Formel EMercedes-Teammanager Brice Bosi kommt aus Luxemburg

Formel E / Mercedes-Teammanager Brice Bosi kommt aus Luxemburg
Brice Bosi (Mitte, in Schwarz) feiert mit seinem Team den zweiten Platz von Stoffel Vandoorne beim Auftaktrennen in Diriyah (Saudi-Arabien) Foto: Mercedes-Benz EQ/LAT Images

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Im internationalen Motorsport ist Luxemburg nicht nur bei den Fahrern vertreten. In den Bereichen Strategie, Technik und Reifen sind auch einige Landsleute aktiv. Einer davon ist seit langen Jahren mit der Marke Mercedes-Benz eng verbunden. Nachdem die Stuttgarter Marke erfolgreich in der Formel 1, der GT-Szene und bis vor kurzem in der DTM aktiv war, ist sie letzte Saison auch in der elektrischen Formel E eingestiegen. In der Saison 2018/19 sammelte das Team HWA Racelab mit den Piloten Gary Paffett und Stoffel Vandoorne für Mercedes erste Formel-E-Erfahrungen. In der Saison 2019/20 ging dann das Team Mercedes-Benz EQ als offizielles Mercedes-Benz-Werksteam mit den Fahrern Stoffel Vandoorne und Nyck de Vries an den Start. Wir unterhielten uns mit dem luxemburgischen Teammanager dieser neuen Truppe: Brice Bosi.

Tageblatt: Brice, wann war eigentlich Ihr erster Kontakt zum Motorsport?

Brice Bosi: Meine ersten Gehversuche im Motorsport haben auf der Kartbahn in Monnerich stattgefunden, dies aber nur aus Spaß als kleiner Junge. Ernst wurde es als Fahrer erst ab 2001 mit internationalen Rennen im Kartsport und als Techniker dann ab 2007 in der DTM.

Man kann also behaupten, Sie haben Motorsport im Blut?

Definitiv ja! Neben Motorsport fließen durch meine Adern auch eine riesige Leidenschaft für Autos und die Liebe zur Technik.

Sind Sie in Sachen Motorsport erblich vorbelastet?

Das bin ich nicht. Keiner meiner Eltern hat Motorsport-technisch Karriere gemacht. Mein Vater ist zwar ein Enthusiast bezüglich Oldtimern, aber da ist der Anspruch ein komplett anderer. Meine Mutter hat keinen direkten Link zu Autos oder zum Motorsport und hat mich demnach eher mental unterstützt.

Sie sind selber Rennen gefahren. Bestreiten Sie heute auch noch Rennen?

Das stimmt, ich bin wie bereits erwähnt längere Zeit GoKart gefahren, habe die Formel Renault 2.0 in Frankreich gewonnen, ich bin FIA GT3 gefahren und zahlreiche 24-Stunden-Rennen im GT3-Fahrzeug, unter anderem auch auf der Nordschleife. Die Zahl meiner Renneinsätze als Fahrer hat sich drastisch reduziert, dies ist leider dem Mangel an Zeit geschuldet.

Sie haben bereits seit längerem eine berufliche Verbindung zu Mercedes. Wie kam es nun zu Ihrem jetzigen Job, Teammanager beim Mercedes-Benz-EQ-Formel-E-Team?

Das ist eine Verkettung positiver Umstände. Die Mercedes-Familie im Motorsport ist eine sehr eingeschworene Truppe, in der man sich kennt. Aufgrund dessen, dass sich über die Jahre eine recht große Vertrauensbeziehung aufgebaut hat, hat sich diese Option ergeben, wofür ich sehr dankbar bin.

Worin genau besteht Ihr Teammanager-Job und was ist die besondere Herausforderung für Sie?

Die Herausforderung besteht in der Vielfältigkeit meiner Aufgaben. Ich habe eine Vergangenheit als Fahrer, als Techniker, aber auch als Ingenieur und war im Management bei einem anderen Team involviert. Alle diese Attribute kommen mir in der jetzigen Rolle zugute. Ich bin das Kommunikationsmedium zum Veranstalter FEO (Formula E Organisation) und zur FIA (internationaler Dachverband des Automobils). Zudem kümmere ich mich sowohl um sportliche als auch technische sowie bürokratische Angelegenheiten, die allesamt eine neue und zumeist unerwartete Herausforderung darstellen.

Können Sie die leitenden Funktionen und die Arbeitsaufteilung beim Team kurz beschreiben?

Oberster Chef im Team ist Team Principal Ian James. Technischer Direktor ist Nick Chester. Project Leader Franco Chiocchetti kümmert sich vor allem um die Koordination innerhalb des Projekts. Wie bereits erwähnt, bin ich der Teammanager. Dann gibt es noch den Chief Engineer und den Chief Mechanic. Streckenseitig zählte unsere Formel-E-Mannschaft letzte Saison 42 Mitarbeiter (per Reglement von der FIA limitiert).

Mercedes dominiert die Formel 1 und hat beim letzten Formel-E-Rennen der Saison seinen ersten Sieg gefeiert. Gibt es einen regen Austausch zwischen den Formel-1- und Formel-E-Teams von Mercedes?

Die Fabrik, in der die Formel-E- und Formel-1-Motoren gebaut werden, ist die gleiche. Man profitiert natürlich vom Know-how der Formel-1-Truppe, aber die Grundphilosophie der Formel E ist dann doch eine komplett andere und somit quasi nicht zu vergleichen.

