GroßbritannienKrise der BBC: Premier Johnson setzt den berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sender der Welt unter Druck

Großbritannien / Krise der BBC: Premier Johnson setzt den berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sender der Welt unter Druck
Johnson und seine Regierung haben es auf die BBC abgesehen Foto: AFP/Justin Tallis

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Mit verschiedensten Angriffen und dem Versuch, Vertraute an die Spitze der BBC zu setzen, setzt der britische Premier Johnson den berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sender der Welt unter Druck. 

Der Titel der jüngsten Sitzung des Medienausschusses im Londoner Unterhaus klang nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Denkwürdig blieb der Auftritt von Chairman David Clementi und Intendant Tim Davie zur „Arbeit der BBC“ allemal. Diesmal wurden ausnahmsweise nicht wie sonst die Anwesenden verbal abgewatscht; der vernichtende Angriff des Ausschussvorsitzenden Julian Knight galt vielmehr dem Kandidaten für die Nachfolge von Clementi, dessen Amtszeit demnächst endet.

Wenige Tage zuvor hatte die wohl informierte Sunday Times gemeldet, Premierminister Boris Johnson wolle seinen früheren Chef Charles Moore zum BBC-Chairman machen. Dieser steht dem 14-köpfigen Rundfunkrat vor und führt damit die Aufsicht über den Intendanten. Dass da allen Ernstes jemand Chairman und damit oberster Repräsentant des berühmtesten öffentlich-rechtlichen Senders der Welt werden solle, der wegen Verweigerung der Rundfunkgebühr einen Strafbefehl erhalten hatte, sei ja „völlig undenkbar“, empörte sich Knight: „Das ist, als würde man einen Betrüger zum Bankdirektor machen“.

Natürlich vermied der Konservative jegliche Namensnennung, und natürlich wusste dennoch jeder, wer gemeint war. Denn der 63-jährige Moore hat in der Zeit als Chefredakteur des Daily Telegraph und in seinen Kolumnen fürs Magazin Spectator aus seiner Verachtung für die BBC kein Hehl gemacht, im Gegenteil: Stolz berichtete er vor Jahren von seinem Boykott der obligatorischen Rundfunkgebühr und dem daraus entstandenen Strafverfahren. Immer wieder provozierte er auch durch rassistische und frauenfeindliche Bemerkungen. Der Sturm der Entrüstung zeigte rasch Wirkung: Kleinlaut ließ Moore mitteilen, er stehe für den Posten nicht zur Verfügung.

Kurzzeitiges Aufatmen

Das ließ Verteidiger des Senders aufatmen, wenn auch nur kurzzeitig. Denn an der dauerhaften Feindseligkeit des populistischen Premierministers und seiner engsten Crew besteht kein Zweifel. Medienprofessorin Jean Seaton von der Uni Westminster grub kürzlich einen Blog von Johnsons Chefberater Dominic Cummings aus dem Jahre 2004 aus: Schon damals wurde „die Unterminierung der Glaubwürdigkeit der BBC“ als strategisches Ziel ausgegeben. Nach dem klaren Wahlsieg im vergangenen Dezember verfügte Cummings einen Boykott des Senders. Erst die Coronapandemie führte zu einer eiligen Kehrtwende, seither zieren Kabinettsmitglieder wieder sämtliche Nachrichtensendungen des britischen Aushängeschildes. Dass Johnson nun Moore das Jobangebot machte, „verstößt gegen alle Regeln“, sagt die Autorin eines Buches über die BBC in den 1970er und 1980er Jahren (siehe Interview).

Die Anstalt musste in ihrer 98-jährigen Geschichte schon mancherlei Einflussnahme durch die Regierung hinnehmen. Premierministerin Margaret Thatcher entsandte 1986 einen Vertrauten auf den Posten des Chairmans; binnen weniger Monate war der Intendant gefeuert. Alastair Campbell, legendärer Spindoktor des Labour-Premiers Tony Blair, bezeichnete seinen Lieblingsfeind einmal als „heruntergekommenes, überbesetztes, hoch bürokratisches, lächerliches Unternehmen“.

Dabei stellt die erstmals 1927 für zehn Jahre ausgestellte königliche Charta den Sender ausdrücklich jenseits direkten politischen Einflusses. Zwar wurde die BBC schnell Teil des britischen Establishments, ein mehr oder weniger gutes Einvernehmen mit der jeweiligen Regierung gehört zu den Aufgaben des Managements. Dafür ist dem Sender ein Parteienproporz bis hinunter zu politischen Reportern wie in Deutschland oder Österreich erspart geblieben. Und dauernd liegen die Verantwortlichen mit Parteien, Verbänden und Einflussgruppen im Clinch. Vielleicht auch deshalb nennen die Briten bis heute die BBC in allen Umfragen als verlässlichste Informationsquelle, weit vor allen anderen Medien, geschweige denn vor Regierung oder Parlament.

Tierfilme als Teilrettung

Mag der Streit mit Londoner Politikern noch beizulegen sein – im Zeitalter von Mediengiganten wie Amazon und Netflix werden die strukturellen Probleme der BBC von Tag zu Tag größer. Einstweilen finanziert sich der Sender überwiegend durch die jährliche Rundfunk-Gebühr von derzeit 157,50 Pfund (173,97 Euro) pro Haushalt. Hinzu kommen Einnahmen aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Bodyguard“ oder David Attenboroughs „One Planet“, zuletzt immerhin ein Viertel des Gesamtbudgets von 5,4 Milliarden Euro.

Dass der frischgebackene Intendant Davie zuvor dem Kommerzarm BBC Studios vorstand, ist gewiss kein Zufall. Ausdrücklich hat der 53-Jährige in ersten Stellungnahmen auf die weltweite Bedeutung des Senders hingewiesen; mit der Rundfunkgebühr dürfe man jenseits der derzeitigen Charta-Phase bis 2027 nicht unbedingt rechnen, jedenfalls nicht in bisheriger Höhe. Deshalb müsse manch liebgewordener Programmbereich gestrichen oder verkleinert werden. Seinen Stars verordnet Davie neue Richtlinien für deren Auftritte in Netzwerken wie Twitter oder Facebook: Gerade in Zeiten von Fake News müsse die BBC für unbestechliche Unabhängigkeit und Objektivität stehen. Auch müsse die BBC stärker als bisher „das ganze Land repräsentieren“. Unter Insidern gilt dies als Chiffre nicht zuletzt dafür, dass man im öffentlich-rechtlichen Sender die wachsende Feindseligkeit gegenüber der EU allzu lang übersah.