Post-BrexitVerhandlungen zwischen EU und Großbritannien kommen in entscheidende Phase

Post-Brexit / Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien kommen in entscheidende Phase
EU-Chefverhandler Michel Barnier (l.) im Gespräch mit Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn gestern auf Kirchberg Foto: dpa/AP Pool/Virginia Mayo

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Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannen über ihre künftigen Beziehungen gelangen diese Woche in eine entscheidende Phase. Da den Verhandlern nicht mehr viel Zeit bleibt, muss es demnächst zu ernsthaften Fortschritten in den Gesprächen kommen. Offenbar herrscht ein gewisser Optimismus, dass dies gelingen könnte.

In Luxemburg informierte gestern der EU-Chefverhändler für die künftigen Beziehungen mit Großbritannien, Michel Barnier, die auf Kirchberg tagenden EU-Europaminister über den Fortgang der Gespräche mit London. Aus dem, was dabei besprochen wurde, sei doch ein gewisser Optimismus zu entnehmen, sagte uns im Anschluss Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Selbst sein irischer Kollege Simon Coveney würde diesen Optimismus teilen.

Greifbare Resultate für diesen Stimmungswandel gibt es allerdings noch keine. Der amtierende EU-Ratsvorsitzende und deutsche Staatsminister für Europa, Michael Roth, klang verhaltener. „Wir befinden uns an einem sehr, sehr schwierigen Punkt“, sagte er nach dem Ministertreffen. „Wir sind substanziell immer noch nicht vorangekommen“, so Roth weiter. Zumindest nicht in den großen strittigen Fragen. Fortschritte gebe es dennoch, so Jean Asselborn. Etwa in den Bereichen der inneren Sicherheit, des Flugwesens sowie des Straßenverkehrs. Die harten Brocken allerdings konnten noch nicht aus dem Weg geräumt werden, das heißt die Fischerei und das sogenannte „Level playing field“, also ein Fairplay in den künftigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.

Allerdings deutete der luxemburgische EU-Parlamentarier Christophe Hansen Bewegung in den Diskussionen über die Fischerei an. Vor allem Frankreich, aber auch Ländern wie Irland, Belgien, den Niederlanden und Dänemark ist daran gelegen, weiterhin Zugang zu den britischen Fischereigebieten zu haben. Eine Einigung darüber hätte bereits im Juni gefunden werden sollen. Wie Hansen gestern erklärte, ziehen Fischer aus der EU jährlich Fische im Wert von 635 Millionen Euro aus britischen Gewässern, während umgekehrt britische Fischer nur für einen Gegenwert von 110 Millionen Euro in EU-Gewässern fangen. Nun werde durch Einbeziehung anderer Wirtschaftszweige wie etwa des Energiebereichs versucht, einen Ausgleich mit den Briten zu finden, erklärte Christophe Hansen, der im Europäischen Parlament Berichterstatter für das Abkommen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien ist.

Ein weiterer Streitpunkt ist ein Streitbeilegungsverfahren um künftige strittige Fragen etwa in den Bereichen Soziales, Umwelt- und Verbraucherschutz oder Steuerfragen zu klären, so Jean Asselborn weiter. Dieses ist insofern wichtig, da über einen solchen Schlichtungsmechanismus auch so heikle Fragen wie Staatsbeihilfen an heimische Unternehmen geregelt werden sollen, die den freien und fairen Wettbewerb gefährden können.

Die Zeit drängt

Der britische Premierminister Boris Johnson wollte die Verhandlungen eigentlich bereits Mitte Oktober, also am morgigen Donnerstag, abgeschlossen haben. Davon sind die beiden Parteien allerdings noch weit entfernt. Heute soll es zwischen Johnson, dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einer entscheidenden Telefonkonferenz kommen. Morgen werden sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit den Nach-Brexit-Verhandlungen befassen. „Und danach müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden“, meint Christophe Hansen mit Blick auf den Zeitplan. Denn bis Ende des Monats müsste das Abkommen fertig sein, damit dieses noch vor dem Jahresende vom Europäischen Parlament ratifiziert werden kann. Am 31. Dezember endet die Übergangsphase, während der Großbritannien zwar noch der Zollunion und dem EU-Binnenmarkt angehört, aber nicht mehr in den EU-Institutionen vertreten ist. Kommt es zu keinem Abkommen, werden ab dem 1. Januar 2021 die Regeln der WTO gelten und auf beiden Seiten wieder Zollschranken hochgefahren.

Michael Roth betonte gestern noch einmal den Willen und die Entschlossenheit der EU, zu einem Abkommen zu kommen. Allerdings würden die nächsten Tage zeigen, ob es zu einem positiven Resultat kommen werde oder ob die EU-Staaten ihre Vorbereitungen für den Fall eines No-Deal intensivieren müssten.