ist Bettendorf. Bei den Frauen kommt es schon mal zu engeren Spielen. Mehr als zwei Transfers pro Saison sind die Ausnahme, aber nicht ausgeschlossen. An den unterschiedlichen Spieltagen, meist drei oder vier im Jahr, wird jedes Mal das Maximum an Begegnungen angestrebt – nach dem Prinzip jeder gegen jeden. Zählt man die Pokalspiele hinzu, kommen auf diese Weise über ein Dutzend Indiaca-Wochenenden pro Jahr zusammen. 

Indien, das neueste Mitglied

Das jüngste Mitglied der IIA (International Indiaca Association) wurde erst 2020 gegründet und im November in den Weltverband aufgenommen. Indien hat in den vergangenen Monaten sein erstes Nationalteam präsentiert – und zwar mit Unterstützung des Luxemburger Präsidenten Marco Aardoom. „Es macht mir Spaß, im internationalen Bereich etwas aufbauen zu können“, freute er sich. Mit Paul Lion ist auch ein Luxemburger im Exekutivkomitee der IIA vertreten. 

Schneller als gedacht

Den Weltmeistertitel 2008 hat der aktuelle Verbandspräsident Marco Aardoom nicht miterlebt. Er wurde nämlich erst vor sechs Jahren durch Freunde auf den rot-gelben Federball aufmerksam. „Und dann ging alles sehr schnell“, lacht der gebürtige Niederländer, der seine Lizenz beim Verein aus Bettemburg machte und rasch an die Spitze gewählt wurde. Dabei stand ihm der Sinn eigentlich nach etwas ganz anderem:  „Nicht, um Wettbewerbe oder Meisterschaftsspiele zu bestreiten, sondern aus Spaß und um mich nach der Arbeit abreagieren zu können.“ In sportlicher Hinsicht hatte er sein Herz nämlich schon an eine andere Randsportart verloren, den Korfball. „Deshalb wusste ich auch gleich, was mich erwarten würde.“ Nämlich ein kleiner Verband mit intensiv begeisterten Sportlern, wie er heute sagt.