Von heute auf morgen „vulnérable“„Auf einen Schlag älter“: Drei Seniorinnen erzählen, wie sie die heutige Zeit erleben

Von heute auf morgen „vulnérable“ / „Auf einen Schlag älter“: Drei Seniorinnen erzählen, wie sie die heutige Zeit erleben
Von heute auf morgen „vulnérable“: Charlotte Leider, Nicole Wolff und Margot Matiz (v.l.n.r.) Foto: Editpress/Anne Lommel

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Als sich im März das Leben rasend schnell veränderte, galten ältere Menschen von einem Moment auf den anderen als besonders gefährdet. Auch in diesen Tagen gilt die Annahme, dass die Krankheit bei Senioren öfters einen schwereren Verlauf nimmt. Das Tageblatt hat sich mit drei Seniorinnen darüber unterhalten, wie sie den Lockdown empfanden und wie sie ihren „neuen Alltag“ erleben.

Die drei Frauen kennen sich aus dem Senioren-Club „Uelzechtdall“ in Lorentzweiler. Die Jüngste im Bunde ist die 74-jährige Nicole Wolff. Während des Lockdowns hat sie „gefollegt“: Sie ist nicht mehr einkaufen gegangen und hat die meiste Zeit alleine zu Hause verbracht. „Da habe ich mich dann auch ‚vulnérable’ gefühlt“, erzählt sie. „Ich bin viel spazieren gegangen. Gott sei Dank hatten wir gutes Wetter.“

In ihrem Daheim hat sie sich wohlgefühlt, auch weil sie einen großen Garten hat. Einer ihrer Söhne oder eine Nachbarin hat die Einkäufe für sie erledigt. Morgens hat sie den Haushalt erledigt, anschließend einen Spaziergang gemacht, gelesen oder fern geschaut. Und viel telefoniert. „Eigentlich war es eine langweilige Zeit, doch ich habe sie innerlich gut überstanden“, blickt die 74-Jährige zurück. Ihre Urlaubsreisen mussten dieses Jahr ausfallen, stattdessen hat sie ihr Haus renoviert.

Nach den Wochen des Lockdowns hatte sie sich an ihren neuen Alltag gewöhnt. Als die Bestimmungen gelockert wurden, war es für sie nicht einfach, ihr Haus zu verlassen. „Ich hatte wirklich Schwierigkeiten, unter die Leute zu gehen.“ Anfang Juni hat sie von anderen Senioren gehört, die wieder selbst in den Supermarkt gingen. Da hat sie sich noch gedacht, dass es doch toll sei, alles nach Hause geliefert zu bekommen.

„Schlussendlich habe ich mich aufgerafft und jetzt lasse ich mich nicht mehr einsperren“, sagt Nicole entschlossen. Wir müssten schließlich alle mit dem Virus leben. Den nächsten Wochen sieht sie mit einem schlechten Bauchgefühl entgegen, da kein Ende in Sicht sei. „Es ist nicht die Angst, auf andere Menschen zu treffen. Außerdem habe ich so wenig Kontakte wie möglich. Doch niemand weiß, wo das hinführt.“

So normal wie möglich

Mittlerweile sieht sie ihre Enkelin von Zeit zu Zeit und versucht – mit den „gestes barrières“ – so normal wie möglich zu leben. Auch zu Konzerten geht sie, wenn sie die Möglichkeit dazu hat. „Das hat mir mit am meisten gefehlt.“ Im Restaurant essen möchte sie, solange es erlaubt ist. Etwas, das sie ebenfalls entbehren musste, war der Kontakt mit den anderen aus dem Senioren-Club „Uelzechtdall“. Sonst hat sie regelmäßig an Aktivitäten teilgenommen oder selbst geleitet und im Büro ausgeholfen.

Rückblickend ist der Lockdown nicht ganz ohne Folgen geblieben: „Ich fühlte mich auf einen Schlag älter“, sagt Nicole. Ähnlich empfinden dies auch Charlotte Leider (89) und Margot Matiz (82). Die vorher noch sehr aktiven Frauen, sei es beim Sitzturnen, bei der „Poterstonn“ oder beim Mittagstisch, mussten die Zeit in ihren eigenen vier Wänden verbringen.

