Budget-StreitEU-Parlamentarier erhöhen Druck auf Regierungen Polens und Ungarns

Budget-Streit / EU-Parlamentarier erhöhen Druck auf Regierungen Polens und Ungarns
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Abgeordneten im Europäischen Parlament sind sich in Sachen Rechtsstaatlichkeit und EU-Haushalt einig Foto: AFP/Pool/Olivier Hoslet

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die EU-Parlamentarier haben gestern im Streit über den geplanten Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz des EU-Haushalts noch einmal nachgelegt und den Druck gegenüber Polen und Ungarn erhöht. Beide Länder haben ein Veto gegen den mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen und den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds eingelegt, um den Mechanismus zu verhindern.

Die Blockade des EU-Haushalts für die kommenden Jahre wird möglicherweise erst bei der kommenden Tagung des Europäischen Rates am 10. und 11. Dezember in Brüssel gelöst werden können. Während einer Debatte zum bevorstehenden Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs machten die EU-Parlamentarier gestern noch einmal ihre Position zum Thema deutlich, das bislang noch nicht auf der offiziellen Tagesordnung des Gipfels steht. Dabei machte auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unmissverständlich klar, dass es in der Frage des Rechtsstaatsmechanismus kein Zurück mehr geben werde.

Derweil versucht der ungarische Regierungschef Viktor Orban, Kompromissbereitschaft an den Tag zu legen, wie Nachrichtenagenturen in Bezug auf ein Interview des Ungarn melden. Orban zeigt sich dabei bereit, die in vielen EU-Staaten wegen der Corona-Krise dringend benötigten Gelder des Wiederaufbaufonds so schnell wie möglich freizugeben. Über den Rechtsstaatsmechanismus aber müsse noch geredet werden.

Das wird von vielen allerdings nicht so gesehen. Zwei Mitgliedstaaten hätten bezüglich des Mechanismus Zweifel angemeldet und das Beste wäre es nun, diese aus dem Weg zu räumen, meinte gestern die Kommissionschefin. „Es geht hier um Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip, die das europäische Budget gefährden, und nur um diese. Und das ist angemessen, das ist verhältnismäßig und das ist auch notwendig“ und es sei „sehr schwer vorstellbar“, etwas dagegen zu haben, sagte Ursula von der Leyen. Wer allerdings Zweifel daran habe, könne vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ziehen und diesen entscheiden lassen. „Das ist der Ort, an dem wir üblicherweise Meinungsverschiedenheiten über Rechtstexte auslegen“, so die Kommissionschefin.

Zweifel meldete denn auch die Rednerin der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), Beata Szydło, an. Die ehemalige polnische Regierungschefin erklärte, die Lissabonner Verträge würden keine Verbindung zwischen der Ausgabe von EU-Geldern und dem Rechtsstaatsprinzip vorsehen. Hier werde versucht, „Prinzipien durchzusetzen, die nicht in den Verträgen stehen“, so die PiS-Politikerin. Im Übrigen stehe es gut um die Rechtsstaatlichkeit in Polen, versicherte Beata Szydło.

Es geht hier um Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip, die das europäische Budget gefährden, und nur um diese. Und das ist angemessen, das ist verhältnismäßig und das ist auch notwendig.

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Außer den Rednern der EKR, in der die polnische Regierungspartei PiS maßgeblich den Ton angibt, und den Rechtsextremen und -populisten, die ohnehin jede Gelegenheit nutzen, um die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit der EU zu unterminieren, boten alle Fraktionen den Regierungen in Warschau und Budapest die Stirn.

Treffen Morawiecki mit Orban

Das Veto sei „schlicht und einfach unverantwortlich“, sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber. „Das Europäische Parlament wird keinen Millimeter zurückweichen. Dieser Mechanismus ist richtig, er ist notwendig, er ist überfällig“, so der deutsche EVP-Politiker, der hervorhob, dass es ohne das EU-Parlament den Mechanismus so nicht geben würde. „Wir wollen nicht weichen“, sagte ebenfalls die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Iratxe Garcia Perez. An der Einigung, die die EP-Abgeordneten mit dem Rat getroffen hätten, werde nichts mehr geändert. Immerhin seien 77 Prozent der EU-Bürger für eine Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geldern mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in der EU, so die Spanierin.

