ParlamentDebatte um Erklärung zur Lage der Nation: klare Fronten, aber kaum Neues

Parlament / Debatte um Erklärung zur Lage der Nation: klare Fronten, aber kaum Neues
Im Namen seiner Partei sagte Gilles Roth, dass die CSV gegen eine Erbschaftssteuer in direkter Linie sei Foto: Editpress/Alain Rischard

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Steuergerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Klimaschutz und die angespannte Lage am Wohnungsmarkt prägten die Debatten zur Erklärung zur Lage der Nation im Plenum gestern. Die Abgeordneten sollten sich mit Teilaspekten der Regierungspolitik beschäftigen, nachdem ihre jeweiligen Fraktionschefs am Vortag die allgemeine Einschätzung ihrer Partei geliefert hatten. Dabei wurde die Parlamentsbühne allzu oft zur Wiederholung bekannter Positionen benutzt.

Sven Clement von der Piratenpartei war die undankbare Rolle zugefallen, zu früher Stunde vor einem quasi leeren Plenum anzutreten. Das Parlament hatte sichtlich Probleme, in die Gänge zukommen, während die Regierungsbank durch Premierminister Xavier Bettel (DP) und Vizepremierminister Dan Kersch (LSAP) gleich von Beginn an besetzt war.

Clement setzte den Schwerpunkt seiner Rede auf soziale Ungerechtigkeiten. Er plädierte für mehr Solidarität statt Ausgrenzung und bedauerte, dass Bettel keine größeren Projekte dazu angekündigt habe. Das aktuelle Sozialsystem erhalten bedeute, auch die Ungerechtigkeiten zu erhalten. Angesichts der Covid-, Klima-, Wohnungs- und Sozialkrise seien jedoch wirksame Umverteilungsmechanismen notwendig. Eine Steuerreform werde jetzt gebraucht. 

8.000 Euro Prämie auch für superteures E-Auto

Der Abgeordnete stellte das aktuelle Prämiensystem beim Erwerb von E-Rädern und E-Autos infrage. Es sei ein Hohn, dass die Allgemeinheit den Luxus von Personen finanziere, die sich ohne staatliche Prämie einen Zweit- und Drittwagen leisten könnten. Die Maßnahme sollte überdacht und nach Einkommen gestaffelt werden. Auch sollte eine Preisobergrenze festgelegt werden. Selektivität sollte wenig später auch Gilles Roth (CSV) fordern. Warum sollte jemand mit einem 180.000 teuren E-Porsche noch eine Prämie von 8.000 Euro bekommen? Oder die Familie,  die sich gleich vier E-Bikes für 15.000 Euro anschafft, bezuschusst werden, fragte er.

Luxemburgs Problem Nummer 1 – der Wohnungsnotstand – sollte fast sämtliche Redner beschäftigen. Pro Jahr würden im Schnitt 275 Sozialwohnungen gebaut, rechnete Clement vor. Das reiche längst nicht. Und Wohnungen, die angeblich zu erschwinglichen Preisen angeboten werden, seien es tatsächlich nicht. Der Staat müsse sein Angebot drastisch erhöhen und Darlehen aufnehmen, um „in Stein“ zu investieren. So wie Privathaushalte dies auch tun. Die wenigen von der Regierung angekündigten Maßnahmen würden keine tief greifenden Veränderungen nach sich ziehen.

Laut Gilles Roth (CSV) habe die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu einer neuen Form von Armut geführt. Sein Parteikollege und Fachmann für Wohnungsfragen in der CSV-Fraktion, Marc Lies, forderte in dieser Frage eine bessere Zusammenarbeit im Parlament. Die CSV habe in den vergangenen Jahren rund zwei Dutzend Initiativen ergriffen, u.a. vier Gesetzesvorschläge. Doch sei alles abgelehnt worden.

