806 NeuinfektionenTrotz alarmierender Zahlen: Regierung setzt weiter auf Eigenverantwortung der Bürger

806 Neuinfektionen / Trotz alarmierender Zahlen: Regierung setzt weiter auf Eigenverantwortung der Bürger
Vor versammelter Presse räumte Gesundheitsministerin Paulette Lenert ein, dass die Entwicklungen der vergangenen Woche durchaus „beunruhigend“ und „alarmierend“ seien. Verschiedene Schlüsselindikatoren aber lieferten (noch) keinen Grund zur Besorgnis. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Trotz „beunruhigender“ Zahlen will die Regierung im Kampf gegen die Pandemie keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen und stattdessen weiter auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen. „Wir haben es im Sommer fertiggebracht, mit einer starken gemeinsamen Anstrengung die Kurve abzuflachen. Ich bin zuversichtlich, dass wir es auch jetzt schaffen“, unterstrich Gesundheitsministerin Paulette Lenert am Mittwoch.

Auf dem Papier seien es durchaus „alarmierende Zahlen“, wie die Politikerin gegenüber Journalisten eingestand. Zwischen dem 5. und 11. Oktober wurden 806 Personen positiv auf Covid-19 getestet. Dabei handelt es sich um eine Steigerung von 47 Prozent gegenüber der Vorwoche. In der gleichen Periode ist die Zahl der Tests mehr oder weniger konstant geblieben, bei 39.651 Tests gegenüber 38.735 Analysen in der Vorwoche. Sechs Patienten sind währenddessen an den Folgen ihrer Covid-Erkrankung gestorben. 

Während das Durchschnittsalter der Neu-Infizierten leicht von 36,8 auf 37,6 Jahre gestiegen ist, ist die Zahl der Betroffenen in der 15- bis 29-Jährigen immer noch doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. Leider seien im Verlauf der letzten zwei Tage auch wieder vermehrt ältere Personen über 60 Jahren positiv auf Covid-19 getestet worden, was den Behörden Sorgen bereite, verkündete Lenert.

Andere Länder orientieren sich nur an den Neu-Infektionen. Wir hingegen haben uns bereits früh für eine nuancierte Herangehensweise entschieden.

Paulette Lenert, Gesundheitsministerin

Auf eine Woche gerechnet, seien in sämtlichen Alterskategorien auf 100.000 Einwohner 129 positive Fälle zu beklagen. „Rechnen wir auf den heutigen Tag sogar zwei Wochen zurück, zählen wir fast 220 positive Fälle auf 100.000 Einwohnern“, fuhr Lenert fort. „Eine wirklich hohe Zahl, die sich in den Sphären jener Hotspots links und rechts unserer Grenzen bewegt, in denen die Behörden bereits viel drastischere Maßnahmen ergriffen haben.“

Dennoch wolle Luxemburg nicht in blinden Aktionismus verfallen, wie die Ministerin bemerkte. Die Behörden würden sich durchgehend mit den hohen Zahlen beschäftigen. Allerdings haben sie sich bewusst gegen bestimmte Automatismen entschieden, die ab einer bestimmten Schwelle ausgelöst werden sollen. Die Verantwortlichen wollen sich in ihrer Einschätzung der Lage vielmehr an verschiedenen Indikatoren orientieren, die konstant überwacht werden.

„Andere Länder orientieren sich nur an den Neu-Infektionen. Wir hingegen haben uns bereits früh für eine nuancierte Herangehensweise entschieden“, erklärte Lenert. „Dadurch sind wir in der Lage, die Situation detailliert abzuschätzen, und das immer in Absprache mit den Akteuren im Feld.“ Diese Herangehensweise sei zwar etwas aufwändiger, nutze jedoch den Vorteil der kurzen Wege im Großherzogtum. Somit sei es möglich, einerseits die Schlüsselfaktoren ständig im Auge zu behalten und andererseits rasch zu reagieren, sollte die Lage entgleiten. Unter dem Strich aber lieferten die Schlüsselindikatoren (noch) keinen Grund zur Besorgnis.

