Editorial„Schéi Geschicht“: Luxemburg klatscht nicht mehr für die Corona-Helden

Editorial / „Schéi Geschicht“: Luxemburg klatscht nicht mehr für die Corona-Helden
Es wird auch ein Leben nach der Pandemie geben: Premier Bettel und Gesundheitsministerin Lenert wird es nicht an Arbeit fehlen Foto: Editpress/Julien Garroy

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„Ein Journalist ist jemand, der nachmittags in einem Artikel die Patentlösung für ein Problem vorstellt, von dem er morgens noch nie etwas gehört hatte.“ Ganz schön frech, dieser Gerhard Kocher. Doch er hat recht. Was der Schweizer Politologe und Gesundheitsökonom auf den Punkt bringt: Lösungen für komplexe Probleme vorschlagen, die man erst durch alltagsrelevante Beobachtungen verstehen könnte, ist keine dankbare Aufgabe.

Was jedoch die meisten Analysen zur Corona-Krise verbindet: Luxemburgs Gesundheitswesen hat ein Problem. Und selbst Gesundheitsministerin Paulette Lenert meint hinsichtlich des Personalmangels im Gesundheitssektor: „Et huet net mech gebraucht, fir dat ze mierken.“ Stimmt. Die bislang fundierteste Analyse stammt nämlich weder von einem Politiker noch von einem Journalisten – sondern von einer Gesundheitsexpertin: Marie-Lise Lair-Hillion. Kurz: aus dem „Rapport Lair“. Das gnadenlos detaillierte Dokument liest sich wie die Chronik einer Nation im Schlafwandel. Noch im Juli hatte die Chamber unter dem Eindruck klatschender Menschen über die Helden der Corona-Krise debattiert. Erstaunlich oft wurde der 2019 veröffentlichte „Rapport Lair“ zitiert. Es konnte einen hoffnungsvoll stimmen, dass diese Krise zumindest zu einer gehaltvolleren Streitkultur beitragen könnte. Heute wissen wir: „schéi Geschicht“.

Denn unsere Helden von einst sind wieder dabei, die Leidtragenden von morgen zu werden. Die Hilferufe aus den Krankenhäusern und Altersheimen sprechen Bände. Doch diese Regierung lässt sich weder von Fachwissen noch von öffentlichem Druck und schon gar nicht von dem zahnlosen Tiger namens Chamber beeindrucken. Das aktuelle Krisenmanagement ist entgegen allen blumigen Reden eher eines der Schadensbegrenzung als der Voraussicht. Die politische Führung nutzt so ziemlich alle Mittel, damit das Angebot an Arbeitskräften nicht minimiert wird – auf Kosten ebendieser Menschen. Im Lockdown light lautet die Devise: Zurück zum Business as usual, Klatschen war gestern. So ziemlich jede beschlossene – oder eben nicht beschlossene – Maßnahme lässt sich auf den Faktor Liberalisierung zurückführen. Die Kennzahl der Intensivbetten ist dabei die Grenze des politisch Machbaren. Wer es ganz zynisch haben will und diese Politik zu Ende denkt, könnte auch sagen: Hätten wir mehr Personal und mehr Betten, dann läge die Grenze halt bei diesen Kennzahlen. Beliebigkeit ist mein Name.

Sie sehen das Problem? Die Diskussion über Intensivbetten und überarbeitetes Personal ist symptomatisch für eine Kultur der politischen Kurzsichtigkeit. Dass die Regierung überhaupt irgendwelche Hemmungen kennt, hat weniger mit der Sorge um die öffentliche Gesundheit und das Wohl von Arbeitnehmern zu tun als mit der Angst vor der politisch tödlichen Triage-Frage: Wer darf leben, wer muss sterben, wenn alle Intensivbetten voll ausgelastet sind? Zur Erinnerung: Im März wurde auch noch in Luxemburg über diese Frage philosophiert. Das Hinauszögern halbherziger Corona-Maßnahmen zeigt demnach den Stellenwert, den diese übermütige Regierung inzwischen dem Wohl der Helden einräumt. Wer sich den Tag nicht ganz verderben will, sollte sich lieber die Schlussfolgerung des Lair-Berichts sparen: „Cette situation était pressentie. (…) C’est pourquoi, pour éviter de mettre en péril le système de soin, des mesures profondes s’imposent dès à présent. Il ne s’agit pas de vouloir essentiellement recruter des médecins ou en augmenter le nombre. Il s’agit de repenser complètement le fonctionnement du système de soins.“

P.Dauer
11. Dezember 2020 - 14.25

@ de Schmatt, das ändert nichts an der Tatsache, dass anstelle hier ausreichend eigenes Personal auszubilden, wir dieses mit hören Gehältern anlocken, was dann dort fehlt wo es ausgebildet wurde. Darüber hinaus meckern wir noch darüber, dass dieses Personal kein luxemburgisch spricht.

de Schmatt
9. Dezember 2020 - 16.26

" Was schert micht mein Applaus von gestern ? Hauptsache ich blieb bis jetzt von Corona verschont !" So werden wohl so manche Spiessbürger denken und Weihnachten ungeduldig entgegenfiebern. Auf Weihnachten folgt Sylvester und im neuen Jahr werden sie und wir alle, ohne Ausnahme, aufs heftigste mit Corona konfrontiert. Und dann? Ach ja, dann kommt die rettende Impfung und eine Spaltung der Gesellschaft in 2 Klassen: die mit Impfpass und die ohne. Wehe dann denen, die sich nicht impfen lassen! Unsere Nachbarländer stellen uns übrigens nicht freiwillig das gut ausgebildete Pflegepersonal zur Verfügung. Diese sanitäre Arbeitskräfte kommen zu uns, weil sie hier besser bezahlt werden und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.. Zu Recht und Gott sei Dank.