„Europa wird in Geiselhaft genommen“, beklagte der Vorsitzende der Liberalen im EP, Dacian Ciolos. Es sei „lächerlich“, der EU vorzuwerfen, sie sei „sowjetisch“, vor allem „wenn man sich selbst despotisch benimmt“, meinte der Rumäne bezüglich entsprechender Äußerungen aus Warschau und Budapest. Ska Keller wiederum ist sich sicher, den beiden Regierungen gehe es nur darum, an der Macht zu bleiben. Die Blockade des Wiederaufbaufonds würden die eigenen Bevölkerungen zu spüren bekommen, so die Vorsitzende der Grünen. Die Europäische Volkspartei (EVP) hätte Viktor Orban zu lange „geschützt“, monierte der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan. Dass „die Autokraten in der EU“ nun die Gemeinschaft in Geiselhaft nehmen, sei „politisch völlig inakzeptabel“.

Am heutigen Donnerstag wird der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orban in Budapest treffen, wie aus einer Twitter-Botschaft der Ständigen Vertretung Polens bei der EU hervorgeht. Demnach wollen die beiden ihre Position in Sachen EU-Haushalt und Rechtsstaatsmechanismus koordinieren. Vielleicht kommt es doch noch vor dem Gipfeltreffen im Dezember zu einer Lösung.

Brexit: Entscheidende Tage

In den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über ein Abkommen über die künftigen Beziehungen sei man in „entscheidenden Tagen“, sagte gestern die EU-Kommissionspräsidentin während einer Debatte im Europäischen Parlament. „Aber ich kann Ihnen heute nicht mit Sicherheit sagen, ob es am Ende einen Deal geben wird oder nicht“, so Ursula von der Leyen. Zwar seien Fortschritte bei Themen wie der Strafverfolgung, der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme, der Warensicherheit und der Transportdienste zu verzeichnen. Bei den drei für die EU wichtigsten Punkten gebe es weiterhin Differenzen: bei der Fischerei, gleichen Wettbewerbsbedingungen (level playing field) und den Rechtsmitteln zur Ahndung von Verstößen gegen das geplante Abkommen. Angesichts jüngster Erfahrungen brauche es ein starkes Rechtssystem, so die Kommissionschefin. Sollte es nicht für ein Abkommen reichen, sei die EU „gut auf ein No-Deal-Szenario“ vorbereitet. Eines sei jedoch klar: Es werde einen Unterschied geben zwischen einer EU-Vollmitgliedschaft und „dem Status eines geschätzten Nachbars“, versicherte Ursula von der Leyen. Die EU-Parlamentarier ihrerseits wiesen darauf hin, dass ihnen genügend Zeit bleiben müsse, das Abkommen zu prüfen. „Wir werden nicht alles unterschreiben“, warnte die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Iratxe Garcia Perez. Vor allem müssten die Bedingungen für den Frieden in Nordirland erhalten bleiben und die EU-Standards in Sachen Umwelt, Soziales und Arbeitnehmerrechte sowie Verbraucherschutz erhalten bleiben. Seine Fraktion sei auch für eine Sondersitzung des EP bereit, um das Abkommen durchzubringen, sagte der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan.

DanV
26. November 2020 - 15.26

@ Jeff Un de Basisrechter vun de Mënschen an der EU gëtt et näischt ze verhandelen. E Kompromëss wär eng Verwässerung.

Jeff
26. November 2020 - 13.25

Dat ass EU Demokratie. Wann ee mat enger Saach net averstanen ass, dann gëtt eben Drock ausgeüübt aplaz e Kompromëss ze fannen.