Nachruf / Die Doppelbödigkeit der Spione
Warum der Spionagethriller in der englischen Literatur eine so ausgeprägte Rolle spiele, wurde der Meister des Genres, David Cornwell alias John le Carré, im März diesen Jahres gefragt. Das müsse wohl an der latenten Scheinheiligkeit seiner englischen Landsleute liegen, antwortete der Autor legendärer Romane wie „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ wie aus der Pistole geschossen und amüsierte damit sein Publikum in der deutschen Botschaft am Londoner Belgrave Square. Hinzu komme sicher das imperiale Erbe, mit dem eine gewisse Weltläufigkeit einhergeht.
Jahre zuvor hatte le Carré, der am Samstag im Alter von 89 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung verstarb, in einem BBC-Interview bei den Briten einen „konspirativen Wesenszug“ ausgemacht. Gepaart mit ihrem ausgeprägten Patriotismus sei diese Eigenschaft verantwortlich dafür, dass den Geheimdiensten auf der Insel ein selbstverständliches Vertrauen entgegengebracht werde. „Da lässt der Hausbesitzer mal rasch zwei Agenten vom Obergeschoss aus die Umgebung observieren – Hauptsache, sie bringen das Kinderzimmer nicht durcheinander.“
Mit seinen vielfach verfilmten Weltbestsellern trug Le Carré sein Scherflein dazu bei, dass die „intelligence services“ MI5 (Inland) und MI6 (Ausland) Weltruhm erlangten, obwohl oder gerade weil der Autor ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu ihnen pflegte. Anders als der grobschlächtige, stets zu kühlen Morden und heißen Frauengeschichten aufgelegte Agent 007 alias James Bond, Kreatur des viel weniger talentierten Ian Fleming, spiegelten Le Carrés Helden die Vielschichtigkeit und Gebrochenheit ihres Berufes wider.
Allen voran galt dies für George Smiley, den legendären Agentenführer und Spürhund. Mit dieser Figur zeichnete Le Carré den Prototyp des Geheimdienstlers im Kalten Krieg zwischen Ost und West, wie er ihn sah: ein im Dschungel der Bürokratie ergrauter, übergewichtiger Fachmann, mehr an Psychologie interessiert als an heldenhaften physischen Einsätzen, mit Sympathien für das (sowjetische) Gegenüber, stets operierend an der Bruchlinie von Ethik und Moral. Nicht umsonst widmeten sich spätere Bücher den Machenschaften großer Pharma-Konzerne („Der ewige Gärtner“), dem internationalen Waffenhandel („Der Nachtmanager“) oder der russischen Mafia („Verräter wie wir“).
An Lügenhaftigkeit und der Elastizität moralischer Grundsätze sei er von kleinauf interessiert gewesen, hat der 1931 geborene Schriftsteller später gern erzählt. Das lässt sich wohl auf die Eltern zurückführen: Die Mutter verließ Mann und zwei Söhne, als er fünf Jahre alt war; der Vater steckte beide Knaben in zwei unterschiedliche Internate. Sonntags habe er sich mit dem zwei Jahre älteren Bruder auf halbem Weg zwischen den beiden Schulen getroffen, „damit wir uns umarmen konnten“, berichtete Cornwell später im Freundeskreis. Der Mutter begegnete er erst als 21-Jähriger wieder, mit dem mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilten Betrügervater verband ihn eine komplizierte Beziehung, die darin endete, dass er für die Beerdigung zwar bezahlte, selbst aber nicht daran teilnahm.
Der Pflichtbewusste
Besonders verbunden fühlte sich Le Carré der deutschen Sprache, wo auch immer sie gesprochen wurde.
Geweckt hatte die Liebe ein Lehrer am Internat von Sherborne; dieser ebnete dem schulmüden 17-Jährigen auch den Weg an die Uni Bern, wo dieser zwei Jahre Germanistik und moderne Sprachen studierte. Stationen beim Armeegeheimdienst in Österreich, an der Uni Oxford und am Elite-Internat Eton als Lehrer für Deutsch und Französisch folgte der Eintritt bei MI5. 1960 ging David Cornwell zu MI6, war in Bonn und Hamburg stationiert und begann zu schreiben – Fundament seiner späteren Karriere, nachdem der Verrat des zur Sowjetunion übergelaufenen Kim Philby ihn wie viele seiner Kollegen enttarnt und für weitere Agententätigkeit unmöglich gemacht hatte. Die Vorgesetzten beharrten auf einem Alias, Cornwell wählte Le Carré, was im Französischen gleichermaßen „das Quadrat“ wie „der Pflichtbewusste“ bedeutet.
Die Doppelbödigkeit blieb Le Carrés Spezialität Zeit seines Lebens. Der 1963 erschienene Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ machte ihn über Nacht berühmt, was der Autor 57 Jahre später als zweischneidige Angelegenheit beschrieb: Er habe mit dem Erfolg und dem damit einhergehenden Geldregen, nicht zuletzt nach der legendären Verfilmung mit Richard Burton, nicht umgehen können.
Unverdrossen schrieb er in den darauffolgenden Jahrzehnten mehr als zwei Dutzend Romane, dazu den witzigen Memoirenband „Der Taubentunnel“ und eine Reihe von Drehbüchern für die Verfilmungen seiner Werke. Einen „literarischen Giganten“ nannte ihn US-Horrorspezialist Stephen King, gestorben sei „einer der besten britischen Romanciers der Nachkriegszeit“, sekundierte Robert Harris („Vaterland“, „München“, „Vergeltung“). Auch politisch meldete sich Le Carré immer wieder zu Wort, als Geheimdienst-Skeptiker, englischer Patriot und überzeugter Europäer. Seinen Helden George Smiley ließ er im 2017 veröffentlichten Roman „Das Vermächtnis der Spione“ sagen: „Wenn ich eine Mission gehabt habe, dann bestand sie in Europa.“ Da hatte sich der Mann, der „mit dem Stift in der Hand sterben” wollte, selbst porträtiert.
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Hätte der gute John etwas vom Bommeleeër und von dem SREL gewußt. Das wäre noch ein Bestseller geworden.