SpanienWerden nun auch die Kanaren zum Gefängnis für tausende Migranten?

Spanien / Werden nun auch die Kanaren zum Gefängnis für tausende Migranten?
In der Militäreinrichtung Barranco Seco auf Gran Canaria sollen Migranten untergebracht werden  Foto: AP/dpa/Javier Bauluz

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Nahezu im Stundentakt landen die Boote auf den Kanaren: Allein im Oktober und November wurden dort mehr als 12.000 Flüchtlinge und Migranten registriert.

Zuweilen drängelten sich mehr als 2.000 Schutzsuchende gleichzeitig auf dem Kai des Hafens Arguineguin im Süden Gran Canarias. Dort müssen sie oftmals tagelang wie Vieh zusammengepfercht unter freiem Himmel ausharren, weil das Rote Kreuz und die Behörden mit der Erstversorgung überfordert sind.

Nach heftigem Protest der Inselbevölkerung und von Menschenrechtsgruppen gegen den „Hafen der Schande“ versprach Spaniens Regierung nun endlich Abhilfe: Migrationsminister José Luis Escriva sagte zu, bis Ende des Jahres 7.000 provisorische Notunterkünfte auf den Kanarischen Inseln zu schaffen. Sie sollen vor allem in leerstehenden Militärkasernen eingerichtet werden und den Ankommenden eine „würdige“ Unterbringung garantieren.

Eine der größten Aufnahmeeinrichtungen wird auf Teneriffa entstehen. Dort ist zum Beispiel in dem Ort El Rosario, nicht weit von der Inselhauptstadt Santa Cruz entfernt, ein riesiges Zeltcamp mit 1.500 Schlafplätzen geplant. Weitere Notlager sollen auf Gran Canaria und Fuerteventura installiert werden.

Doch eine andere Forderung schmetterte die spanische Regierung ab: Es werde keine Überführung der gestrandeten Migranten auf das Festland geben, signalisierte Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska. Stattdessen sollen die Migranten, die überwiegend als Wirtschaftsflüchtlinge gelten, auf den Inseln bleiben, bis über ihr Schicksal entschieden ist. Das diene auch der Abschreckung, ließ der Minister durchblicken. Es müsse vermieden werden, „dass sich Wege der illegalen Einreise nach Europa etablieren“.

Die meisten werden abgeschoben

Für viele Bootsmigranten könnten die Kanaren somit zur Endstation werden. Denn die meisten Ankommenden stammen derzeit aus Marokko und können nicht mit der Anerkennung als politische Flüchtlinge rechnen. Ihnen droht die Abschiebung. In Marokko wächst derzeit die Perspektivlosigkeit der jungen Bevölkerung, weil Corona die wirtschaftliche Dauerkrise vertiefte. Der Tourismus, die wichtigste Einnahmequelle, steht auch in dem nordafrikanischen Land still.

„Neun von zehn Menschen, die wir derzeit aufnehmen, werden in ihre Heimatländer zurückkehren müssen“, kündigte Migrationsminister Escriva an. Das ist leichter gesagt als getan. Mit Marokko und anderen westafrikanischen Herkunftsländern wie Senegal bestehen zwar Rückführungsabkommen. Wegen der Corona-Pandemie, die sich auch in Afrika ausbreitet, sind die Abschiebungen jedoch ausgesetzt. Escriva: „Die Grenzen sind wegen Covid geschlossen.“

Die Perspektive, dass Tausende Migranten, die nicht abgeschoben werden können, nun monatelang in Lagern festsitzen, heizt die sozialen Spannungen auf den Kanaren an. Die Situation erinnert zunehmend an die Krise auf der griechischen Insel Lesbos. Dort müssen Tausende Flüchtlinge und Migranten ebenfalls in Zeltlagern abwarten, bis über ihre Asylanträge entschieden ist.

„Wir werden nicht akzeptieren, dass sich die Kanaren in ein Gefängnis verwandeln“, sagt Luis Campos, Sprecher der einflussreichen Inselpartei „Nueva Canarias“. Der regionale Regierungschef der Inseln, der Sozialist Ángel Víctor Torres, unterstützt den Protest, der in der Bevölkerung immer lauter wird. Torres fordert, dass Brüssel eingreift: „Die EU hat die Pflicht, die Last der Migration solidarisch zu verteilen.“ Die Kanaren könnten diese Krise nicht alleine meistern.

Weniger Migranten unterwegs

Wegen der großen Anzahl von Migrantenankünften auf den Kanarischen Inseln – seit 2019 kamen schon mehr als 19.000 Menschen – ist Spanien in 2020 wieder zum Hotspot Südeuropas geworden. Nach der Statistik des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR landeten seit Januar insgesamt mehr als 34.000 Menschen in Booten an spanischen Küsten. In Italien, wo meist das vor Sizilien liegende Lampedusa angesteuert wird, wurden 32.000 Migranten registriert. In Griechenland sind es seit Jahresbeginn knapp 15.000.

Aber auch wenn sich auf den Kanarischen Inseln dieses Jahr die Ankünfte verzehnfachten: Unter dem Strich geht die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die übers Meer nach Südeuropa kommen, seit dem traurigen Rekordjahr 2015 kontinuierlich zurück. Die Migrationsrouten verschieben sich nur immer wieder – je nach Durchlässigkeit der Seegrenzen. Die EU-Kooperation mit den Transit- und Herkunftsländern scheint durchaus Erfolg zu haben.

Im Jahr 2015 hatte das UNHCR noch mehr als eine Million „Boatpeople“ in ganz Südeuropa registriert. In 2019 waren es nur noch 124.000. Bis Ende 2020 wird eine Gesamtzahl von annähernd 100.000 Bootsmigranten erwartet.