FußballEin neuer Thill in Russland: Gespräch über Tambow, Karapetian und Cappuccino

Fußball / Ein neuer Thill in Russland: Gespräch über Tambow, Karapetian und Cappuccino
Der ehemalige Kapitän des Progrès Niederkorn hat sich schnell an das neue Umfeld angepasst Archivbild: Gerry Schmit

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Sébastien Thill ist in Russland angekommen. Mit seiner Vorlage beim Debüt für PFK Tambow hat er  sich am vergangenen Wochenende nach vier langen Wochen zurückgemeldet. Wie die ersten Tage in der neuen Heimat verlaufen sind, was Aleksander Karapetian so treibt und was man überhaupt alles erledigen muss, bevor man den Schritt ins Profilager schaffen kann, erzählte der 26-Jährige im Gespräch mit dem Tageblatt.

Donnerstagmorgen. Sébastien Thill hat die ersten 81 russischen Pokalminuten seiner Karriere in den Knochen. Ein gutes Gefühl, nach vier langen Wochen, in denen er sich in Geduld üben musste: „Bislang sind alle zufrieden mit mir, denn sie wissen auch, dass ich noch nicht wieder bei hundert Prozent bin. Gestern stand ich zum ersten Mal nach zwei Monaten wieder in der Startelf.“ Dabei hatte der 26-Jährige seinen Vertrag beim PFK Tambow bereits im September unterschrieben. Doch die Pandemie und Papierkram bremsten den Spieler aus. „Einreisen darf man wegen Corona nur noch mit einem Arbeitsvertrag. Das hat aber einen Monat gedauert, bis ich den bekommen habe. Ich habe auf die Einladung des Vereins warten müssen …“ 

Um die vier Wochen zu überbrücken, trainierte er noch in Niederkorn. Doch aufgrund der englischen Wochen in der BGL Ligue waren gemeinsame Mannschaftstrainingseinheiten die Ausnahme. Mitte Oktober brach er zum neuen Klub auf – und musste weiter abwarten: „Ich habe die ersten vier Tage nicht mittrainiert, da das Team nicht in Tambow, sondern in Saransk lebt. Es gab noch Papiere zu unterschreiben und ich musste mich dem Medizincheck unterziehen. Danach bin ich erst weitergefahren.“ Saransk und Tambow trennen fünf Stunden. „Ich bin erst freitags zum Verein gestoßen und hatte exakt eine Woche vor dem ersten Spiel.“

Standards und gute Bälle

Beim ersten offiziellen Auftritt lief es dagegen wie am Schnürchen. Thill legte nach seiner Einwechslung zum 2:0 auf. „Besser hätte es nicht laufen können“, fasste der offensive Mittelfeldspieler zufrieden zusammen und erklärte, dass sich dieses Spiel wohl auf ewig einprägen werde. Am Mittwoch stand er in der zweiten Runde des Pokals (beim 2:0 gegen Dinamo Bryansk) in der Startelf. Seine Qualitäten bei den ruhenden Bällen sind dem Coach nicht entgangen: „Ich habe fast alle Standards geschossen“, erklärte Thill. „Ich soll die guten Bälle nach vorne bringen. Wir spielen in einem 5-3-2-System, bei dem die Mittelfeldspieler sehr viel Laufarbeit erledigen müssen. Daran muss ich mich noch gewöhnen.“

Sébastien Thill begann seine Profikarriere mit einer Vorlage 
Sébastien Thill begann seine Profikarriere mit einer Vorlage  Screenshot: Sébastien Thill/Instagram

Auch auf die Härte auf dem Platz – „es ist alles physischer, schneller und der Rhythmus ist höher“ – muss sich Sébastien Thill jetzt erst einmal einstellen. Auf die Frage, was der Verein von einem Spieler fordert, der bislang ausschließlich in der BGL Ligue im Einsatz war, meinte er: „Sie erwarten sich, dass ich so bin wie alle anderen. Ich bin jetzt Profi und muss alles für meinen Verein geben.“ Dafür will er auch an seiner Athletik arbeiten, wie er hinzufügte. Das alles, damit es auch im November für eine Berufung in die Nationalmannschaft reicht. Das ist neben viel Spielpraxis in der Premier League nämlich sein zweites persönliches Ziel: „Auch in Luxemburg habe ich meine Leistung gebracht und gezeigt, dass ich es dorthin schaffen will. Ich bin jetzt Profi, aber noch immer der gleiche Fußballer.“ 

Kein Bruder-Duell

Die beiden Thills werden nicht in der Premier League aufeinandertreffen: Am Tag, als Sébastien erstmals für Tambow im Einsatz war, wurde der Vertrag von Olivier in Ufa aufgelöst. „Es wäre toll gewesen, aber das kann man sich ja nicht aussuchen. Ich bin ja auch nicht seinetwegen hierhergewechselt“, sagte der älteste der Brüder mit einem Lachen. Aleksandre Karapetian fügte hinzu: „Ich bin traurig für Oli. Ufa spielt noch defensiver als wir. Er konnte seine Qualitäten dort nicht wirklich ausspielen.“
Angesprochen auf das System und die Ziele des PFK Tambow, erklärte der Armenier: „Unser Ziel ist, nicht abzusteigen. Wir haben das beste Kollektiv der Liga, Sébastien passt hier sehr gut rein. Ich habe den Coach zwar schon angesprochen, aber er hält an seinem 5-3-2-System fest. Ich liebe es ja, vorne rumzuspielen, aber ich muss hier defensiv sehr viel aushelfen. In Niederkorn hätte mich niemand im eigenen Sechzehner gesehen, hier schon …“

