Zitterpartie um US-WahlenEU-Politiker zeigen sich diplomatisch in Abwartung der Resultate

Zitterpartie um US-Wahlen / EU-Politiker zeigen sich diplomatisch in Abwartung der Resultate
Solange nicht feststeht, wer in den kommenden vier Jahren im  Weißen Haus wohnt, wollen sich die meisten europäischen Politiker nicht zu voreiligen Reaktionen hinreißen lassen Foto: AFP

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Am Tag nach den US-Wahlen blickte ganz Europa nach Washington. Aufmerksam verfolgten die EU-Staaten die Stimmausgabe in Erwartung eines Resultats. Die meisten Politiker aber hielten sich zunächst zurück und reagierten überwiegend diplomatisch. Ob Trump oder Biden – wer auch immer als Sieger aus den Wahlen hervorgehe, man müsse mit den USA zusammenarbeiten. Stirnrunzeln rief indes Trumps Entscheidung hervor, sich frühzeitig zum Wahlsieger erklären zu lassen. Nur Sloweniens Premier stimmte zu. 

Großbritannien: Der Berserker im Weißen Haus

Der britische Premierminister Boris Johnson ging gleich auf Schmusekurs mit Donald Trump. Zu seinem Herausforderer hat er kaum eine Bindung. 
Der britische Premierminister Boris Johnson ging gleich auf Schmusekurs mit Donald Trump. Zu seinem Herausforderer hat er kaum eine Bindung.  Foto: AFP/Saul Loeb

In Großbritannien nutzte der Oppositionsführer die Fragestunde des Premierministers am Mittwochmittag zu einer klaren Distanzierung von Donald Trump. Präsidentschaftskandidaten hätten nicht das Recht, „zu entscheiden, welche Stimmen wichtig oder unwichtig sind“, sagte der Labour-Vorsitzende Keir Starmer in Anspielung auf die nächtlichen Äußerungen des Amtsinhabers. Boris Johnson entzog sich einer Stellungnahme: Die britische Regierung gebe zu den demokratischen Prozessen befreundeter Staaten „keinen Kommentar“ ab. Für den Konservativen stehe viel auf dem Spiel, analysierte Camilla Tominey im regierungsnahen Daily Telegraph: Zu sehr habe sich die Regierung auf die Umarmung des Berserkers im Weißen Haus eingelassen, ins demokratische Lager von Joe Biden gibt es kaum Kontakte.

Dass der zunächst unklare Wahlausgang den meisten Prognosen zuwiderlief, führte beim US-Korrespondenten des konservativen Magazins Spectator zu Selbstkritik: „Ganz Großbritannien, mich eingeschlossen, leidet an kollektivem Wahn“, glaubt Freddie Gray. Tatsächlich hatten selbst Tories wie der frühere Parteichef und Außenminister William Hague auf Bidens Wahlsieg gesetzt. Die katastrophalen Schnitzer der meisten Demoskopen riefen vielen politisch interessierten Briten jüngste Überraschungsvoten ins Gedächtnis, nicht zuletzt das Brexit-Referendum 2016, dessen Ausgang bis zum letzten Tag falsch vorhergesagt worden wurde. (Sebastian Borger, London)


Russland: „Einer so schlimm wie der andere“

Auch wenn sich Donald Trump in den letzten vier Jahren handzahm gegenüber Moskau gab, konnte der Kreml nichts Nennenswertes für sich herausschlagen
Auch wenn sich Donald Trump in den letzten vier Jahren handzahm gegenüber Moskau gab, konnte der Kreml nichts Nennenswertes für sich herausschlagen Foto: AP/Martin Meissner

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny konnte dem US-Wahlkrimi etwas Positives abgewinnen: „Nach dem Aufwachen wollte ich auf Twitter erfahren, wer gewonnen hat. Bisher ist nichts klar. So sehen richtige Wahlen aus“, spielte er auf seine Heimat an. Dort sind Wahlen meist eine langweilige Pflichtübung. Kreml-nahe Politiker blicken dementsprechend skeptisch auf den sich abzeichnenden knappen Ausgang in den USA. „Einer ist so schlimm wie der andere“, sagte der Duma-Politiker Sergej Mironow über die beiden Kandidaten. „Sowohl Trump als auch Biden werden leider ihre engen nationalen Interessen verfolgen.“

Diese pessimistische Haltung ist typisch für die offizielle russische Politik. Der bekannte Außenpolitiker Konstantin Kosatschow zeigte sich ebenfalls überzeugt, dass sich die russisch-amerikanischen Beziehungen auch künftig nicht verbessern werden – unabhängig davon, wer an die Macht kommt. Kosatschows Haltung illustriert die Enttäuschung Moskaus über den Amtsinhaber, der sich gegenüber dem Kreml zwar auffallend zahm gab, jedoch in puncto Abrüstung, Sanktionen oder Ukraine keine Entspannung brachte. Für den Kreml ist Trump ein schwer einschätzbarer Politiker, der viel versprochen, aber wenig gehalten hat – und im Konflikt mit den eigenen Institutionen meist unterlegen ist. (Jutta Sommerbauer, Moskau)


