ÖsterreichFall Ischgl: Vom Kanzler bis zum Bürgermeister orten Experten Corona-Missmanagement

Österreich / Fall Ischgl: Vom Kanzler bis zum Bürgermeister orten Experten Corona-Missmanagement
Der Rechtsanwalt Alexander Klauser (l.) und der Vorsitzende des Verbraucherschutzverbandes Peter Kolba sprechen im September während einer gemeinsamen Pressekonferenz über eine Sammelklage gegen die Tiroler Landesregierung Foto: Herbert Neubauer/APA/dpa

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Österreichs Kanzler und Ischgls Bürgermeister haben neben dem Vornamen auch den massiven Beschuss gemeinsam, unter den sie der Experten-Bericht über das Corona-Krisenmanagement im März bringt.

Wie ist das wirklich gelaufen in der ersten März-Hälfte im Tiroler Paznauntal, als das ferne Island schon vor dem Hochrisikogebiet Ischgl warnte, aber der Alpen-Ballermann weiter Ski-Party machte? Zögerten gar regionale Entscheidungsträger auf Druck der Touristiker den Lockdown mit Blick aufs Wintersportgeschäft hinaus? Nein, solchen Druck soll es nicht gegeben haben. Das wird im Bericht einer Expertenkommission unter der Leitung des Top-Juristen Ronald Rohrer dezidiert in Abrede gestellt. Aber die Tourismuslobby musste wohl gar nichts sagen, da alle Beteiligten ohnehin um die fatalen ökonomischen Folgen eines vorzeitigen Saisonstopps wussten.

Dass es diesen offenen Druck also nicht gab, ist auch schon das einzig positive am Urteil der Experten, die 53 Politiker und Behördenvertreter einvernommen und tausende Dokumente studiert haben. Dem Ischgler Bürgermeister Werner Kurz wird vorgeworfen, sogar nach der Ankündigung der Einstellung des Skibetriebs durch Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) am 12. März die entsprechende Verordnung erst zwei Tage später offiziell im Amt ausgehängt zu haben. Kurz will nur auf Anraten der vorgesetzten Bezirksbehörde so gehandelt haben. Doch auch der 12. März war eigentlich zu spät: Nachdem schon am 5. März die Infektionen von isländischen Urlaubern und zwei Tage darauf jene des Kellners in der Après-Ski-Bar „Kitzloch“ bekannt geworden seien, hätten am 9. März Seilbahnen und Bars schließen sowie Menschenansammlungen untersagt werden müssen, so der Bericht.

Kurz, der „Superspreader“

Den anderen Kurz, Sebastian, bringt die Kommission ebenfalls unter Rechtfertigungszwang. Der Bundeskanzler steht nun gar nicht mehr als der souveräne Krisenmanager da, als der er sich zu Beginn der Pandemie inszenierte. Der Bericht kritisiert, dass Kurz am 13. März in einer Pressekonferenz auch zur Überraschung der lokalen Behörden die Quarantäne für das Paznauntal und St. Anton am Arlberg verkündet hatte. Dadurch sei es zu Panikreaktionen von ausländischen Gästen und Mitarbeitern gekommen. Diese seien überhastet abgereist, ohne dass bei der Abreise ihre Daten aufgenommen werden konnten.

Das vom Grünen Rudolf Anschober geführte Gesundheitsministerium wird kritisiert, weil es das veraltete Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950 nicht den aktuellen Gegebenheiten angepasst habe.

Kurz wies die Vorwürfe am Dienstag zurück und rechtfertigte sich mit der „Ausnahmesituation“. Es hätten schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, die aber immer abgestimmt gewesen seien mit den Behörden vor Ort. Die Opposition lässt die Bundesregierung freilich nicht so einfach davonkommen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirft Kurz vor, mit der Quarantäneankündigung, für die er gar nicht zuständig war, „Panik und Chaos“ ausgelöst zu haben. Die Sozialdemokraten erwägen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die liberalen Neos werden Minister Anschober schon heute für eine dringliche Anfrage ins Parlament zitieren. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl nannte Kurz den „Superspreader Österreichs, der unser Land und das Land Tirol weltweit in Verruf gebracht hat“.

Der Expertenbericht ist auch Wasser auf die Mühlen des Verbraucherschutzverbandes (VSV), der Tausende Ischgl-Urlauber vertritt und schon erste Musterklagen gegen die Republik Österreich eingebracht hat.