Demenz-PräventionGegen den Abschied auf Raten: Regierung weitet Demenz-Programm aus

Demenz-Prävention / Gegen den Abschied auf Raten: Regierung weitet Demenz-Programm aus
Die Menschen in Luxemburg werden immer älter. Mit der Lebenserwartung steigt aber auch das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Foto: dpa/Sven Hoppe

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Rund 7.000 Menschen sind derzeit in Luxemburg an Demenz erkrankt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen, werden Symptome im Anfangsstadium doch gerne verkannt und abgetan. Dabei ist der Prozess besonders in der frühen Entstehungsphase noch umkehrbar. Ein Grund, weshalb das „Programm Demenz-Prävention“ zum Auftakt der neuen Förderperiode noch ausgeweitet wird: Möglichst viele Patienten sollen vom kostenlosen Programm profitieren.

Meist beginnt es harmlos. Mit der Suche nach der verlorenen Brille oder der Erkenntnis, doch glatt einen Geburtstag vergessen zu haben. So ist das nun mal im Leben: Mit zunehmendem Alter werden Menschen auch vergesslicher. Dann aber häufen sich die Vorkommnisse, der oder die Betroffene vergisst Namen, Termine, sogar wichtige Personen. Die Vergesslichkeit kann viele Ursachen haben. Manchmal ist es die Folge einer vorübergehenden Erkrankung. Nicht selten aber ist es auch der Vorbote einer beginnenden Demenz.

Für Betroffene ist es oft ein Abschied auf Raten. Nach und nach verlieren sie nicht nur Bruchstücke der Erinnerung, sondern auch Teile ihrer eigenen Persönlichkeit. Langsam entgleiten sie dem Alltag, oft vor den Augen liebevoller Familienmitglieder, die der degenerativen Erkrankung machtlos gegenüberstehen. Tatsächlich kommt der Name nicht von ungefähr: „Demenz“ leitet sich vom lateinischen „de mens“ ab und bedeutet „weg vom Geist“ – im wahrsten Sinne des Wortes.

Wer von Demenz spricht, meint in der Regel Alzheimer. In Wirklichkeit aber beschreibt der Begriff keine konkrete Krankheit, sondern eher ein Bündel an Symptomen, die durch heilbare oder unumkehrbare Erkrankungen ausgelöst werden können. Mit rund 60 Prozent ist Alzheimer die häufigste von mehr als 50 Demenz-Formen. Einen typischen Krankheitsverlauf und den typischen Demenz-Patienten gibt es demnach nicht.

Gleiches gilt auch für die Aussichten auf Heilung. Im Gegensatz zu Alzheimer nämlich sind nicht alle neurodegenerativen Erkrankungen gleich auch mit einem unwiederbringlichen Verlust der Gehirnzellen verbunden. So ist der Prozess vor allem in der frühen Entstehungsphase einer Demenz noch umkehrbar, wenn es sich beispielsweise um eine leichte kognitive Störung handelt. „Mild cognitive impairment“ (MCI) nennen Mediziner und Forscher dieses Krankheitsbild, das sich in der Regel im höheren Alter mit der Beeinträchtigung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Denkvermögen äußert.

Menschen werden immer älter

Die ersten Anzeichen sind oft leicht und haben kaum Auswirkungen auf den Alltag der Betroffenen. Auf die leichte Schulter sollte man die ersten Symptome allerdings nicht nehmen: Bei knapp der Hälfte der Patienten mündet die zunächst geringfügige Leistungsminderung des Gehirns nach spätestens fünf Jahren in einer unumkehrbaren Demenz. Und genau in diesem Punkt soll das Luxemburger „Programm Demenz-Prävention“ (PDP) ansetzen, das vom Gesundheitsministerium in engster Zusammenarbeit mit dem „Luxembourg Centre for Systems Biomedicine“ (LCSB) der Uni Luxemburg betrieben wird.

„Aufgrund einer steigenden Zahl Betroffener wird sowohl die frühzeitige Erkennung von möglichen Vorstufen der Demenz als auch die Diagnose und Therapie der Risikofaktoren zunehmend bedeutsamer“, heißt es von der Programm-Leitung. Mit der Lebenserwartung steige tatsächlich auch das Risiko, im Alter an einer Demenz zu erkranken. „Ziel des Programms ist es, dieses Risiko bei möglichst vielen Menschen zu reduzieren“, so eine Sprecherin.

Dabei spiele insbesondere das Konzept der leichten kognitiven Störung MCI eine wichtige Rolle: „In vielen Fällen stellt MCI eine Vorstufe der Alzheimer-Demenz dar. Bei circa 10 bis 20 Prozent der Patienten schreiten die leichten Störungen im ersten Jahr sogar zu einer manifesten Demenz voran“, betont die Wissenschaftlerin. Umso wichtiger sei es, Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren.