Was ist an der Formel E anders als bei „üblichen“ Rennserien?

Allem voran ist die Formel E die bislang erste Rennserie, die mit rein elektrischen Formel-Autos Rennen bestreitet. Nebst der technischen Herausforderung ist das Format sehr interessant: Alle Strecken befinden sich inmitten von weltweit bekannten Metropolen. Die Formel E gastiert somit nie an permanenten Rennstrecken, sondern es werden jedes Mal eigens für das Event neue Strecken temporär errichtet. Die Formel E bringt das Renngeschehen zum Zuschauer. Zudem passiert an einem normalen Rennwochenende alles an einem Tag. Morgens werden die Trainings gefahren, mittags das Qualifying und nachmittags das Rennen. Die Fahrer und Teams haben somit sehr wenig Zeit, um sich auf die Strecke einzustellen und alles muss von Anfang an „sitzen“.

Kann man also sagen, dass die Formel E viel stressiger ist als andere Serien, da wie eben gesagt Training, Qualifying und Rennen an einem einzigen Tag stattfinden?

„Stressig“ ist ein vielfältiger Begriff. Es ist eine besondere Herausforderung und der Renntag ist sehr intensiv, das stimmt.

Betrachten Sie die Formel E als ökologischer als die traditionellen Motorsportserien?

Die Zahlen sprechen für sich, an einem Rennwochenende wird kein einziges Gramm CO2 von einem Formel-E Fahrzeug in die Luft geblasen.

Bei Mercedes-Benz gibt es zwei ausgezeichnete Fahrer aus unseren Nachbarländern: der Formel-1-erfahrene Stoffel Vandoorne und das Jungtalent Nyck de Vries. Was können Sie uns zu den beiden sagen?

Beide sind sehr talentierte, ehrgeizige, fleißige und fokussiert arbeitende Sportsmänner, die beide auf ihre Weise ein „Plus“ ins Team bringen. Stoffel mit seiner Erfahrung und Routine aus der Formel 1, Nyck mit seiner etwas wilderen Art und seinem unermesslichen Willen, nach vorne zu kommen.

Was fehlt der Formel E noch, um an den Bekanntheitsgrad der Formel 1 heranzukommen?

Die Formel 1 hat mittlerweile über 1.000 Grand-Prix in ihrem Portfolio in ihrem 70-jährigen Bestehen. Die Formel E gibt es erst seit 2014: Ich denke nicht, dass man jemals Parallelen zwischen beiden Serien ziehen kann. Die Formel E wird ihre eigene Geschichte schreiben, alle Zutaten dafür sind definitiv vorhanden.

In der Formel E treten alle mit dem gleichen, von Dallara gebauten Auto (Chassis) an. Wodurch kann sich ein Team (Hersteller) von den anderen abheben?

Technisch kann sich ein Team mit einem effizienteren und sparsameren Antrieb abheben. Da quasi der komplette Hinterwagen eine Eigenkonstruktion der Teams ist, ist es möglich, das Gewicht, die Gewichtsverteilung, die Fahrbarkeit des Autos, den Umgang des Autos mit den Reifen, die Einstellmöglichkeiten etc. zu beeinflussen. Dazu kommen die Strategieeffizienz und das fehlerfreie Arbeiten des Teams.

Ihre erste Saison in der Formel E war sicherlich, Corona-bedingt, sehr speziell. Wie sehen Sie Ihrem zweiten Jahr bei Mercedes-Benz EQ entgegen und wie sehen die nächsten Monate aus bis zum ersten Rennen am 16. Januar 2021 in Chile?

Mein erstes Formel-E-Rennen habe ich 2019 in Hongkong besucht. Damals war das Team im „HWA Racelab“-Gewand. Das erste Jahr für Mercedes in der Formel E war in der Tat Corona-bedingt sehr speziell, obwohl es bis zum Abbruch in Marrakesch sehr vielversprechend ausgesehen hat. Wir haben im ersten Jahr die eigenen Erwartungen übertroffen, somit sehe ich dem zweiten Jahr sehr positiv entgegen (Stoffel Vandoorne wurde 2. der Gesamtwertung; d.Red.). In den kommenden Wochen und Monaten steht viel Entwicklungs- und Testarbeit an. Das neue Auto wird gebaut und muss rechtzeitig vor dem Saisonbeginn einsatzbereit sein. Das ist das übliche „Rennen vor dem Rennen“.

Hier und da hört man in Luxemburg Gerüchte um einen E-Prix von Luxemburg. Ist dies auch schon bis zu Ihnen vorgedrungen?

Leider nein.

Mercedes-Formationsflug: Doppelsieg beim letzten Rennen in Berlin – Routinier Stoffel Vandoorne vor Jungtalent Nyck de Vries
Mercedes-Formationsflug: Doppelsieg beim letzten Rennen in Berlin – Routinier Stoffel Vandoorne vor Jungtalent Nyck de Vries Foto: Mercedes-Benz EQ/LAT Images

Steckbrief

Geboren am 15.5.86 in Luxemburg.
Lebt in Luxemburg.
Aktueller Job: Teammanager beim Mercedes-Benz EQ Team
Hobbys: Autos, Sport, Extremsportarten
Familienstand: ledig
Lieblingsrennsportevent: Alle
Größter motorsportlicher Erfolg: Doppelsieg bei der Formel E in Berlin dieses Jahr