P.Dauer
8. Dezember 2020 - 9.58

@ de Schmatt, das Gesundheitssystem funktioniert gut, weil uns die Nachbarländer das dort gut ausgebildete Personal zur Verfügung stellt. Ohne dieses sähe hier das Gesundheitssystem ziemlich alt aus.

de Schmatt.
7. Dezember 2020 - 9.09

Verglichen mit unseren Nachbarländern und dem Ausland im allgemeinen müssen wir uns nicht beklagen , sondern uns glücklich schätzen, dass wir über ein gut funktionierendes Gesundheitssystem verfügen. Klar nichts ist perfekt aber Vieles könnte noch wesentlich schlimmer sein. Wir klagen auf höchstem Niveau.

jean-pierre goelff
5. Dezember 2020 - 21.50

An alle:wenn sie wissen wollen wie man ein Gesundheitssystem zugrunde richtet....schaut doch ganz einfach über die französische Grenze,wir stehen in der grande nation am Abgrund,mir graut's vor der Zukunft!

churchill
5. Dezember 2020 - 17.30

@de prolet esou ass et. Mais dat waren verschidden Leit hai am Land,dei gemengt hun,sie missten dee Geste bei den Italiener ofkucken.Dei Leit an Italien waren schlemmer drun wei hai an hiert Gesondheetswiesen war total iwerlaascht.Et war novollzeihbar dass se vun den Balkoen erof merci gesot. Dei Leit,dei hai am Land um Trottoir stungen an Tromm gespillt,oder Trompet an dann an d'Hänn geklappt hun,konnten sech duerno um RTL Magazin oder esou bewonneren an soen:kuck wat sin mir awer esou gudd. Mais chapeau fir eis Leit dei an den Spidéler hirt Bescht gin.

de Prolet
5. Dezember 2020 - 10.31

Dankbarkeit ist meist von kurzer Dauer. Wenn die Anfangseuphorie verflogen ist , und das geht relativ schnell, bleibt von Anerkennung nur noch wenig übrig. Wenn überhaupt. Das Trompetenblasen vor dem Altersheim in Bofferdingen war von kurzer Dauer. Den Trompetisten ist relativ schnell die Puste ausgegangen. Heute kräht kaum noch ein Hahn nach der Leistung des Krankenhaus- resp. Pflegepersonals. Übrigens: diese allgemeine Privatisierungspolitik wird uns noch einmal teuer zu stehen kommen.

Realist
4. Dezember 2020 - 15.07

Angesichts der Krise im Gesundheitssektor juckt es der zuständigen Ministerin vermutlich in den Fingern, so schnell wie möglich noch ein paar Klinik- und Intensivbetten abzubauen. Diese Massnahme galt bislang bekanntlich als Universallösung für sämtliche Probleme.

J.Scholer
4. Dezember 2020 - 14.41

@Dauer: Nicht die Beamtenkaste hat die Missstände in den Gesundheitsberufen, den Krankenhäuser erschaffen.Politik und auch Gewerkschaften haben ihren Teil zur augenblicklichen Situation beigetragen. Es sind noch keine zwanzig Jahre her , waren , nebst jenen unter dem Privatstatut, in etlichen Krankenhäuser unseres Landes die Pflegekräfte unter dem Statut der Gemeindebeamten oder auch dem Statut der Staatsbediensteten eingestellt. Als Politik und Konsortien hier unter hochtrabender Argumentation Remedur schufen , die Beamtenkasten im Gesundheitssektor abschufen, wurde dies von Gewerkschaften beklatscht , hingenommen.Ein ebenso markantes Beispiel der Privatisierungspolitik ist die Liberalisierung der Postdienste wo gleich dem Gesundheitssektor die Löhne nach unten korrigiert ,ein Mehr an Arbeit addiert wurde.

P.Dauer
4. Dezember 2020 - 13.25

@ Scholer, das System krankt doch daran, dass die wirklich systemrelevanten Berufe hier so unattraktiv sind, dass sie nur noch von angeworbenen Kräften aus dem Ausland gemacht werden. Wir haben hier eine privilegierte Beamtenkaste, die in dieser Pandemie den Kopf in den Sand steckt und Pfleger, die hier unter Einsatz ihrer Gesundheit den Kopf hinhält. Beschneidet die Privilegien des einen und gibt sie an die anderen, schon gibt es auch mehr einheimische Pfleger die sogar luxemburgisch schwätze könne.