Eine „Auszeit“ vom Job

Mit 26 hat Sébastien Thill den Schritt ins Profilager gewagt. Der erste Weg führte ihn im September ins Büro seiner Vorgesetzten bei der Differdinger Gemeinde: „Als Tambow sich immer stärker für mich interessierte, habe ich mich auf der Arbeit erkundigt, ob es möglich wäre, einen ’congé sans solde’ für diese sieben Monate zu beantragen. Das wurde mir dann auch genehmigt.“ Zwar hatte der Kreativspieler immer wieder auf Angebote aus dem Ausland gehofft, doch der russische Erstligist war der erste Verein, der tatsächlich Konsequenz und Einsatz bewiesen hat: „Es war das erste Mal, dass ich tatsächlich einen Vertrag vorliegen hatte. Lange überlegt habe ich danach eigentlich nicht.“ Nachdem seine Freundin, Basketballspielerin Billie Schulté, und die Familie ihm ihre volle Unterstützung genehmigt hatten, war für „Cba“ alles schnell geregelt: „Mir war wichtig, dass die Sache mit der Arbeit geklärt war und ich meinen Job nicht verlieren würde. Aber mir war gleich klar, dass ich es versuchen würde.“

„Ohne ’Kara’ wäre ich nicht hier“

Aleksandre Karapetian will nach seiner Spielerkarriere ins Berater-Business einsteigen. Die Leidenschaft dafür entdeckte er in den letzten Wochen, als der Tambow-Stürmer trotz Länderspielstress die Fäden beim Thill-Transfer zog. „Wir haben einen Spielmacher gebraucht, der mich mit Bällen füttert. Ich habe gleich an unsere Saison in Niederkorn gedacht, als ich 29 Tore gemacht habe. Der Sportdirektor hat mir blind vertraut.“ Karapetian fügte hinzu: „Ich habe den kompletten Wechsel geleitet. Es gab keine Gespräche zwischen Niederkorn und Tambow, sondern alles lief über mich“ – und den ehemaligen COSL-Präsidenten Marc Theisen, der das Niederkorner Duo bei der Vermittlung unterstützte.  
Obschon sich der 32-Jährige am Samstag verletzte (Muskelfaserriss) – und ihn der ehemalige Niederkorner Kollege auf dem Platz ersetzte –, ist sich „Kara“ sicher: „Unsere Automatismen werden schnell wieder da sein. Er hat im Pokal 80 Minuten gespielt, es war nach den langen Wochen ohne Spiel fast wieder der alte Séba. Wenn er so weiterspielt, werden sie die Kaufoption ziehen.“ 
Am guten Verhältnis zwischen den beiden Profis hat sich nichts geändert. Thill weiß ganz genau, wem er die Chance zu verdanken hat: „Ohne ’Kara’ wäre ich nicht hier.“ Und auch der kleine Bruder scheint in Russland ein gutes Wort eingelegt zu haben. „Unser Trainer hat sich nämlich beim Spiel gegen Ufa bei Oli erkundigt. Dass man ihn kennt, hat bestimmt auch zu der Entscheidung beigetragen, mich zu verpflichten.“ 

Der ehemalige Niederkorner Aleksandre Karapetian (r.) fädelte den Transfer ein
Der ehemalige Niederkorner Aleksandre Karapetian (r.) fädelte den Transfer ein Screenshot: Sébastien Thill/Instagram

Keine Sprachbarriere

Die Umstellung bei der Sprache sieht der älteste der vier Thill-Brüder nicht als größeres Problem. Mit Bruder Olivier hat er zudem das beste Vorbild: Der 23-Jährige spricht inzwischen fließend Russisch. Sébastien hingegen gab zu, sich noch nicht allzu sehr mit den neuen Vokabeln befasst zu haben. „Meine Mitspieler helfen mir sehr. Einer spricht perfekt Englisch, vier oder fünf können sich irgendwie verständigen. Alle, die nur Russisch sprechen, versuchen trotzdem, zu kommunizieren, auch mit den Händen.“ Und da wäre ja noch „Kara“, der nach seiner Verletzungspause wieder als Dolmetscher dienen kann. „’Séba’ hat die wichtigsten Wörter schon gelernt“, versicherte der armenische Stürmer, der sich davon bereits ein Bild beim gemeinsamen Cappuccino gemacht hat: „Hier wird nämlich kein Bier getrunken, wie in Niederkorn“, meinte er abschließend mit einem herzhaften Lachen.

Steckbrief

Sébastien Thill
Geboren am 29. Dezember 1993
Position: Offensives Mittelfeld
Bisherige Vereine: Niederkorn (Jugend), CS Petingen, Niederkorn, seit dem 5. September beim PFK Tambow (RUS)
Nationalmannschaft: 9 Spiele, 1 Tor

Die Familienbande: Olivier, Sébastien und Vincent (v.l.) mit Nesthäkchen Marek <br />
Die Familienbande: Olivier, Sébastien und Vincent (v.l.) mit Nesthäkchen Marek 
 Archivbild: Gerry Schmit