Spanien: Nur die Rechtspopulisten setzen auf Trump

Im Wachsmuseum von Madrid wird Donald Trumps ikonische Frisur fast täglich frisch gestylt. Ob bald auch Joe Biden dort Hof halten wird, wird sich in den kommenden Tagen erst erweisen. 
Im Wachsmuseum von Madrid wird Donald Trumps ikonische Frisur fast täglich frisch gestylt. Ob bald auch Joe Biden dort Hof halten wird, wird sich in den kommenden Tagen erst erweisen.  Foto: AP/Paul White

Donald Trump hat in Spanien wenig Verbündete: Nur die zunehmend rechtsextreme Partei Vox applaudiert dem Republikaner-Kandidaten. Für Vox-Chef Santiago Abascal, der Trumps nationalistische und rassistische Parolen teilweise wortwörtlich kopiert, geht es auch darum, ob sich mit diesem rechtspopulistischen Kurs Wahlen gewinnen lassen. Vox ist auch die einzige Stimme Spaniens, die dafür wirbt, Trump den Friedensnobelpreis zu verleihen.

Die große Mehrheit der Spanier rechnet unterdessen bei einem Sieg Trumps mit einer Vergrößerung des Grabens zwischen den USA und Europa. Eine Sorge, die Spaniens angesehener Ex-Außenminister José Manuel García-Margallo so ausdrückte: „Mit Trump gibt es mehr wirtschaftlichen Protektionismus, weniger Zusammenarbeit mit der EU und weniger Kampf gegen den Klimawandel.“ Spaniens Mitte-links-Regierung aus Sozialisten und dem Juniorpartner Podemos machte nie ein Geheimnis daraus, dass der moderate Demokrat Joe Biden und nicht der Rechtsrüpel Trump ihr Favorit ist. Außenministerin Arancha González Laya gab sich dennoch diplomatisch: „Wer auch immer der Sieger sein wird, unsere Verantwortung ist, mit ihm zusammenzuarbeiten.“ Zur Ankündigung Trumps, die Auszählung der Briefwahlstimmen wegen angeblichen Wahlbetrugs gerichtlich stoppen lassen, sagte González Laya: „Die USA sind eine starke Demokratie mit starken Institutionen. Wir müssen Vertrauen in diese Institutionen haben.“ (Ralph Schulze, Madrid)


France: Marine Le Pen confirme son support pour Trump 

Marine Le Pen rêve, pour l’élection présidentielle du printemps 2022, d’un „effet Trump“ en faveur de l’extrême droite populiste qu’elle-même incarne en France
Marine Le Pen rêve, pour l’élection présidentielle du printemps 2022, d’un „effet Trump“ en faveur de l’extrême droite populiste qu’elle-même incarne en France Photo: AP/Claude Paris

Trois sentiments dominent en France face au scrutin américain. D’abord la surprise devant la résistance des républicains en général, et de Donald Trump en particulier, compte tenu de ce qu’avaient laissé espérer les sondages. Et enfin, peut-être même surtout, l’inquiétude suscitée par les imprécations lancées dans la nuit par le président sortant, enjoignant que soit arrêté le décompte des suffrages là où ce dernier risquait de lui être défavorable, et proclamant sans plus attendre sa propre victoire en accusant son rival de vouloir „voler l’élection“ à coup de „fraudes“.

Ce discours quasi-putschiste fait craindre le pire à tous ceux qui, en dépit des errements de la présidence qui s’achève, veulent garder confiance en la démocratie américaine. C’est ce qu’écrit notamment, à gauche, le quotidien Libération, pour qui cette „déclaration de guerre de Donald Trump à la démocratie américaine a matérialisé dans la nuit le scénario du pire“. Seule ou presque à rompre le silence sur le sujet, Marine Le Pen, la présidente du Rassemblement national, a cependant déclaré de son côté qu’une victoire de Trump „serait meilleure pour la France“, et qu’un dirigeant „qui plaide pour le retour de la nation, du patriotisme, des frontières et de la souveraineté, va dans le sens de l’histoire“. (Bernard Brigouleix, Paris)


Slowenien: Jansa gratuliert voreilig

Noch am Wahlabend hat Donald Trump im East Room des Weißen Hauses den Sieg für sich beansprucht. Darüber freute sich Sloweniens Premier Janez Jansa.
Noch am Wahlabend hat Donald Trump im East Room des Weißen Hauses den Sieg für sich beansprucht. Darüber freute sich Sloweniens Premier Janez Jansa. Foto: AFP/Mandel Ngan