Lucilinburhuc
4. Dezember 2020 - 12.52

"klatschender Menschen über die Helden der Corona-Krise" Damals kam mir das ganze nicht so koscher vor... Und jetzt zeigt sich das es eher wie eine Therapie war, die neue Gegebenheiten zu verarbeiten.

trotinette josy
4. Dezember 2020 - 10.18

Vollkommen richtig @J.Scholer. Ihrem Kommentar ist nichts hinzuzufügen. Diese Fehlentscheidungen ihrer Vorgänger aus der eigenen Partei muss die jetzige Gesundheitsministerin Frau Lenert, eine tapfere und kompetente Politikerin, jetzt ausbaden und zurechtbiegen. Die von ihr getroffenen Massnahmen entlasten allerdings den Bürger nicht von seiner Eigenverantwortung.

zyniker
4. Dezember 2020 - 10.10

Die gesamte Konzept, von Ausgangssperren zu anderen Beschränkungen, hatte nur zum Zweck das Gesundheitssystem zu entlasten. Das war von Anfang an so gewollt, mehrere kleine Wellen als eine Große und dann eine Kleine (haben die Meisten schon vergessen). Dazu wurde der Rechtsstaat auf Eis gelegt, Menschenrechte (Artikel 1 bis 19) und damit das Grundgesetz mit Füßen getreten und die Diktatur als Staatsform eingesetzt (siehe Notstandsregierung). Hat das Konzept weniger Tote gekostet als das schwedische Modell wage ich zu bezweifeln. Es sieht allenfalls nicht danach aus. Die Frage stellt sich wie man es Besser hätte machen sollen mit dem Fehlen an Wissen, Kranken- Plätzen und Pflegern. Was hätte in den Altenheimen gemacht werden müssen, wissentlich dass hier das Größte Problem ist? Journalisten haben sich hinter die Regierungen gestellt und als Panikmacher fungiert und somit haben sie Mitschuld an dem sozialen Aus und all den Problem die das bewirkte, bewirkt und weiter bewirken wird. Wenn dem ganzen Rapport Lair Rechnung getragen worden wäre hätte das nichts bewirkt. Es sind Empfehlungen für die Zukunft die in keiner Weise einem Kontingentplan (nicht einmal erwähnt) gerecht werden (sowie die FEMA ihn erstellt hatte und Trump ihn schredderte).

HTK
4. Dezember 2020 - 9.47

Der letzte Gesundheitsminister der mir auf Anhieb einfällt,wo es um reduzierung der Betten ging heißt JM Halsdorf von der CSV. Aber richtig ist die Feststellung,dass Gesundheit teuer ist und wer rechnet mit einer Pandemie? Das kann uns doch nicht passieren.Dieses Problem haben andere Länder wie England,Frankreich usw. in größerem Maßstab als wir. Der Bürger ist auch ein undankbares Wesen.Heute Jubilo und morgen Mordio.Er kennt die Lösungen vor den Experten und er klopft auf die Politiker wenn Maßnahmen nicht seinem Gusto entsprechen.Wir werden also das tun was wir immer tun.Weitermachen. Etwas Positivismus und Hellsicht wären jetzt angebracht.Wir werden sehen was der Impfstoff bringt.70% werden genügen um das Virus einzudämmen.Und wenn wir uns weniger Gedanken um den nächsten Schiurlaub machen würden sondern mehr um den Abstand und die Hygiene,dann ja dann.....wären unsere Politiker immer noch Helden.

J.Scholer
4. Dezember 2020 - 8.44

Richtig geschrieben, aber vergessen Sie bitte nicht die heutigen Probleme im Gesundheitssektor sind zum Teil geschuldet durch die politische Weichenstellung sozialistischer Gesundheitsminister letzter Regierungsperioden. Reduzierung der Betten, Zentralisierung der Krankenhäuser( Beispiel: Düdelingen renoviert dann deklassiert)Ausrichtung nach wirtschaftlichen Maßstäben sprich Maximierung der Gewinne ,Mehrbelastung der Arbeitnehmer in den Kliniken durch vorgegebene Zeitraster die Arbeit zu bewältigen, zusätzliche Schreibarbeiten. Kurz und bündig ein Mehr an Arbeit für die Arbeitnehmer, weniger Service oder Kundendienst für den Patienten. Desweitern sind alle Parteien ihre Vorsorgepflicht gegenüber dem Bürger nicht nachgekommen, haben es vernachlässigt für Fälle von Katastrophen, Seuchen,.....Notmaterial anzulegen.Pervers ,bedenkt man in Zeiten des Kalten Krieges zahlreiche Depots mit medizinischen Material bestanden und dann abgeschafft wurden.

lully
4. Dezember 2020 - 7.45

Alles gesoot.. dat wat mer 'Haut' erliewen, ass fiir Jiddereen een geféierlechen Seel-Danz ouni Netz, ob Politker, Fuerscher, Reporter oder de Mênsch am Alldag, kee weess wéi dat Ganzt ändegt a wéi a wou mer dann do stin, wann iwwerhaapt.. lully