Ein Dutzend Risikofaktoren haben Forscher inzwischen identifiziert, die man tatsächlich gezielt beeinflussen kann, um einer Demenz vorzubeugen oder sie schlimmstenfalls hinauszuzögern. Neben Übergewicht, Bluthochdruck, Depressionen, Schwerhörigkeit oder einer unbehandelten Diabetes begünstigen auch das Rauchen, die soziale Isolation oder mangelnde Bewegung das Entstehen einer Demenz. „In einer ersten Phase fördern diese Faktoren zunächst aber noch das Entstehen von MCI“, so die Sprecherin. „Die Leistungsfähigkeit des Gehirns lässt etwas nach. Doch handelt es sich dabei noch um einen umkehrbaren Prozess. Und genau dort setzt das PDP an.“

Ein kooperativer Ansatz

Menschen, bei denen ein Verdacht auf MCI besteht und die Hinweise auf erhöhte Risikofaktoren zeigen, können von ihrem behandelnden Arzt an das PDP überwiesen werden. Dort werden diese Personen genau untersucht, um ihr kognitives Profil anhand von Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Sprachtests zu erstellen und ihre Lebensgewohnheiten zu erfassen. So entsteht für jeden Patienten ein individuelles Risikoprofil.

Grundlage dafür sei die enge Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten und den Gesundheitsdienstleistern im Großherzogtum, so der Professor für Neurowissenschaften weiter. So informiert das PDP-Team die Ärzte über Art und Ausmaß der Demenz-Risiken ihrer Patienten. Die Ärzte sind wiederum aktiv am PDP beteiligt, indem sie beispielsweise die Therapie zur Einstellung von Diabetes oder erhöhtem Blutdruck begleiten und eng kontrollieren.

„Nur in diesem kooperativen Ansatz ist es möglich, für jeden Betroffenen ein individuelles und wirksames Präventionsprogramm zu entwickeln“, so Krüger. Besonders wichtig seien aber auch die Kursanbieter und sozialen Dienstleister, für deren Angebote Menschen mit MCI Gutscheine bekommen können. „Sie stehen in ständigem Kontakt mit den von MCI betroffenen Menschen“, sagt Krüger. „Ihre Arbeit mit den Patienten ist die Basis für den Erfolg des PDP.“

Damit noch mehr Menschen im Kampf gegen die Demenz unterstützt werden können, wird das Netzwerk zu diesen Akteuren in der neuen Förderperiode des Programms ausgeweitet. „Wir möchten, dass möglichst viele Menschen in Luxemburg vom PDP profitieren“, betont Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP). Überhaupt wolle man mit der neuen Phase des Programms noch mehr MCI-Patienten im Großherzogtum ansprechen. „Und damit die Demenz-Prävention weiter intensivieren und noch gezielter anbieten“, so die Gesundheitsministerin.

Dazu wolle man den Weg einer individuellen Präzisions-Prävention einschlagen, das PDP-Team erweitern und die Angebote für Menschen mit MCI ausweiten, verspricht Lenert. Zudem werde die begleitende Forschung intensiviert, um weitere Risikofaktoren zu identifizieren. „Gelingt dies, lassen sich die vorbeugenden Maßnahmen noch zielgerichteter gestalten“, hoffen die Verantwortlichen.

Kontinuierliche Anstrengungen

Einen Anlaufpunkt für Betroffene gibt es ab sofort nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in Ettelbrück und in Esch-Belval. Zudem sollen im Rahmen des PDP auch digitale Angebote entwickelt werden. Diese seien insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen sanitären Krise sehr wichtig. Zwar genügten die persönlichen Untersuchungen an den PDP-Standorten den höchsten Hygienestandards. „Aber mit digitalen Angeboten können wir noch mehr Menschen erreichen, die sich derzeit eher zurückhalten und in ihrer Wohnung bleiben“, so Koordinator Rejko Krüger.

Das Programm sei bereits in Richtung eines Präzisions-Präventions-Konzepts weiterentwickelt worden. Nun wolle man die Maßnahmen auch mit eigenen Forschungsprojekten in Luxemburg begleiten: „Wir möchten untersuchen, welchen Einfluss das soziale Umfeld, sozioökonomische Faktoren, die Ernährung und die Zusammensetzung der Darmflora im Verdauungstrakt auf die Risikofaktoren haben“, sagt Professor Krüger. „Davon versprechen wir uns, weitere Demenz-Risikofaktoren zu identifizieren – die wir im Rahmen vom PDP dann gezielt adressieren und reduzieren können.“ So sollen nicht nur mehr Menschen erreicht, sondern die Qualität ihrer Behandlung kontinuierlich verbessert werden.


Programm Demenz-Prävention

Das „Programm Demenz-Prävention“ wurde im Juni 2015 vom Luxemburger Gesundheitsministerium ins Leben gerufen. Es richtet sich an Menschen mit leichten Gedächtnisstörungen und an Personen, die bereits mit einer sehr leichten Form von Demenz diagnostiziert wurden. Die Teilnahme am Programm ist für die Patienten freiwillig und kostenlos. Die Kosten trägt das Gesundheitsministerium. Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf der Internetseite www.demence.lu.