„Die Menschen sind verunsichert“

So befanden sich vergangene Woche 38 Patienten in stationärer Behandlung, davon zwei auf der Intensivstation. Insgesamt wurden 43 neue Patienten aufgenommen, während 14 Menschen das Krankenhaus wieder verlassen konnten. Damit musste Luxemburg zwar die zweite Etappe im Krankenhausplan einläuten, allerdings ist das Großherzogtum – im Gegensatz zu den Niederlanden – noch weit davon entfernt, andere medizinische Leistungen drastisch einschränken zu müssen, um sich auf die Pflege der Covid-Patienten konzentrieren zu können.

Ein weiterer Schlüsselfaktor sei die Situation in den Notaufnahmen. Sollte etwa die Zahl der Menschen mit akuten Symptomen urplötzlich explodieren, sei dies ein dringender Hinweis dafür, eines der Versorgungszentren wieder zu aktivieren, erklärte Lenert. Doch sei man von der Situation im Frühjahr, als die Notaufnahmen mit Patienten gefüllt waren, die akuter Behandlung bedurften, noch etwas entfernt. Ähnlich gestaltet sich die Lage bei den Allgemeinärzten, mit denen die „Santé“ über ein Netzwerk ständig Kontakt aufnimmt: Diese können sich aktuell zwar nicht über einen Mangel an Arbeit beklagen, allerdings dürfte dies vor allem der saisonalen Grippe geschuldet sein und nicht Covid-19.

Eine größere Auswirkung hatte der Anstieg der Neu-Infektionen auf die Test- und Tracingkapazitäten. Dieses Plus an Arbeit habe man jetzt noch stemmen können, so die Ministerin. Allerdings befürchtet sie gewisse Einbußen, sollte die Mannschaft in den kommenden Wochen nicht verstärkt werden. Abhilfe soll nun unter anderem die Armee schaffen. Allerdings stoßen auch die Testkapazitäten an ihre Grenzen. Lange Schlangen, überarbeitete Mitarbeiter und Resultate, die auf sich warten lassen, seien hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass sich immer mehr Menschen ohne Rezept testen lassen wollen. „Das ist auch verständlich: Die Menschen sind verunsichert“, betonte Lenert. Allerdings sei es wichtig, dass sich Bevölkerung und Profis weiter an die Angaben halten.

„Es ist in jedermanns Interesse, dass man die Laboratorien nicht überstrapaziert und die Tests nach Prioritäten durchführt“, unterstrich die Ministerin. Deshalb der Aufruf an die Bevölkerung, nur bei Symptomen den Arzt aufzusuchen und am Large Scale Testing nur auf Einladung teilzunehmen. An die Ärzte erging indessen die Bitte, nur symptomatischen Patienten einen Test zu verschreiben. Luxemburg sei bislang Spitze in Europa, was die Schnelligkeit der Tests angeht. „Wir wollen auch weiterhin den Anspruch haben, binnen 24 Stunden Resultate zu liefern. Je schneller der Test vorliegt und je schneller das Tracing beginnt, desto eher kann die Infektionskette unterbrochen werden“, fasste Lenert die Covid-Gleichung zusammen.

„Zu zehnt ins Restaurant: Ist es wirklich nötig?“

Währenddessen arbeitet das Gesundheitsamt weiter an der Entlastung der Laboratorien: So sollen Patienten mit einem Rezept künftig auch Drive-in-Stationen aufsuchen können. Mithilfe der neuen „Equipe mobile“ können Tests an bestimmten Orten wie Senioren- oder Pflegeheimen durchgeführt werden. Die sogenannten Schnelltests sind allerdings bestimmten Berufsgruppen vorbehalten, etwa den Gesundheitsberufen. Auch sollen die Schnelltests vorwiegend nur an symptomatischen Patienten durchgeführt werden, um ein Maximum an Wirksamkeit zu gewährleisten.

