SchottlandMinisterpräsidentin Sturgeon gerät wegen fehlerhafter Aussagen unter Druck

Schottland / Ministerpräsidentin Sturgeon gerät wegen fehlerhafter Aussagen unter Druck
Die SNP-Vorsitzende und schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hat derzeit einen schweren Stand in ihrer Partei Foto: Jeff J. Mitchell/Pool/AFP

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Ferien sind natürlich immer willkommen. Die 14-tägige Herbstpause, die das schottische Parlament gestern begann, dürfte Nicola Sturgeon besonders entgegenkommen, sieht sich die Edinburgher Ministerpräsidentin doch erstmals in ihrer sechsjährigen Amtszeit einem eisigen Gegenwind ausgesetzt.

Das hat, allen unerfreulichen Zahlen zum Trotz, weniger mit Covid-19 zu tun. Vielmehr fällt der bisher unangefochtenen Vorsitzenden der Nationalpartei SNP zunehmend der vermeintliche Sex-Skandal um ihren Vorgänger Alex Salmond auf die Füße. Offen bezichtigt die Opposition die 50-Jährige der Lüge, auch in der SNP rumort es heftig.

Salmond genießt unter Anhängern der schottischen Eigenständigkeit beinahe so etwas wie Heiligenstatus. Der charismatische und gewitzte Politiker führte seine Partei 2007 zur Regionalregierung und sieben Jahre später in die Volksabstimmung über die Auflösung der mehr als 300-jährigen Union mit England. Das Referendum ging mit 45 zu 55 Prozent verloren. Enttäuscht gab der Politiker Partei- und Regierungsamt an seine Stellvertreterin Sturgeon ab.

Vier Jahre später legten dem früheren Ministerpräsidenten Mitarbeiterinnen der Regierungszentrale Sexualverbrechen bis hin zur versuchten Vergewaltigung zur Last. Salmond verließ die SNP, verklagte die Regierung und bekam vor Schottlands höchstem Zivilgericht recht: Das interne Ermittlungsverfahren gegen ihn sei fehlerhaft gewesen. Im Strafprozess wurde der 65-Jährige im März von allen Anklagepunkten freigesprochen. Man werde noch von ihm hören, verkündete der Politiker auf der Schwelle des Gerichtshofs.

Das ideale Forum dafür wäre der Untersuchungsausschuss des Regionalparlaments, der seit August tagt. Doch schon vor der Sessionspause ging dort wenig voran. Sie sei „total frustriert“, sagt die Gremiumsvorsitzende Linda Fabiani (SNP): Einige der wichtigsten Beteiligten würden Unterlagen verweigern oder nur zögerlich ans Parlament weitergeben. Als Hauptübeltäter benannte sie neben der Regierung Salmond selbst sowie den SNP-Generalsekretär (chief executive) Peter Murrell.

Der 55-Jährige gilt nicht nur als graue Eminenz und knallharter Interessenwahrer der Partei, der er seit mehr als zwei Jahrzehnten dient. Murrell ist auch mit Sturgeon verheiratet – unweigerlich gerät die Politik des Paares immer wieder in die Kritik. Der Politologe Gerry Hassan von der Universität Dundee ist überzeugt: „Diese Machtkonzentration hat Regierung und Partei beschädigt.“

Angeschlagen stehen sowohl Sturgeon wie Murrell am Ende einer Woche da, in der ihre schriftlichen Stellungnahmen zum Salmond-Skandal veröffentlicht wurden. Die für ihre präzise Aktenkenntnis bekannte Anwältin musste einräumen, sie habe ein Gespräch, bei dem sie über Vorwürfe gegen Salmond informiert wurde, „vergessen“, was die konservative Oppositionsführerin Ruth Davidson als „jenseits aller Glaubwürdigkeit“ brandmarkte. Murrell wiederum versuchte eine Serie von SMS-Nachrichten kleinzureden, in denen er weitere Ermittlungen gegen Salmond durch Polizei und Staatsanwaltschaft befürwortete.

SNP kann sich nur selbst schaden

Mit der Geschlossenheit der langjährigen Regierungspartei sei es vorbei, glaubt der Sozialwissenschaftler Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh. Das hat mit Salmond zu tun, geht aber über den Skandal hinaus: Der frühere Parteichef dient jenen der 125.000 Mitglieder als Galionsfigur, die in der Frage der Unabhängigkeit Sturgeon für zu zögerlich halten. „Sie steht viel stärker als früher unter Druck aus der eigenen Partei“, sagt Eichhorn. Die Ungeduldigen drängen auf ein weiteres Referendum so früh wie möglich. Denn die Umfragen sehen seit Monaten kontinuierlich eine Mehrheit von bis zu 55 Prozent für die Aufkündigung des Vereinigten Königreichs.

In der Corona-Pandemie hat Sturgeon durch umsichtige Maßnahmen ihren guten Ruf zementiert. In den Medien wurde sie deshalb positiv mit dem Tory-Premier Boris Johnson verglichen – angesichts der verheerenden Schaukelpolitik der für England zuständigen Zentralregierung in London keine sonderlich hohe Hürde. Mittlerweile steigen auch in Schottland die Neuinfektionen sprunghaft an, harte Einschränkungen treten an diesem Wochenende in Kraft. Plötzlich steht auch in Edinburgh die Regierung in der Kritik.

Bis zur nächsten Regionalwahl bleiben nicht einmal mehr sieben Monate. Die Torys und der farblose Labour-Chef Richard Leonard, 58, müssten wahre Wunder bewirken, um der SNP ernsthafte Konkurrenz zu machen. Die triumphale absolute Mehrheit mit entsprechender Legitimation für ein zweites Referendum, die ihnen Umfragen vorhersagen, können sich die Nationalisten nur durch innerparteiliche Streitigkeiten selbst kaputtmachen. Derzeit scheint es, als seien sie auf bestem Weg dorthin.