„Ich spüre einfach eine gewisse Müdigkeit“, findet Nicole. „Ja, Müdigkeit ist das richtige Wort“, stimmt Charlottezu. Insgesamt beschreiben sie die derzeitige Situation als bedrückend. „Wenn ich mitbekomme, wie im Altersheim eine 92-jährige Frau weint, da sie ihre Kinder nicht sehen kann, dann tut das weh“, erzählt die 89-Jährige. In dem Sinne hätten sie Glück, dass sie selbstständig im eigenen Zuhause lebten, fügt Nicole hinzu.

Täglich wenigstens eine kleine Freude

Den sozialen Kontakt hat Charlotte am meisten vermisst. Die 89-Jährige lebt bei ihrer Tochter und hatte das Glück, jeden Tag spazieren gehen zu können. Sie habe jeden Tag eine Tour durch den „Bongert“ gemacht „Ich habe mich schon eingeschränkt gefühlt, da ich nicht konnte, wie ich wollte.“ Vor allem der Club „Uelzechtdall“ hat ihr unheimlich gefehlt. Die Mitglieder haben öfters miteinander telefoniert, doch das sei nicht dasselbe. Seit Januar ist sie in keinem Geschäft mehr gewesen.

Sie können sich nicht vorstellen, wie mir das geholfen hat, jeden Tag die Zeitung aus dem Briefkasten nehmen zu können

Margot Matiz

Die 82-jährige Margot aus Mersch hat die neue Situation zu Beginn als schwierig empfunden, doch Angst hatte sie keine. Ihre Tochter und ihr Enkel haben das Einkaufen übernommen. Besuch hatte sie in der Zeit nicht. „Ich wollte sie nicht krank machen und sie mich nicht.“ Ihr Garten hat ihr sehr dabei geholfen, die Zeit zu überstehen. 

Etwas Positives während der Zeit war für sie die Rätselseite im Tageblatt. „Sie können sich nicht vorstellen, wie mir das geholfen hat, jeden Tag die Zeitung aus dem Briefkasten nehmen zu können“, sagt Margot. So hatte sie wenigstens eine Konstante, auf die sie sich freuen konnte. Seitdem die Masken verteilt wurden, erledigt sie ihre Einkäufe wieder selbst. Meistens tut sie dies nach dem Mittagessen, wenn weniger Menschen in den Geschäften unterwegs sind. 

Schon ganz andere Sachen erlebt

Die drei Frauen können auf ein langes Leben zurückblicken und das Virus ist nicht die erste Krise, die sie überstehen mussten. So sieht es jedenfalls Margot. Sie erinnert sich an ein Gespräch mit einer Polizeipatrouille während des Lockdowns. Als sie vor ihrer Haustür gekehrt hatte, sind die beiden Beamten an ihr vorbeigefahren. „Sie haben mich gefragt, ob ich keine Angst vor einer Ansteckung hätte. Doch ich lebe alleine, bin vor dem Krieg geboren und habe schon so viel erlebt.“ Ihre Tante ist während des Zweiten Weltkrieges an Typhus gestorben und ihre Schwiegermutter hat eine Schwester durch die spanische Grippe verloren.

Obwohl sie selbst die letzten Monate zurückstecken mussten, können die drei Seniorinnen die jungen Menschen teilweise verstehen, wenn diese etwas leichtfertig mit der Situation umgehen, denn „sie wissen nicht, wie schlimm es ausgehen kann“. Die Älteste im Bunde, Charlotte, findet: „Wir haben das Leben so gut wie hinter uns. Doch die Kinder und jungen Menschen tun mir leid.“ Um diejenigen, die gerade mit der Schule fertig sind, macht sie sich besonders Gedanken. Sie hat einen Enkel, der jetzt eine Schreinerlehre machen sollte. „Doch wie geht es weiter?“, fragt sie sich. 

Die größte Angst der drei in dieser Zeit ist, dass sie die wiedergewonnene Normalität erneut verlieren. Oder wie Margot es ausdrückt: „Die Befürchtung, dass das bisschen, was wir an Freude wiederhaben, noch einmal genommen wird.“