KlimawandelNur nachhaltiger Industriewandel reduziert CO2-Ausstoß

Klimawandel / Nur nachhaltiger Industriewandel reduziert CO2-Ausstoß
Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des PIK und Co-Autor der aktuellen Studie Archivbild: Editpress/Alain Rischard

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Eine internationale Studie zeigte dieser Tage, dass im ersten Halbjahr 2020 der CO2-Ausstoß aufgrund der Covid-19-Pandemie und des damit verbundenen weitreichenden Lockdowns gegenüber den Vorjahreswerten stark gesunken ist. Die Wissenschaftler betonen jedoch, dass dies nur ein temporärer Effekt war. Eine wirksame Eindämmung der Kohlendioxidemissionen kann nur mit einem nachhaltigen strukturellen Wandel von Industrie und Wirtschaft erzielt werden.

Bis zu 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, so erklärt eine aktuelle Studie, sind im ersten Halbjahr die Kohlendioxidemissionen gesunken. Dies entspricht einer Menge von etwa 1,551 Milliarden Tonnen CO2. Die internationale Studie, die unter Federführung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) durchgeführt wurde, basiert auf einer weltweiten Echtzeitbeobachtung der Kohlendioxidemissionen, wie sie von Industrie, Energiewirtschaft, Transport und Privathaushalten hervorgerufen werden. Unter dem Einfluss der Covid-19-Pandemie mit einem Herunterfahren nicht nur des gesellschaftlichen Lebens, sondern vor allem auch einem Lockdown der internationalen Wirtschaft und des Verkehrs war der Kohlendioxidausstoß deutlicher gesunken als zu Zeiten wirtschaftlicher Krisen wie den Ölkrisen 1973 und 1979, der Finanzkrise 2008/09 oder des gesamten Zweiten Weltkriegs, so die Forscher. Allerdings, so räumten sie in der jüngst in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Studie ein, sei die Emissionssenkung nur von kurzzeitigem Effekt gewesen. Um eine weltweite Klimaerwärmung nachhaltig zu verhindern, sei ein wirklicher Umbau von Wirtschaft und Industrie erforderlich. Wo hierbei anzusetzen sei, stellten die Wissenschaftler in ihrem Dokument dar.

Echtzeitstudie ermöglicht genaues Bild

„Was unsere Studie einzigartig macht, sind die akribisch, nahezu in Echtzeit gemessenen Daten“, erklärt Hauptautor Zhu Liu vom Department of Earth System Science an der Tsinghua-Universität in Peking. „Durch die Berücksichtigung täglicher Zahlen, die die Forschungsinitiative Carbon Monitor gesammelt hat, konnten wir uns einen viel schnelleren und präziseren Überblick verschaffen – einschließlich Zeitreihen, die zeigen, wie der Emissionsrückgang mit den Lockdowns einzelner Länder korrespondiert hat. Im April, auf dem Höhepunkt der ersten Welle, als die meisten Länder ihr öffentliches Leben erheblich zurückfuhren, gingen die Emissionen sogar um 16,9 Prozent zurück. Insgesamt führten die verschiedenen Ausbrüche zu Emissionssenkungen, die wir normalerweise nur kurzfristig an Feiertagen wie Weihnachten oder dem chinesischen Frühlingsfest erleben.“

Carbon Monitor veröffentlichte dabei nicht nur Zahlen der weltweiten Emissionen, sondern vor allem auch Zeitreihen, wie sich der Ausstoß giftiger Klimagase in Abhängigkeit vom Corona-Lockdown verhielt. So fuhr China bereits Ende März 2020 die Produktion wieder an und erreichte beim CO2-Ausstoß nicht nur das Vor-Corona-Niveau, sondern steigerte sogar seine Emissionszahlen. Anders verhielt es sich in westeuropäischen Industriestaaten oder in den USA. Hier hielten die Rückgänge der Treibhausgasemissionen auch nach dem verordneten Lockdown – der in den meisten Industriestaaten von März bis Mai zu verzeichnen war – an. Es hatte sich etwas verändert in der Arbeitswelt, hier konnte vielleicht ein Ansatz für eine Umstrukturierung der Wirtschaft gesehen werden.

Größte Reduktion im Transport

„Den größten Rückgang der CO2-Emissionen beobachteten wir im Transportwesen“, erklärte Daniel Kammen, Wissenschaftler für erneuerbare Energien und Professor an der University of California in Berkeley. Vor allem im Landtransport habe man drastische Reduzierungen feststellen können, so der Co-Autor der PIK-Studie. Die Daten waren bei Messungen des Fahrzeugverkehrs in 416 Städten weltweit erhoben worden. Der Landtransport, der immerhin einen Anteil von 18 Prozent der Gesamtemissionen produziert, verringerte seinen Schadstoffausstoß um 18,6 Prozent. Insgesamt, so Kammen, reduzierte sich der CO2-Ausstoß im ersten Halbjahr um etwa 40 Prozent. Daten, die zum Nachdenken über eine Veränderung von Produktion und Distribution anregen sollten. So appellierte der kalifornische Klimaforscher unter anderem, das Konzept der Heimarbeit neu zu überdenken. „In vielen Fällen hat sich das Home-Office bewährt und man sollte anregen, dies auch nach der Pandemie erfolgreich weiterzuführen“, so Kammen.

Umfassende strukturelle Änderungen gefordert

So überraschend die Daten der CO2-Reduktion im ersten Halbjahr auch waren, verzeichneten die Wissenschaftler nach dem Ende der ersten kritischen Corona-Phase auch erhebliche Rebound-Effekte: Vor allem in China, Indien und Brasilien stiegen die Ausstoßwerte wieder deutlich an. Für Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des PIK und Co-Autor der aktuellen Studie, kann die Schlussfolgerung daraus nur sein, dass die effektive Strategie zur Stabilisierung des Klimas einzig eine Transformation des Industrie- und Handelssektors sein kann. „Dieser CO2-Rückgang ist zwar beispiellos, doch ein Rückgang menschlicher Aktivitäten kann nicht die Antwort sein“, so Schellnhuber.

Denn selbst, wenn die Emissionsraten auf dem historisch tiefen Level des ersten Halbjahres 2020 verharren würden, hätte dies langfristig keine hinreichenden Auswirkungen auf die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre und damit auf die stete Erderwärmung. So sehr individuelle Verhalten zugunsten einer Emissionsreduktion – weniger Reisen, weniger Flugverkehr, geringerer Ressourcenverbrauch – zu begrüßen sind, seien auf Dauer die gesteckten Klimaziele nur mit einer umfassenden strukturellen Veränderung in den Energieproduktions- und -verbrauchssystemen zu erreichen. Dazu gehören unbedingt ein Ausstieg aus der Kohle und der fossilen Brennstoffindustrie, um die CO2-Intensität der globalen Wirtschaft zu reduzieren, so Schellnhuber.