Noch bevor der Sieger des US-Präsidentenrennens feststeht, machte Sloweniens rechtspopulistischer Premier Janez Jansa aus seiner Freunde über den vermeintlichen Triumph des Gesinnungsgenossen keinen Hehl. Es sei „ziemlich klar, dass das amerikanische Volk Donald Trump und Mike Pence für vier weitere Jahre gewählt“ hätten, jubelte der Rechtsausleger per Twitter: „Je mehr Verzögerungen es gibt und je mehr Fakten von den Mainstreammedien negiert werden, desto größer der Triumph für den Präsidenten der Vereinigten Staaten.“ 

Auf Missfallen mit seinem frühen Gratulationsvorstoß stieß Jansa unter anderem im benachbarten Kroatien. Zuerst müsse man die Auszählung der Stimmen abwarten, ärgerte sich Kroatiens sozialdemokratischer Staatschef Zoran Milanovic: „Was Jansa gemacht hat, tut man nicht.“ Obwohl auch Serbiens nationalpopulistischer Präsident Aleksandar Vucic vor der Wahl aus seiner Hoffnung auf einen Sieg von Trump keinen Hehl gemacht hatte, gab sich Regierungschefin Ana Brnabic betont diplomatisch. Vucic habe eine „ausgezeichnete Kommunikation mit Trump“ und kenne „Biden persönlich“, versicherte die loyale Gefolgsfrau des Staatschefs. Wer auch immer von beiden die Wahl gewinnen sollte, sei „der Partner Serbiens“. (Thomas Roser, Belgrad)


Luxemburg: Kritik an verfrühter Siegesdeklaration

Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn ging gestern Nachmittag trotz der Rede von Donald Trump davon aus, dass alle Stimmen ausgezählt werden müssten. „Wir sind hier in einer Demokratie, nicht in einer Diktatur“, so Asselborn gegenüber den Medien. „Das ist doch das Normalste in der Welt, dass jede Stimme zählt, die abgegeben wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Präsident das einfach deklarieren kann.“

Er habe volles Vertrauen in den Rechtsstaat Amerikas und in die Institutionen, die diesen schützen. Trumps Aussagen kämen jedoch einem Staatsstreich gleich, betonte der Luxemburger Außenminister am Abend gegenüber den Kollegen von RTL. Kritik gab es allerdings auch für Sloweniens Premierminister Janez Jansa: Dessen Alleingang habe auf ganz Europa ein schlechtes Licht geworfen. Der slowenische Regierungschef hatte am Nachmittag als einziger führender Politiker Europas Trump zu seinem vermeintlichen Wahlsieg gratuliert. Und das obschon längst nicht alle Stimmen ausgezählt waren. (Red.)


Polen: Kaczynski-Partei hofft auf Trump-Sieg

Polen will nicht so recht wissen, was man von Biden erwarten kann. Präsident Obama hat in vielerlei Hinsichten kein Wort gehalten. Biden sei „unscharf“, kritisieren die Politiker der PiS.
Polen will nicht so recht wissen, was man von Biden erwarten kann. Präsident Obama hat in vielerlei Hinsichten kein Wort gehalten. Biden sei „unscharf“, kritisieren die Politiker der PiS. Foto: AFP/Win McNamee

Geteilt wie die polnische Gesellschaft sind auch die Meinungen über Trump und Biden. Die national-populistische PiS-Regierung hofft ganz offen auf einen erneuten Sieg Trumps, die liberale und linke Opposition liebäugelt dagegen mit Biden. Offiziell hält sich die Kaczynski-Regierung indessen zurück.

In regierungsnahen Medien wird seit ein paar Tagen sogar ein möglicher Wahlsieg Bidens in Betracht gezogen, im Außenministerium hieß es gestern, Polen könnte mit beiden Optionen gut leben. „Wir bleiben ruhig, egal wer die Wahl gewinnt“, meinte etwa Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk gegenüber den Medien. Im gleichen Atemzug aber klagte der PiS-Politiker über Bidens Unschärfe. Ins gleiche Horn blies Ex-Außenminister Witold Waszczykowski (PiS): „Es ist mit bloßem Auge erkennbar, dass Biden das Land nicht regieren wird, sondern nur für jemand anders diese Wahlen gewinnen will.“ Für wen, sei noch unklar.

Selbst regierungskritische Polen rechnen Trump hoch an, dass er als erster US-Präsident den Polen nicht nur visafreien Reiseverkehr in Aussicht gestellt hatte, sondern auch tatsächlich Wort hielt. Auch gefällt selbst der Opposition, dass unter Trump zusätzliche Tausende US-Soldaten nach Polen an die NATO-Ostflanke verlegt wurden. Viele Polen haben zudem Verwandte in den USA. (Paul Flückiger, Warschau)