Die  angekündigten Änderungen an den Besteuerungsregeln für Immobilien-Spezialfonds (FIS) würden keine Wohnung preiswerter machen. Die geplanten Änderungen bei der beschleunigten Abschreibungsrate  für Mietgebäude seien keine große Errungenschaft. Maßnahmen gegen Bauland- und Immobilienspekulation seien keine angekündigt worden, so Lies. Der Hesperinger „député-maire“ plädierte erneut für eine Erweiterung des Bauperimeters, da dies ermögliche, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. 

Yves Cruchten (LSAP) wies diese Vorwürfe in Sachen Wohnungsbaupolitik zurück. Die Rolle der öffentlichen Hand werde gestärkt, u.a. durch den neu geschaffenen Spezialfonds für Wohnungsbau. Allein 2021 wachse das Budget für Wohnungsbau um elf Prozent. Cruchten erwartet sich mehr Engagement der Gemeinden bei der Schaffung von erschwinglichem Wohnraum, zumal der Staat mit dem Wohnungspakt 2.0 insgesamt 75 Prozent der Kosten zurückerstattet. Was die Bekämpfung von Baulandspekulation anbelangt, erinnerte Cruchten daran, dass die Kommunen bereits heute brachliegendes Bauland besteuern könnten. Den Vorschlag von Lies nach einer Erweiterung des Bauperimeters wies Cruchten nicht gleich zurück.

Die Regierung will das Stock-Options-Regime abschaffen. Die Ankündigung stieß auf breite Zustimmung im Parlament. Die CSV fordere dies seit Jahren, so Roth, der an eine noch vor drei Wochen von der Mehrheit abgelehnte diesbezügliche Motion der Opposition erinnerte. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien dem Staat jährlich zwischen 200 und 300 Millionen Euro verloren gegangen. Roth befürchtete jedoch, dass sich mit der Einführung der sogenannten steuerbegünstigten „prime participative“ ein neues Schlupfloch öffnen könnte. Bei dieser Maßnahme kann ein Unternehmen bis fünf Prozent des Gewinns steuergünstig an Beschäftigte weitergeben. Der Betrieb entscheide, welcher Mitarbeiter wesentlich weniger Steuer zu zahlen habe, erklärte Roth. 

Mehrbelastung durch CO2-Steuer

Nicht nach CSV-Gusto ist die Einführung einer CO2-Steuer von 5 Cent auf Benzin, Heizöl und Gas. Allein beim Müllverbrennungssyndikat Sidor entstünden Mehrausgaben von vier Millionen Euro jährlich, kritisierte Roth. Die würden am Ende auf die Haushalte umgewälzt, was eine weitere Belastung insbesondere für einkommensschwache Personen bedeute. Man lehne die CO2-Steuer nicht ab, nur sollte deren Gesamtwirkung betrachtet werden. Eine Aussage, die Nachhaltigkeitsminister François Bausch sofort mit dem Zwischenruf quittierte, die CO2-Steuer werde die Haushalte mit rund 200 Euro jährlich belasten. 

Wer die Umwelt verschmutzt, müsse zahlen, resümierte François Benoy („déi gréng“) Sinn und Zweck der CO2-Steuer. Deren Auswirkung werde bei den Kleinverdienern durch das Steuerguthaben und die Erhöhung der Teuerungszulage abgefedert. Die CO2-Bepreisung werde europaweit eingeführt, erinnerte Benoy. Die Menschen sähen den Umweltschutz als prioritär an. Die Gesellschaft sei bereit zur Transition.

Nach der rezenten, von CSV-Präsident Frank Engel initiierten Diskussion über eine Erbschaftssteuer bemühte sich Gilles Roth als Vizefraktionschef um eine Klarstellung. Im Namen der Partei sage er, dass die CSV gegen eine Erbschaftssteuer in direkter Linie sei. Auch die Wiedereinführung der 2005 abgeschafften Vermögenssteuer für physische Personen lehnt die CSV bekanntlich ab. Probleme würden sich bei der Bewertung der Vermögenswerte ergeben, so Roth. Wer eine Vermögensteuer fordere, wolle die Abschaffung des Bankgeheimnisses und den gläsernen Bürger.