Solange es keinen Impfstoff gibt, werden wir weitere Wellen erleben

Paulette Lenert, Gesundheitsministerin

Wichtig sei es nun, am Ball zu bleiben, um die Kurve wieder in eine andere Richtung zu bewegen, unterstrich Lenert. Statt strenger Einschränkungen und neuer Maßnahmen setzt die Regierung weiter auf die Eigenverantwortung der Bürger und eine „starke, gemeinsame Anstrengung“. Jeder könne einen Beitrag leisten, etwa indem man beim kleinsten Symptom sofort den Arzt aufsucht, sich ständig die Hände desinfiziert und die Mindestabstände beachtet.

„Wir wissen, wie sich die Menschen anstecken: über die physischen Kontakte und körperliche Nähe“, sagte Lenert erneut. An die Bevölkerung erging daher der Aufruf, die Kontakte immer noch auf ein Minimum zu reduzieren. „Auch wenn es erlaubt ist, sich mit neun weiteren Menschen in ein Restaurant zu setzen: Ist es wirklich nötig?“ Und sollte es dennoch zu Kontakten kommen, wäre es durchaus angebracht, diese schriftlich festzuhalten. „Das ist zwar etwas aufwendig, doch das Tracing wird dadurch viel einfacher“, gab Lenert zu bedenken. 

Die aktuelle Welle sei denn auch nicht ungewöhnlich. „Solange es keinen Impfstoff gibt, werden wir weitere Wellen erleben“, kündigte die Politikerin an. „Das Virus werden wir nicht aus der Welt schaffen. Doch wir können es eindämmen.“ Im Sommer habe die Bevölkerung bewiesen, dass sie sich durchaus an die Regeln halten kann. „Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir es auch dieses Mal hinbekommen“, meinte Lenert.

Eric Hamus
16. Oktober 2020 - 11.20

Herr Hausdorff, et ass lo manner ee Widdersproch wéi villméi eng onglécklech Formulatioun. Kritiséiert gouf de Fait, datt vill Leit sech teste loossen, obschonns se guer keng Symptomer hunn. Den Opruff war et dofir, sech just mat richtegen Symptomer testen ze loossen. Ech verstinn, datt "akut" sech hei um "kleinsten Symptom" stéiert. Ennert dem Stréch ass awer gemengt, datt een sech soll teste loossen, wann een Symptomer huet an just dann. Dat Wuert "akut" war an deem Sënn vläit onglécklech gewielt. D'Ministesch hat et sou gesot, mee tëscht den zwee Amenter ass méi Zäit vergangen, wéi et elo a mengem Artikel riwwer kënnt.

Klitz
15. Oktober 2020 - 19.36

Trotzdem bleibt es mir unverständlich wieso unsere Regierung keine erweiterten Maßnahmen ergreift. Unsere Zahlen sind mit die schlechsten in ganz Europa. Hoffentlich geht diese „mol kucken“ Methode nicht nach hinten los.

Felix Hausdorff
15. Oktober 2020 - 17.29

"Deshalb der Aufruf an die Bevölkerung, nur bei akuten Symptomen den Arzt aufzusuchen" an e puer Zeilen drënner "Jeder könne einen Beitrag leisten, etwa indem man beim kleinsten Symptom sofort den Arzt aufsucht". War op där Pressekonferenz iwwerhaapt e Journalist vertruede fir Froen ze stellen? Well dee Widersproch do ass dach ongeheierlech! A wéi kann d'Press dat kommentarlos esou néierschreiwen? An natierlech: Soll ech als Bierger mech dann elo un déi 1. Ausso halen oder un déi 2.?

Clemens RM
15. Oktober 2020 - 15.50

Dat hei ass dee beschten Artikel iwwert d‘PK vun der Gesondheetsministesch deen erschéngen ass. Ganz ausféierlech an ouni sarkastesch eege Commentären déi , menger Meenung no, an esou Artikelen näischt verluer huet. Soignéiert Oarbecht Här Hamus! Sou liesen ech d‘Tageblatt gär!