RusslandNawalnys Kampfansage an den Kreml: Moskau kann den Kritiker nicht mehr einfach ignorieren

Russland / Nawalnys Kampfansage an den Kreml: Moskau kann den Kritiker nicht mehr einfach ignorieren
Ein Foto von Nawalnys Instagram-Account: Der Kreml-Kritiker ist durch seine Vergiftung noch bekannter geworden Foto: AFP/@nawalny

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Seit der Nowitschok-Vergiftung ist der russische Oppositionspolitiker bekannt und beliebt wie nie zuvor. Bei der Duma-Wahl im nächsten Jahr will er Wladimir Putin so richtig unter Druck setzen. Der Kreml kann ihn nicht mehr wie früher einfach ignorieren.

Er fordert EU-Einreisesperren für Kreml-nahe Oligarchen, trifft Angela Merkel und steht Journalisten Rede und Antwort. Nach Interviews mit Spiegel und Bild wendet sich Alexej Nawalny an das russische Publikum – in Gesprächen mit dem unabhängigen TV-Sender Doschd oder dem populären russischen Youtuber Jurij Dud, der für das Gespräch extra nach Berlin reiste. Mehr als 17 Millionen Mal wurde Duds Interview aufgerufen. In dem mehr als zweistündigen Gespräch wirkt Nawalny energiegeladen. Er scherzt. Gestikuliert. Nur beim Trinken aus der Wasserflasche zittern seine Hände.

Seine Frau Julia hat Nawalny das Versprechen abgerungen, dass es erst heimwärts geht, wenn er vollständig genesen ist. „Ich denke, er hat mich gehört“, sagt die nervenstarke Frau, die die Arbeit ihres Partners voll unterstützt. Nawalny rechnet damit, dass er in etwa zwei Monaten fit für den Flug nach Moskau sein könne.

Im Kreml wird man Nawalnys Rückkehr nicht feiern. Moskau hat seit dem Giftattentat vom 20. August mit Ungemach zu kämpfen. Brüssel dürfte am Donnerstag seine Sanktionsliste präsentieren. Dem Vernehmen nach werden sechs Personen und eine Organisation gelistet. Außenminister Sergej Lawrow kritisierte das europäische Vorgehen und stellte eine „spiegelgleiche“ Reaktion in Aussicht. Moskaus beharrliche Leugnung der Straftat trotz erdrückender, die Staatsspitze belastender Indizien hat die bestehenden Spannungen zwischen Ost und West vertieft.

Nawalny ist jetzt viel bekannter

Dass der Oppositionspolitiker nun von Deutschland aus gegen das offizielle Russland agitiert, dürfte dem Kreml besonders missfallen. Denn die Weltöffentlichkeit hört mit. Nawalnys mediale Auftritte, seine Fotos und Clips beurteilt Wladimir Gelman, Professor an der Europäischen Universität in St. Petersburg, im Gespräch mit dem Tageblatt als „sehr erfolgreich“: „Als talentierter Politiker versucht er, sein Publikum zu erweitern und maximale Aufmerksamkeit für seine Sache zu erregen.“

Nawalnys Bedeutung als Rivale des Kreml habe seit der Vergiftung „ein neues Niveau“ erreicht, sagt der Politologe. War der Oppositionspolitiker früher nur Politikinteressierten ein Begriff, so ist aus ihm eine „herausragende öffentliche Figur im In- und Ausland“ geworden. In Russland haben laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums vier Fünftel der Befragten von ihm gehört. Nawalnys Tätigkeit unterstützt ein Fünftel – doppelt so viel wie im Vorjahr.

Der Kreml sieht sich seit der jüngsten Nowitschok-Affäre gezwungen, auf Vorwürfe zu reagieren. „Das behagt Moskau gar nicht“, kommentiert Gelman. Auch im russischen Staatsfernsehen taucht der Name des Oppositionspolitikers nun häufig auf – was früher tunlichst vermieden wurde. Offiziell bestreiten die Behörden, dass eine Vergiftung auf russischem Boden stattgefunden hat. So werden in Kreml-nahen Medien immer wieder Nawalny und seine Mitstreiter mit fadenscheinigen Vorwürfen belastet.

Dennoch bleibt das Bild über die Vergiftungsaffäre in Russland zumindest widersprüchlich. Sicher: Nawalny konnte seinen Anhängerkreis konsolidieren. Doch längst nicht alle Russen gehen von einer Vergiftung Nawalnys aus. Laut Lewada-Umfrage glauben mehr als die Hälfte der Befragten nicht an den Einsatz von Gift. Wirkt also die staatliche Gegenerzählung? Gelman zweifelt an der Aussagekraft der Antworten: „Viele Russen demonstrieren in Umfragen eine Meinung, die sie für sozial erwünscht halten.“

Mit Gnade kann er nicht rechnen

Eines ist sicher: Nawalny kann bei seiner Rückkehr nicht mit Gnade rechnen. Der Staat ließ zwischenzeitlich seine Konten beschlagnahmen. Auch die Gefahr weiterer Anschläge ist nicht gebannt, schätzt Politologe Gelman.

Doch Nawalny will weitermachen. Im Wesentlichen wird er – wie bisher schon – auf drei Ebenen aktiv sein. Erstens: Enthüllungen über Kreml-nahe Politiker und Geschäftsleute, die über die eigenen Medien veröffentlicht werden. Das zweite Standbein ist sein landesweites Netzwerk: Die „Stäbe Nawalnys“ sind in vielen russischen Städten aktiv und dienen als Anlaufstellen für lokale Aktivisten. Drittens: Die Vorbereitung auf das politische Großereignis des nächsten Jahres: die Duma-Wahl. Der Politiker selbst glaubt, dass seine Vergiftung damit zu tun hat.

Seit geraumer Zeit setzt Nawalny bei Urnengängen mangels Zulassung einer eigenen Partei auf ein Instrument, das er „Clevere Wahl“ nennt. Im Kern geht es dabei um eine gezielte Schwächung der Kreml-Partei Einiges Russland durch alternative Wahlempfehlungen. Auch deshalb zweifeln Experten wie Gelman nicht daran, dass Nawalny bei seiner Rückkehr ein „ernster Kampf“ bevorsteht.