Arbeitsmarkt unter Druck

Marc Spautz (CSV) sollte sich im Detail mit den Folgen von Corona auf den Arbeitsmarkt beschäftigen. Dass der Sozialstaat einsprang, als das Land wegen der Pandemie stillstand, begrüßte er. Die Kurzarbeit half den Beschäftigten und den Betrieben. Trotz der verschiedenen Hilfspakete würden wohl nicht alle Betriebe überleben, doch trugen sie dazu bei, dass Luxemburg nicht an die Beatmungsgeräte angeschlossen werden musste.

Um den Arbeitsmarkt zu stützen, regte Spautz den Rückgriff auf gemeinnützige Arbeiten und die Anpassung von Wiedereingliederungsmaßnahmen an. Um in Zukunft Personalengpässe im Gesundheits- und Pflegesektor zu vermeiden, sollte die diesbezügliche Ausbildung überdacht werden. Ferner sollte ein Covid-Spital aufgebaut werden, um die Krankenhäuser zu entlasten. 

Laurent Mosar (CSV) zufolge würden etliche Betriebe durch das Netz staatlicher Stützmaßnahmen fallen. Das betreffe Betriebe mit mehr als zwanzig Beschäftigten, das Gaststättengewerbe und den Kleinhandel. Mosar zufolge sollte sich die Regierung bei den Banken um eine weitere Stundung der Darlehensraten bemühen. Auch sollten die Verwaltungen die Betriebe nicht durch aufdringliche Zahlungsaufforderungen zusätzlich belasten. 

Ob die Regierung überhaupt eine Industriepolitik habe, fragte Mosar im Zusammenhang mit dem gescheiterten Fage-Projekt. Das geplante Google-Zentrum müsse zur Chefsache werden, um ein erneutes Scheitern zu vermeiden.  Die Joghurt-Fabrik sollte am Ende der Debatte Premierminister Bettel als Vorwand dienen, der CSV einen Seitenhieb zu verpassen. Die Ankündigung des Rückzugs des Projekts sei erfolgt, nachdem die CSV gerichtliche Schritte gegen das Unternehmen angedeutet habe, so Bettel. Ein Vorwurf, der eine empörte Mosar’sche Reaktion hervorrief. Als Abgeordneter sei er verpflichtet, die Staatsanwaltschaft zu informieren, falls er Kenntnis von einer möglichen Straftat habe, sagte Mosar. Der Konzern Fage wird verdächtigt, über Jahre Millionen Euro Beträge als fiktive Consulting-Ausgaben verbucht zu haben. Mosar sprach dabei von Geldwäsche.

Am Ende der Debatte bemühte sich Bettel, das Bild einer geschlossenen Regierungsmannschaft zu vermitteln. Die drei Parteien seien durch das Koalitionsabkommen gebunden. Was nicht darin stehe, könne dennoch diskutiert werden. Zu den Steuern hätten die Parteien unterschiedliche Meinungen. Aber besser drei Parteien mit unterschiedlichen Meinungen als drei Meinungen in einer Partei.

Grober J-P.
16. Oktober 2020 - 10.41

Werde jetzt eine Prämie beantragen um meinen alten Diesel umrüsten zu lassen, kann leider beim Verbessern der ECO Bilanz nicht anders, mir fehlt einfach die finanzielle Motivation. Vielleicht klappt das. Sohnemann hat im Mai ein sehr preiswertes Fahrrad von seinem Studentengeld gekauft und eine Prämie beantragt, Ausbezahlung der Prämie ungewiss. "Steuer werde die Haushalte mit rund 200 Euro jährlich belasten." Stimmt absolut nicht. Der Mann spricht wahrscheinlich von einem 1 Personen Haushalt.